Eine Studie analysiert die Situation von 30 MindestsicherungsbezieherInnen in Niederösterreich.
Fazit: Beschäftigung scheitert vor allem an mangelnder Kinderbetreuung, Krankheit, schlechten öffentlichen Verkehrsverbindungen oder niedriger Qualifikation. Asylberechtigte müssen besser Deutsch lernen und ihre Bildungsabschlüsse nostrifizieren.
„Ich hab jetzt keine abgeschlossene Lehre und Matura hab ich halt auch keine. Da bleibt halt nicht viel über für mich.“
„Ich meine, das Problem ist auch, bei vielen Arbeitgebern, die hören nur alleinerziehend, ein Kind, nein danke, und die nächste Frage ist, was machen Sie, wenn das Kind krank ist, wer passt auf das Kind auf?“
Wie leben Menschen, die Mindestsicherung, beziehen? Wie kamen sie in die Situation, nicht auf eigenen Füßen zu stehen? Würden sie gerne arbeiten? Der Wirtschaftssoziologe Bernhard Kittel (Universität Wien), Stefanie Stadlober, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Höhere Studien (IHS) sowie Laura Vogel (studentische Projektmitarbeiterin am Institut für Wirtschaftssoziologie der Uni Wien) haben dazu für eine Studie im Sommer 2018 Interviews mit 30 MindestsicherungsbezieherInnen – davon 17 ÖsterreicherInnen und elf Asylberechtigte – geführt. Die Ergebnisse wurden nun von der Arbeiterkammer Niederösterreich unter dem Titel „Die subjektive Erfahrung des Bezuges der bedarfsorientierten Mindestsicherung in Niederösterreich“ publiziert.
Wege in die Mindestsicherung
Die Schlüsse, welche die StudienautorInnen aus den Interviews ziehen: Krankheit, geringer Bildungsstandard und die Trennung vom Partner sind bei ÖsterreicherInnen gängige Wege in die Mindestsicherung, während für Asylberechtigte die Mindestsicherung als Existenzsicherung während der Aneignung der für den Eintritt in den Arbeitsmarkt notwendigen Kenntnisse dient. In ländlichen Regionen ist vielerorts neben den eingeschränkten Schul- und Kindergartenöffnungszeiten das Fehlen eines an die Taktung der Arbeit angepassten öffentlichen Verkehrs ein großes Hindernis der Arbeitsaufnahme, zumal die Höhe der Bezüge den Besitz eines eigenen Autos nicht erlauben. Während bei ÖsterreicherInnen der Bezug der Mindestsicherung ein Abgleiten darstellt, das mit zunehmender Ausweglosigkeit und Verzweiflung einhergeht, sind Geflüchtete dankbar für die Unterstützung und hoffen auf baldigen Einstieg in den Arbeitsmarkt.
Keine soziale Hängematte
Wie passt dieser Befund allerdings zur aktuellen Darstellung der Regierung, die Kürzungen bei der Mindestsicherung plant, um Menschen so zu bewegen, sich stärker um Arbeit zu bemühen? „Die Regierung assoziiert mit Beziehern der Mindestsicherung Menschen, die aus Unwillen, ihr Leben eigenständig zu gestalten, Geldleistungen aus den sozialstaatlichen Leistungen erhalten und auf diese Weise keine Anstrengungen im Leben kennen. Dieses Bild konnten wir in der Studie kaum wiederfinden“, betont Stadlober gegenüber der KOMPETENZ. „Viel eher haben wir Menschen getroffen, die sich schämen, öffentliche Geldleistungen zu erhalten, jedoch aufgrund ihrer Lebenssituation – zu hohes Alter, physische wie psychische Erkrankungen, niedriger Bildungsstand, Betreuungspflichten – keine finanzielle Eigenständigkeit aufrechterhalten können.“
Das letzte Netz
Auch Kittel kritisiert, dass in der aktuellen Diskussion über die bedarfsorientierte Mindestsicherung nicht auf die Lebenswirklichkeit der BezieherInnen eingegangen werde. In der Mindestsicherung lande man, „wenn alle vorherigen Auffangnetze und Unterstützungsmaßnahmen versagt haben. Es ist das letzte Netz“, so der Experte zur KOMPETENZ. Das Leben in der Mindestsicherung sei schon jetzt „ein prekäres Auskommen als marginalisierte und sozial stigmatisierte Person an der Kante des Abgrunds des persönlichen Absturzes“.
