Isabel Koberwein, Sozialrechtsexpertin in der GPA-djp anlysiert im Interview die Reform von Mindestsicherung und Notstandshilfe und erklärt, was wir zu erwarten haben.
KOMPETENZ: Die Bundesregierung hat beschlossen, die Mindestsicherung zu reformieren. Was bedeutet die Neuregelung für Kinder?
Isabel Koberwein: Durch die Mindestsicherung Neu sind Familien mit Kindern von massiven Kürzungen betroffen. Diese ergeben sich vor allem durch die degressive Gestaltung der Richtsätze für Kinder. Zu verstehen ist darunter, dass die maximalen Leistungen mit der Anzahl der Kinder sinken. Für das erste Kind stehen noch maximal 25 Prozent der vollen Höhe von 863 Euro zu, das zweite Kind erhält höchstens 15% und das dritte, sowie jedes weitere Kind, kann nur mehr 5 Prozent an Leistungshöhe erwarten. Konkret sind das nur mehr maximal 43 Euro ab dem dritten Kind. Eine Familie mit 2 Kindern hat so Kürzungen von rund 200 Euro, bei 3 Kindern machen die Einschnitte schon knapp 400 Euro aus. Noch krasser trifft es Kinder von Eltern, die nicht ausreichend Deutsch sprechen. Bis zu 1.000 Euro können einer Familie mit drei Kindern gestrichen werden.
„Es ist somit jedenfalls mit steigender Kinderarmut zu rechnen. Aus der Sicht der Bundesregierung ist offenbar nicht jedes Kind gleich viel wert.“
Isabel Koberwein, Sozialrechtsexpertin in der GPA-djp Grundlagenabteilung
Fast ein Drittel aller MindestsicherungsbezieherInnen sind Kinder und Jugendliche, ein großer Teil von Ihnen – fast 65.000 – sind unter 14 Jahre. Für die Familien dieser Kinder gibt es nun weniger Geld für Essen, Kleidung oder Schul- und Freizeitaktivitäten und es gilt, je mehr Kinder in der Familie, umso weniger Leistungen sind möglich. Es ist somit jedenfalls mit steigender Kinderarmut zu rechnen. Aus der Sicht der Bundesregierung ist offenbar nicht jedes Kind gleich viel wert. Gezeigt hat sich diese Haltung auch durch die Einführung des Familienbonus. Dieser begünstigt in erster Linie gut verdienende Personen. Menschen mit niedrigen Einkommen können den Familienbonus in vielen Fällen entweder gar nicht, oder nicht in voller Höhe zur Anrechnung bringen. In Summe bedeuten Mindestsicherung und Familienbonus also, dass Kinder von reichen Eltern belohnt und Kinder von armen Eltern bestraft werden.
KOMPETENZ: Viele BezieherInnen der Mindestsicherung sind sogenannte Aufstocker. Sie arbeiten, aber weil sie zu wenig verdienen, bekommen sie zusätzlich Geld aus der Mindestsicherung. Wie hilft die Reform diesen Menschen?
Isabel Koberwein: Durch die Darstellung der Bundesregierung wird der Eindruck erweckt, als ob die meisten BezieherInnen der Mindestsicherung arbeitslos seien. Richtig ist aber eben, dass zwei Drittel der BezieherInnen die Mindestsicherung nur in Form eines Teilbezuges in Anspruch nehmen. Die FPÖ hat im Vorfeld der Neuregelung behauptet, sie wolle den sogenannten AufstockerInnen das Leben erleichtern, indem der Vermögenszugriff bei dieser Personengruppe fallen soll. Eingelöst wurde dieses Versprechen allerdings nicht. Auch weiterhin muss ein vorhandenes Vermögen aufgebraucht werden bevor Mindestsicherung bezogen werden kann. Lediglich der Freibetrag wurde erhöht von bislang 4.315 Euro auf 5.200 Euro und ein Zugriff auf Immobilieneigentum kann künftig erst nach drei Jahren erfolgen. Über ein wesentliches Vermögen verfügen die meisten auf Mindestsicherung angewiesenen Menschen in aller Regel nicht. Für viele Menschen ohne ausreichende Deutschkenntnisse, wird künftig beispielsweise die Möglichkeit wegfallen, eine geringe Notstandshilfe mit der Mindestsicherung auf eine halbwegs existenzsichernde Höhe aufzustocken.
