Arbeitsrecht: Wegzeit wird Arbeitszeit

Karin Valenta, Gerhard Prochaska, Romana Huber
Foto: Nurith Wagner-Strauss

Die GPA-djp hat in einem Musterverfahren ein bahnbrechendes OGH-Urteil für alle Beschäftigten im technischen Servicebereich erwirkt, die den Weg zum Kunden mit dem Firmenwagen zurücklegen.

Gerhard Prochaska, Betriebsratsvorsitzender von Vaillant Österreich und Mitglied im Regionalvorstand der GPA-djp Wien, kennt das Problem der teils unbezahlten Fahrtzeiten von MitarbeiterInnen, die keinen festen Arbeitsort haben und mit Fahrzeugen und nach Weisung des Arbeitgebers täglich vom Wohnort aus zu verschiedenen Arbeitsorten bzw. Kunden und am Ende des Tages zurück nach Hause fahren, schon länger: „Wir haben die Thematik innerhalb des Betriebsrates seit 1993 besprochen und das über viele Jahre hinweg auch mit der Geschäftsführung diskutiert. Seit 2005 wurde die unbezahlte Fahrzeit durch Verhandlungen immer mehr angepasst und minimiert.“ Zuletzt war es üblich, dass immer noch bis zu 30 Minuten pro Tag nicht als Arbeitszeit gewertet wurden. „Pro Woche ist ein Arbeitnehmer also um bis zu 2,5 Stunden umgefallen“, erklärt Prochaska, der seit 26 Jahren als Betriebsrat aktiv ist.

Meilenstein

Romana Huber, die den Betrieb seitens der GPA-djp betreut, hat den Stein für eine endgültige Klärung dieser Frage ins Rollen gebracht. Im September 2015 machte sie Prochaska auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) aufmerksam, die eine spanische Firma betraf. „Die Situation der Beschäftigten war fast identisch auf unseren Betrieb umzulegen. Im Urteil wurden die Fahrten, die ArbeitnehmerInnen ohne festen oder gewöhnlichen Arbeitsort zwischen ihrem Wohnort und dem Standort des ersten und des letzten Kunden des Tages zurücklegen, als Arbeitszeit qualifiziert“, erzählt Prochaska. Die ähnliche Sachlage hat den Betriebsrat in der Rechtsmeinung bestärkt, dass das europäische Recht auch in Österreich durchsetzbar sein müsste und damit Rechtssicherheit bringen könnte. Prochaska und die GPA-djp wiesen die Geschäftsführung von Vaillant auf das bedeutsame Urteil hin. In der abweisenden Antwort hieß es von Vaillant lapidar: „Wir haben eine andere Rechtsauslegung.“

„Zuletzt war es üblich, dass immer noch bis zu 30 Minuten pro Tag nicht als Arbeitszeit gewertet wurden. Pro Woche ist ein Arbeitnehmer also um bis zu 2,5 Stunden umgefallen“

Da die damalige Geschäftsleitung nicht dazu bereit war, mit dem Betriebsrat über den Sachverhalt zu sprechen, war die Marschrichtung für Prochaska und sein Betriebsratsteam klar: „Wir mussten handeln und hatten nur noch den Rechtsweg. Es ging um die Klärung der arbeitsrechtlichen Situation von fast 200 betroffenen MitarbeiterInnen“, erklärt der Betriebsratsvorsitzende. Mit Unterstützung der zuständigen Rechtsschutzsekretärin Christa Valenta, wurde im Juni 2016 eine Feststellungsklage beim Arbeits- und Sozialgericht in Wien eingebracht.

