Wirtschaftsvertreter fordern die gesetzliche Einführung eines Teilkrankenstandes. Für die Gewerkschaft steht die Wiederherstellung der vollen Gesundheit an erster Stelle.
Waren Sie schon einmal teilweise krank? Man sollte glauben diese Frage mit ein wenig Hausverstand und einem ironischen Lächeln abwehren zu können. Doch neuerdings werden seitens der Wirtschaftskammer Definitionen erdacht, die einen Teilkrankenstand installieren wollen. Sie möchte im Falle langer Krankenstände, bei chronischen Erkrankungen oder beispielsweise nach einem Burn-out die Arbeitsfähigkeit der MitarbeiterInnen neu beurteilt sehen.
Für die GPA-djp gehen die Vorschläge der Wirtschaftskammer ganz klar auf Kosten der ArbeitnehmerInnen. “Hier geht es in erster Linie darum, Einsparungen zu erzielen und die verbliebene Arbeitskraft einer angeschlagenen MitarbeiterIn zu verwerten. Die langfristige Arbeitsfähigkeit würde darunter in den meisten Fällen leiden“, kritisiert Claudia Kral-Bast von der Abteilung Arbeit und Technik.
Natürlich könnten beispielsweise Beschäftigte mit Gipsfuß in einem eingeschränkten Ausmaß Büroarbeiten verrichten. Kral-Bast sieht die motivierenden und stärkenden Faktoren, wenn MitarbeiterInnen nach langen krankheitsbedingten Abwesenheiten etwa zwischen einzelnen Therapieeinheiten im Betrieb mitarbeiten und sich schrittweise wieder ins Arbeitsleben integrieren können: „Die berufliche Identität geht nicht verloren und der Heilungsprozess kann durch individuell abgestimmte Reintegrationsmaßnahmen positiv beeinflusst werden. Das kann jedoch nur funktionieren, wenn Entgelt und sonstige kollektivvertragliche oder betriebliche Ansprüche erhalten bleiben.“ Jeder direkte oder indirekte Zwang zu derartigen Vereinbarungen wäre in jeder Hinsicht kontraproduktiv.
Freiwilligkeit
Derzeit gibt es im Rahmen der bestehenden Rechtslage genügend Möglichkeiten, um Menschen nach langen Krankenständen wieder ins Erwerbsleben zu integrieren. Andrea Komar, Leiterin der Bundesrechtsabteilung der GPA-djp, kennt gut funktionierende Modelle – beispielsweise im Bankenbereich – um Beschäftigte nach Operationen, Unfällen oder schweren Erkrankungen schrittweise wieder ins Erwerbsleben einzugliedern: „In Gesprächen zwischen MitarbeiterIn, BetriebsärztIn und Arbeitgeber werden einvernehmliche Lösungen erarbeitet, die auf die jeweiligen Beschäftigten zugeschnitten sind.“ So kann beispielsweise das Tätigkeitsfeld – unter Berücksichtigung von Gleichwertigkeit und Qualifikation- verändert oder die Arbeitszeit angepasst werden. Dabei wird geschaut, welche Tätigkeiten die betroffene MitarbeiterIn nicht mehr oder nur schwer ausüben kann und welche besonderen Bedürfnisse sie nach ihrer Erkrankung hat.
Gesetz erzeugt Druck
Gesetzliche Regelungen lehnt die Expertin in diesem Zusammenhang ab: „Das schafft eine Zwangssituation und würde in vielen Fällen starken Druck auf die Beschäftigten erzeugen, auch Lösungen zuzustimmen, die sich eher an den betrieblichen Erfordernissen anstatt an den eigenen gesundheitlichen Bedürfnissen orientieren“, so Komar.
Da würde dann aus Angst vor Benachteiligungen oder Jobverlust einer teilweisen Rückkehr auf den Arbeitsplatz zugestimmt werden. Oder die ArbeitnehmerInnen muten sich subjektiv eine teilweise Arbeitsfähigkeit wieder zu, obwohl ihre Gesundheit noch nicht im ausreichenden Ausmaß wiederhergestellt ist.
Denn bereits jetzt besteht in der Arbeitswelt ein enormer Druck auch dann zur Arbeit zu erscheinen, wenn man krank ist. Studien aus Deutschland zeigen, dass dort rund die Hälfte der Beschäftigten mehr als zehn Tage im Jahr arbeiten geht, obwohl sie krank sind.
Knackpunkt Gesundheitsdaten
Rechtsexpertin Komar erkennt einen weiteren wunden Punkt: „Wird eine Beschäftigte nach längerer Krankheit wieder in den Betrieb eingegliedert, so entsteht die Notwendigkeit, dem Arbeitgeber Informationen zur Leistungsfähigkeit und zum Gesundheitszustand mitzuteilen.“ Das öffnet Tür und Tor dazu, dass der Arbeitgeber Auskunft über Behandlungsdetails oder den Gesundheitszustand der ArbeitnehmerIn ganz allgemein haben möchte. Im Falle freiwilliger Vereinbarungen können Bedürfnisse nach eigenem Gutdünken mitgeteilt werden. Im Rahmen einer gesetzlichen Regelung könnten allzu rasch – unter dem Deckmantel der Fürsorgepflicht – alle Krankheitsdaten und Diagnosen gefordert werden.
Auch die Einschätzung der Arbeitsfähigkeit birgt Gefahren. Im Falle eines Teilzeitkrankenstandes wird immer eine ÄrztIn beurteilen, ob und wieweit eine MitarbeiterIn arbeitsfähig ist. Dadurch entstehen Situationen wo es heißt: „diese Arbeit können Sie aus gesundheitlichen Gründen derzeit nicht erledigen, aber zu dieser oder jener Tätigkeit wären Sie in der Lage.“ In der Praxis stellen derartige Änderungen des Tätigkeitsbereiches oder der Bedingungen zu denen gearbeitet wird, massive Eingriffe in gültige Arbeitsverträge dar. Dadurch würde der bestehende Versetzungs- und Berufsschutz aufgeweicht.
Gesundheitsförderung
Aus Sicht der Gewerkschaft wäre es sinnvoller, stärker in die Prävention und in die Gestaltung guter Arbeitsbedingungen zu investieren. Man sollte größere Anstrengungen zur Wiederherstellung der vollen Gesundheit der ArbeitnehmerInnen unternehmen anstatt den Druck auf rekonvaleszente MitarbeiterInnen zu erhöhen. Dies wäre durch eine gesetzliche Verpflichtung zur betrieblichen Gesundheitsförderung -die bisher auf freiwilliger Basis geschieht- oder durch eine flächendeckende Verlängerung der Erholungsmöglichkeiten erreichbar. Gute ArbeitgeberInnen wissen: Jede Investition in diesem Bereich kommt in den Betrieb zurück.