KOMPETENZ: Die Bundesregierung behauptet, die Kosten für die Mindestsicherung würden explodieren. Ist das der Fall?
Isabel Koberwein: Wenige Tage vor Präsentation der Mindestsicherungspläne hat die Bundesregierung eine ganze Reihe falscher Zahlen zur Mindestsicherung verbreitet, sowohl zu den angeblich explodierenden Kosten als auch zum angeblich drastischen Anstieg der Zahl der LeistungsbezieherInnen. Die gemachten Angaben sind in keiner Weise nachvollziehbar. Wahr ist, dass die Ausgaben der Länder und Gemeinden für die Mindestsicherung im Jahr 2017 lediglich 977 Mio. Euro ausgemacht haben. Das sind weniger als 1 Prozent der gesamten jährlichen Sozialausgaben. Wahr ist auch, dass im Vergleich zum Jahr 2016 nur eine geringfügige Steigerung der Anzahl an Menschen, die Mindestsicherung beziehen zu verzeichnen war, nämlich ein Plus von 0,1 Prozent. Im Schnitt beläuft sich die Höhe der bezogenen Mindestsicherung pro Haushalt – und nicht pro Person! – auf 606 Euro, bei einer Familie mit vier oder mehr minderjährigen Kindern, betrug dieser Wert lediglich 1.233 Euro.
KOMPETENZ: Was bedeutet die Kürzung in der Mindestsicherung in Zusammenhang mit der Abschaffung der Notstandshilfe?
Isabel Koberwein: Zur Notstandshilfe haben sich verschiedene RegierungsvertreterInnen ja in einige Widersprüchlichkeiten verstrickt und verlässliche Aussagen vermissen lassen. Im Regierungsprogramm ist die Abschaffung jedenfalls klar vorgesehen. Würde die Notstandshilfe wie geplant in der gekürzten Mindestsicherung aufgehen, so würde nicht nur die Anzahl der MindestsicherungsbezieherInnen drastisch ansteigen. Die Betroffenen haben damit zu rechnen, dass erspartes Geld, eine Eigentumswohnung oder ein Auto erst verwertet werden muss, bevor nach dem Auslaufend es Arbeitslosengeldes Leistungen bezogen werden können. Die Beteuerungen des Vizekanzlers, wonach die Notstandshilfe auch nach der Reform des Arbeitslosengeldes eine Versicherungsleistung ohne Vermögenszugriff bleiben werde, könnten genauso wenig wert sein wie seine leeren Versprechen, die er im Hinblick auf den Vermögenszugriff bei AufstockerInnen in der Mindestsicherung abgegeben hat.Wenn die Notstandshilfe durch die Mindestsicherung ersetzt wird bedeutet das auch, dass in der Zeit des Leistungsbezugs keine Pensionszeiten erworben werden und sich die Problematik der Altersarmut weiter verschärfen wird. 2017 haben durchschnittlich 157.500 Menschen Notstandshilfe bezogen, mehr als ein Drittel dieser Menschen sind über 50 Jahre alt und fast 80 Prozent davon sind übrigens ÖsterreicherInnen.
KOMPETENZ: Wie ist dieses Gesetz in Hinblick auf die Verfassung zu beurteilen?
Isabel Koberwein: Es gibt bei der Mindestsicherung neu eine Reihe von Punkten, die aus der Sicht von VerfassungsexpertInnen als bedenklich eingestuft werden. Der Verfassungsgerichtshof hat erst im vergangenen März klargestellt, dass das niederösterreichische Mindestsicherungsmodell, das einen Maximalbetrag unabhängig von der Anzahl der im Haushalt lebenden Personen vorsieht, als verfassungswidrig ist. Vor diesem Hintergrund ist beispielsweise die nun vorgesehene Senkung des Richtsatzes für Kinder auf nur 5 Prozent des Basisbetrages ab dem 3. Kind durchaus als kritisch zu sehen. Auch die geplante Deckelung der Geldleistung pro Haushalt, wenn mehrere Personen Mindestsicherung beziehen könnte nicht haltbar sein. Genauso bedenklich ist auch die beabsichtigte Kürzung der Leistungshöhe für Asylberechtigte.