Urteil schafft Klarheit

„In dem Verfahren ging es um die Rechtsfrage, ob Hin- und Rückfahrzeiten als Arbeitszeit im engeren Sinn zu werten sind“, erklärt Valenta. Im September 2016 hat der Betriebsrat in erster Instanz vollinhaltlich recht bekommen. Das Gericht stellte klar, dass jene Zeit, die Kundendiensttechniker für die Fahrt von der Wohnung zum ersten Kunden sowie vom letzten Kunden zurück zur Wohnung benötigen, als Arbeitszeit zu bewerten und zu bezahlen ist. Das Urteil des Erstgerichts hielt auch in den weiteren Instanzen: Im Oktober 2017 bestätigte das Oberlandesgericht Wien das Urteil. Doch Vaillant ging auch in die dritte Instanz. Im Juli 2018 bestätigte der Oberste Gerichtshof schließlich, dass die Fahrtzeiten in vollem Ausmaß als Arbeitszeit bewertet werden und bezahlt werden müssen.

„Den Servicetechnikern stehen Firmenfahrzeuge als Arbeitsmittel zur Verfügung und die Fahrzeiten sind extrem eng mit ihrer Tätigkeit verknüpft“, erklärt Valenta, warum die Fahrten juristisch im Risikobereich des Arbeitgebers liegen. Wesentlich dabei ist auch, dass die TechnikerInnen diese Fahrten nicht mit einem beliebig wählbaren Verkehrsmittel zurücklegen können, sondern mit dem Firmenfahrzeug fahren müssen und sie nicht frei in der Einteilung der Fahrtstrecke sind: „Sie bekommen in der Früh die Kundenlisten – der Arbeitgeber teilt also den Weg ein. Es muss der kürzeste Weg zum Kunden gefahren werden. Etwaige Unterbrechungen wären erkennbar, die Beschäftigten unterliegen also bereits während der Fahrtzeit dem Weisungsrecht des Arbeitgebers“, so die Expertin. Die Beschäftigten im Außendienst verwenden bereits ab ihrem Wohnort Betriebsmittel des Arbeitgebers und können während dieser Zeit keinen privaten Interessen nachgehen.

Mehr Gehalt

Diese Entscheidung hat sehr positive Auswirkungen für die Beschäftigten im Außendienst. „Im Durchschnitt kann ein/e MitarbeiterIn bis zu mehreren Hundert Euro pro Monat mehr bekommen“, stellt Prochaska fest. „Aufgrund der dreijährigen Verjährungsfrist in Arbeitsrechtssachen müssen diese Gehälter nun rückwirkend für drei Jahre neu aufgerollt werden“, erklärt Valenta. ArbeitnehmerInnen, die kein aufrechtes Dienstverhältnis zu Vaillant mehr haben, rät Valenta, den Anspruch schriftlich geltend zu machen bzw. einzuklagen.

Valenta erwartet österreichweite Auswirkungen auf andere Branchen, wie die sozialen Dienste oder den Pharmabereich, wo für viele Beschäftigte im Außendienst ähnliche Arbeitsbedingungen gelten: „Wir haben das Thema auch schon mit vielen Betriebsräten aus dem Sozialbereich diskutiert. Das Urteil gibt ihnen ein wirksames Instrument zur Umsetzung einer Besserstellung in die Hand.“ Die Rechtsexpertin rät den BetriebsrätInnen in Betrieben mit einer ähnlichen Sachlage dazu, die arbeitsrechtliche Umsetzung des Urteils einzufordern: „In einem ähnlichen Rechtsstreit müsste gemäß des OGH-Urteils entschieden werden. Die Rechtsansicht des Gerichtes gilt auch für Arbeiter.“ ArbeitnehmerInnen, wie ElektrikerInnen, InstallateurInnen oder MonteurInnen, die durch keinen Betriebsrat vertreten sind, können sich direkt bei der GPA-djp oder der zuständigen Fachgewerkschaft beraten lassen. Die Expertin sieht das Urteil auch angesichts der Ausweitung der zulässigen Höchstarbeitszeit auf zwölf Stunden positiv: „Es ist wichtig, dass die Anfahrts- und Rückfahrtszeiten als Arbeitszeiten gewertet werden. Sonst könnte es passieren, dass die Menschen bis zu 14 Stunden oder mehr dienstlich unterwegs sind“, erklärt Valenta.

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