Im Herbst starten die großen Kollektivvertragsrunden, bei denen die Gewerkschaften die Löhne und Gehälter für insgesamt 800.000 Beschäftigte verhandeln. Lohnkürzungspolitik wäre der komplett falsche Weg.
Der Herbst ist die Zeit wichtiger Lohn- und Gehaltsrunden. Ende September übergaben die Gewerkschaften PRO-GE und GPA-djp die Forderungen der etwa 180.000 Beschäftigten der Metallindustrie an die Arbeitgeber. Am 21. Oktober starten die Verhandlungen für die rund 500.000 Angestellten des Handels. Auch der private Gesundheits- und Sozialbereich mit etwa 100.000 Beschäftigten beginnt im Dezember mit den Verhandlungen. Für knapp 800.000 Beschäftigte werden somit im Herbst die Weichen für die künftige Lohn- und Gehaltsentwicklung gelegt.
Die Rahmenbedingungen für die heurigen Herbstrunden sind nicht einfach. Die europäische Konjunktur will sich nicht erholen, dazu kommt eine anhaltend hohe und nach wie vor steigende Arbeitslosigkeit auch in Österreich und ein Klima der Verunsicherung angesichts vieler globaler Probleme.
Eklat zu Beginn
Nicht wenige Vertreter der Arbeitgeber nehmen schon seit geraumer Zeit die wirtschaftlichen Probleme zum Vorwand, um wichtige Grundstrukturen der Lohn- und Gehaltsfindung in unserem Land in Frage zu stellen. Die Aufkündigung der Verhandlungsgemeinschaft in der Metallindustrie im Jahr 2011 war ein klares Signal in diese Richtung. Ganz off en wird ein Weg gewiesen, der der Zurückdrängung gewerkschaftlicher Verhandlungsmacht und einer Lohnkürzungspolitik das Wort redet. Den Gewerkschaften ist es aber gelungen, weiterhin einheitliche Abschlüsse in der Metallindustrie sicherzustellen.
Zum Start der diesjährigen Verhandlungen kam es dann zum Eklat. Die Arbeitgeber verweigerten die Aufnahme von Gesprächen mit dem Argument, vorher müsse Klarheit über die geplanten Maßnahmen der Regierung (Stichwort sechste Urlaubswoche) geschaffen werden, damit die Unternehmen wissen, was auf sie zukomme. „Dieses Vorgehen stellt einen einmaligen Affront gegenüber den Beschäftigten und den Gewerkschaften dar und wird heftige Gegenmaßnahmen hervorrufen“, so der Verhandlungsführer der GPA-djp Rudolf Wagner. Am 29. September forderten 2.000 BetriebsrätInnen der gesamten Metallindustrie auf einer Konferenz in Wien die Arbeitgeber auf, die Verhandlungen aufzunehmen und auf ihre Bedingungen umgehend zu verzichten. Klar ist, dass die Bedeutung dieses Konflikts weit über die Metallindustrie hinausgeht und auf die gesamte Sozialpartnerschaft und die Kollektivvertragslandschaft Auswirkungen hat. Ziel hinter dem Agieren der Arbeitgeber ist es, gewerkschaftliche Verhandlungsmacht nachhaltig zu schwächen und mittel- und langfristig Löhne und Gehälter zu senken. Die Logik der Arbeitgeber: Nur mit Lohnzurückhaltung könnten sich die Betriebe im harten internationalen Wettbewerb behaupten.
Dabei ist der Konsum genau jetzt eine wichtige Stütze der Konjunktur. Nachhaltige Lohnerhöhungen sind daher dringend nötig, um die positiven Effekte der Lohnsteuerreform wirksam werden zu lassen. „Die Kollektivvertragsverhandlungen stehen vor der Aufgabe, jenen Spielraum für Lohnerhöhungen zu finden, der sowohl die Steigerung der Einkommen und damit der Konsumnachfrage als auch die Wettbewerbsfähigkeit und damit den Export berücksichtigt“, steckt Markus Marterbauer, der Leiter der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK-Wien, den Rahmen ab.
Stärkung der Inlandsnachfrage
In den vergangenen Jahren war die Schwäche der Konsumausgaben zu einem erheblichen Teil verantwortlich für die lahme Konjunktur. Auch für heuer erwartet die Europäische Kommission ein Wachstum der realen Konsumnachfrage um nur ein halbes Prozent in Österreich, demgegenüber soll sie in Deutschland um zweieinhalb Prozent wachsen. „Die deutsche Wirtschaft hat sich erst aus der langen Stagnation befreien können, seit die Löhne wieder kräftiger zulegen. Heuer und im kommenden Jahr sollen sie dank gesetzlichem Mindestlohn und kräftigen Lohnabschlüssen pro Kopf um drei Prozent zunehmen. Das schaff t auch Spielraum für Österreich, im Interesse von fairer Verteilung, Konsum, Produktion und Beschäftigung“, erklärt Marterbauer.
Vorbild Deutschland?
Alle europäischen Länder, in denen die Realeinkommen sinken, befinden sich in einer gefährlichen Abwärtsspirale in der wirtschaftlichen Entwicklung. Oft wird von den Arbeitgebern Deutschland als Vorbild für ökonomischen Erfolg gesehen. Vergessen wird, dass in Deutschland aktuell unter anderem wegen der Einführung von Mindestlöhnen die Realeinkommen wieder steigen. Die steigende Nachfrage ist ein wesentlicher Faktor für die wieder besser werdende Konjunktursituation in unserem Nachbarland. „Wenn man schon das Vorbild Deutschland bemüht, dann muss man schon die ganze Wahrheit sehen“, meint Metall-Verhandler Rudolf Wagner.