Das heiße nicht, dass es nicht eine Reihe von Jobs gebe, in denen man weniger verdiene als die Mindestsicherung. Aber deshalb seien ja auch ein Drittel der Mindestsicherungs-BezieherInnen Aufstocker. „Diese Menschen arbeiten also ohnedies. Ein weiteres Drittel ist auf Grund von Erkrankungen anerkanntermaßen arbeitsunfähig. Das letzte Drittel sind Asylberechtigte und MigrantInnen mit gültigem Aufenthaltstitel, die auf die Anerkennung ihrer Berufsqualifikationen warten müssen. Von diesen drei Gruppen haben Asylberechtigte und MigrantInnen die besten Chancen, eine Arbeit zu finden.“
Unter den BezieherInnen von Mindestsicherung befänden sich also nur wenige Personen, die keinen nachvollziehbaren Grund hätten und denen man daher unterstellen könnten, es sich in einer Hängematte gemütlich zu machen, so Kittel. Das heiße wiederum nicht, dass es nicht auch Menschen gebe, die sich mit der Situation arrangiert hätten. „Hier wäre zu unterscheiden zwischen älteren Personen, die nach hunderten Bewerbungen resignieren, und jüngeren Menschen, die auf Grund mangelnder Ausbildung und mangelnder Motivation keine Arbeit finden. Dieser letzte Typus ist der Hauptadressat der öffentlichen und offiziellen Hetze. Es ist schwer diese Gruppe zu beziffern, daher lässt sich alles behaupten.“
Vor allem Kinder verlieren
Als VerliererInnen der von der Regierung geplanten Kürzungen bei der Mindestsicherung nennt Kittel MigrantInnen und Geflüchtete sowie vor allem Frauen und Kinder. Insbesondere Kinder aus größeren Familien würden noch stärker marginalisiert, da weniger Geld vorhanden wäre, um zum Beispiel an Klassenreisen oder Schulausflügen teilzunehmen. „Damit sinken aber auch die in Österreich ohnedies prekären Aufstiegschancen dieser Kinder.“ Eine weitere große Gruppe von VerliererInnen wären Menschen mit Erkrankungen, „sollte das Fehlen einer Regelung der Krankenversicherung in der Gesetzesvorlage Teil des Konzepts sein und nicht ein Versehen, das in der nächsten Vorlage korrigiert wird.“
Leben am Abgrund
Liest man sich durch die in der Studie erfassten Zitate der 30 MindestsicherungsbezieherInnen, wird klar, dass das Leben mit dieser staatlichen Unterstützung schon jetzt sehr oft prekär ist. Da wird Heizen im Winter zum Problem, das Budget für Nahrungsmittel ist sehr beschränkt und Möbel oder Kleidung kann nur second hand gekauft werden. Auf der anderen Seite würden viele Betroffene gerne arbeiten, doch die Rahmenbedingungen verunmöglichen dies.
Hier würde Kittel auch ansetzen, um das Ziel, die Zahl der MindestsicherungsbezieherInnen zu senken, zu erreichen. „Man muss bei den Kontextbedingungen und den Faktoren, die dazu führen, dass ein Mensch in die Situation gerät, Mindestsicherung zu beantragen, ansetzen. Die Ausbildungspflicht bis 18 war ein wichtiger Schritt zur Senkung der Anzahl junger Menschen, die den Arbeitsmarkt ohne Berufsqualifikation betreten. Es wäre aber noch weiter vorne anzusetzen, nämlich eine massive Investition in die Qualität der Schulen und die Motivation des Lehrpersonals an Schulen. Viel zu vielen Kindern wird viel zu früh vermittelt, keine Chancen im Leben zu haben, und dann wundern wir uns über mangelnde Motivation, in die eigene Ausbildung zu investieren und eine gut bezahlte Arbeit zu suchen.“
Bei manchen jungen Menschen wäre das Erlernen von Sozialkompetenz und arbeitsmarktkompatiblem Habitus ein wichtiges Element der Vorbereitung für die Jobsuche. Dies seien Aufgaben, die keinen Platz beim AMS hätten, sondern von Sozialorganisationen übernommen würden. Genau in diesem Bereich werde gegenwärtig jedoch eingespart. „Drittens könnte die gegenwärtig recht hohe Zahl an Asylberechtigten in der Mindestsicherung relativ kurzfristig gesenkt werden, indem in eigene Programme zur Nostrifikation oder nachholenden Anpassung der Berufsqualifikationen an das in Österreich geforderte Niveau sowie in Deutschkurse investiert wird.“