Kommentar: Das Märchen vom Tellerwäscher

Gerechte Verteilung ist die Voraussetzung für die Chancengleichheit zukünftiger Generationen.

Vom Tellerwäscher zum Millionär. Wenn ich mich nur genügend anstrenge, kann ich alles werden oder zumindest meinen Kindern ein besseres Leben ermöglichen. So oder so ähnlich lautet der amerikanische Traum. Hinter diesem Traum steht die Überzeugung, dass selbst in einer ungleichen Gesellschaft Chancengleichheit bestehen kann. Branko Milanovic, Ungleichheitsforscher und Professor an der City University of New York hat den „American Dream“ nun ins Reich der schönen Märchen verbannt: Anhand von US-Mikrodaten für die Jahre 1960 bis 2010 hat Milanovic gezeigt, dass arme Menschen in jenen US-Staaten, in denen die Ungleichverteilung besonders hoch ist, ein geringeres Einkommenswachstum und eine geringere soziale Mobilität verzeichneten.

Die USA verhalten sich laut Milanovic damit nicht anders, als andere Gesellschaften mit einer hohen Ungleichheit: Hohe Einkommens-ungleichheit führt zu geringer Chancengleichheit und wenig Aufstiegsmöglichkeiten für die nächste Generation.
Das ist eine wichtige Erkenntnis, denn sie bestätigt einmal mehr, dass Umverteilung nicht – wie Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung es gerne darstellen –„ein Thema von Vorgestern“ oder aus der „Mottenkiste“ ist. Vielmehr entscheidet die Einkommensverteilung von heute ganz konkret darüber, welche Chancen unsere Kinder und Enkelkinder in der Zukunft vorfinden werden. Wenn sich die Einkommensungleichheit verfestigt, dann wird das auch auf die nächsten Generationen übertragen.

Die meisten Diskussionen über Verteilungsgerechtigkeit – egal ob am sprichwörtlichen Stammtisch oder in der Politik – finden auf der Ebene persönlicher Betroffenheit statt. Wer für seinen Grundbesitz ein paar Euro an Vermögenssteuern bezahlen soll, findet das lästig. Wer die Gefahr sieht, dass sein hohes Einkommen stärker besteuert werden könnte, reagiert verärgert. Wer fürchtet, seine Aktiengewinne könnten höher besteuert werden, reagiert genauso empört wie ein Industrieller im Zusammenhang mit höheren Gewinnsteuern. Wo käme man denn da hin, das was einem zusteht, mit dem Finanzminister zu teilen. Die persönliche Betroffenheit gewinnt die Überhand und bestimmt die politische Meinung. Das bewirkt, dass selbst Menschen, die von diesen Maßnahmen gar nicht betroffen wären, zum Teil ablehnend reagieren. Denn: Was mich heute nicht betrifft, könnte mich oder meine Kinder morgen betreffen, wenn wir zu Geld gekommen sind.

Was dabei völlig ins Hintertreffen gerät: Verteilungsgerechtigkeit ist kein Luxus, auf den wir verzichten können, wenn wir ihn uns nicht leisten wollen. Verteilungsgerechtigkeit ist entscheidend dafür, wie die Gesellschaft aussieht, in der wir und unsere Kinder leben – heute und in der Zukunft. Wann immer wir daher über Verteilungsgerechtigkeit diskutieren, sollten wir versuchen, den eigenen Egoismus ein bisschen hintenan zu halten und daran denken, welche Zukunft wir uns für unsere Kinder wünschen.

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