Erfreulich ist, dass die österreichischen ArbeitnehmerInnen mit der Lohnsteuerreform ab 2016 eine deutliche Entlastung verspüren werden. GPA-djp-Vorsitzender Wolfgang Katzian pocht aber darauf, dass die Beschäftigten auch tatsächlich davon profitieren sollen: „Es wäre aber absurd, wenn die positiven Effekte der Steuerreform auf die Einkommen der Beschäftigten durch niedrige Gehaltsabschlüsse zunichte gemacht werden.“
Nach wie vor hat die Metallindustrie eine wichtige Schlüsselrolle in der gesamten Wirtschaft. Daher wirkt sich die Verhandlungskraft in dieser Branche auf alle Beschäftigten im Land aus. Für viele Wirtschaftsbereiche gibt dieser Kollektivvertrag eine wichtige Orientierung, er war über die Jahre hinweg immer eine volkswirtschaftliche Messgröße. „Nicht zuletzt deshalb tragen die Gewerkschaften und die BetriebsrätInnen der Metallindustrie eine besondere Verantwortung für einen Lohn- und Gehaltsabschluss, der die Kaufkraft und die Struktur mit einem einheitlichen Abschluss aller Fachverbände auch in Zukunft absichert“, betont Katzian.
Arbeitszeit gestalten
Studien zeigen, dass die österreichischen ArbeitnehmerInnen mehrheitlich kürzer arbeiten wollen. „Wir haben eine Retro-Modell. Insbesondere Männer haben überlangen Arbeitszeiten mit Überstunden, während Frauen in immer größerem Ausmaß Teilzeit arbeiten. Das muss sich ändern und wird auch in den Kollektivvertragsrunden eine Rolle spielen“, verspricht Katzian.
Nachdem auf gesetzlicher Ebene bei der leichteren Erreichbarkeit der sechsten Urlaubswoche bislang keine Einigung erzielt werden konnte, wird die GPA-djp diese Forderung auf der Ebene der Kollektivverträge vorantreiben. „Es kann nicht sein, dass gerade ArbeitnehmerInnen, die die immer geforderte Flexibilität an den Tag legen, gegenüber jenen benachteiligt werden, die ihrem Arbeitgeber treu sind“, so GPA-djp-Geschäftsbereichsleiterin Helga Fichtinger. Vor allem Frauen haben viel häufiger unterbrochene Erwerbsbiografien, die leichtere Erreichbarkeit der sechsten Urlaubswoche ist damit auch ein Schritt in Richtung größere Einkommensgerechtigkeit. Die Verlängerung von Urlauben und Auszeiten ist auch aus gesundheitlicher Sicht eine dringende Frage.
Dass die Gewerkschaften bereit sind für flexible Lösungen, haben sie durch die Freizeitoption, die in der Elektroindustrie ein Erfolgsmodell ist, bewiesen. „Wir werden diese Option, die auf einer freiwilligen Vereinbarung über den Verzicht auf eine Ist-Gehaltserhöhung zugunsten von mehr Freizeit beruht, weiter auch in anderen Branchen forcieren“, so Fichtinger.
1.700 Euro Mindestgehalt
Im Handel konnte im Vorjahr ein Mindestgehalt von 1.500 Euro umgesetzt werden. „Die weitere Anhebung der Mindestgehälter wird auch in der heurigen Runde ein wichtiges Thema sein, sodass wir dem Ziel, die Mindestgehälter auf 1.700 Euro anzuheben, einen Schritt näher kommen“, so der GPA-djp-Verhandler Manfred Wolf. „Der Handel hat in den vergangenen Jahren nicht schlecht verdient und eine kräftige Gehaltssteigerung für diese große Beschäftigtengruppe ist ein enorm wichtiger Impuls für die Inlandsnachfrage, damit auch wiederum für den Handel selbst und darüber hinaus für die gesamte Volkswirtschaft“, erklärt Wolf.
Verfügbare Einkommen gesunken
Mitte September veröffentlichte die OECD eine Studie, aus der hervorgeht, dass die verfügbaren Einkommen in Österreich seit 2007 um zwei Prozent gesunken sind. Die Ursache dafür ist jedoch nicht in den Lohn- und Gehaltsverhandlungen zu suchen. Denn diese Einkommen sind inflationsbereinigt und auch alle Haushalte von PensionistInnen und Arbeitslosen werden mit einbezogen. Vor allem Strukturveränderungen am Arbeitsmarkt, hohe Arbeitslosigkeit, höhere Teilzeitquoten und viele Menschen mit nicht ganzjähriger Beschäftigung führen zu dieser Entwicklung. Umso weniger ist daher eine Zurückhaltung bei den Lohn- und Gehaltsverhandlungen angebracht. Die Zahlen der Studie zeigen auch die dringende Notwendigkeit einer Senkung der Lohnsteuer und der gerechteren Verteilung der Arbeit durch eine innovative Arbeitszeitpolitik und letztendlich die deutliche Anhebung der Mindestlöhne und -gehälter.
„Der Weg Österreichs ist nicht jener des Lohndumpings und der Billigjobs. Alle die meinen, wir müssten diesen Weg einschlagen, werden in uns einen erbitterten Gegner finden. Wir wollen einen offensiven und zukunftsorientierten Weg gehen, der auf hohen Löhnen und Gehältern und Qualifizierung beruht“, verspricht GPA-djp-Vorsitzender Wolfgang Katzian.
Mehr Information zum aktuellen Verhandlungsstand der jeweiligen Branchen finden Sie auf www.gpa-djp.at