Konservative Wende

Philosophin und Autorin Lisz Hirn im Interview mit der KOMPETENZ
Foto: Nurith Wagner-Strauss

Ein bereits überkommen geglaubtes Gesellschaftsbild fasst wieder Fuß und drängt Frauen ins Abseits. Schade, wenn auch so manche Frau das unterstützt, meint Philosophin und Autorin Lisz Hirn im Interview mit der KOMPETENZ.

KOMPETENZ: In Ihrem eben erschienenen Buch „Geht’s noch!“ warnen Sie, dass die konservative Wende für die Frauen gefährlich ist. Woran machen Sie diese konservative Wende konkret fest?

LISZ HIRN: Die hat natürlich mehrere Facetten. Mir geht es um ein altes, neues Gesellschaftsbild: Die klassische Vater-Mutter-Kind-Familie soll gefördert werden, während andere Familienmodelle wie AlleinerzieherInnenhaushalte durch die Finger schauen. Konservative Konzepte, die stark auf hierarchischen Strukturen, auf Leistungsdenken beruhen, werden jetzt stark unterstützt, während andere, die auf Kooperation und Solidarität beruhen, eher geschwächt werden.

KOMPETENZ: Die Regierung Kurz hat ja einige Ministerinnen, unter ihnen Elisabeth Köstinger, die während des Ministeramts Mutter wurde und bald darauf wieder an den Arbeitsplatz zurückkehrte. Wie passt das mit dem viel beschworenen Heim-an-den-Herd-Schema zusammen?

„Die klassische Vater-Mutter-Kind-Familie soll gefördert werden, während andere Familienmodelle wie AlleinerzieherInnenhaushalte durch die Finger schauen.“

Lisz Hirn, Autorin und Philosphin

LISZ HIRN: Es passt sogar sehr gut zusammen, weil es ja ein klassisches Phänomen ist, dass sobald Konservative in der Regierung sind, diese Quotenfrauen, die sie eigentlich gar nicht gerne haben, an anderen Stellen, drinnen sind, die dann Frau-Sein sehr sauber präsentieren, die Mutter werden und das alles perfekt vereinbaren können. Was aber vergessen wird, ist, dass das tatsächlich einzelne Frauen sind, die das geschafft haben, auch weil sie oft privilegiert sind. Durch diese „Vorbilder“ wird den anderen Frauen allerdings vermittelt, sie müssten sich nur mehr anstrengen, dann könnten sie es auch schaffen. Doch wie soll das gehen, wenn sie in finanziell schwachen Verhältnissen leben? Dann zu sagen, sie hätten sich halt nur mehr anstrengen müssen, das ist schon sehr zynisch.

Auch die Ansage, Frauen müssten nur den richtigen Job wählen, dann verdienten sie ja eh auch so viel wie Männer, verkennt die Situation. Allein die Wertung der Gesellschaft, dass der Pflegeberuf weniger wert ist als die Arbeit eines Mechanikers, sagt schon etwas aus. An dieser strukturellen Diskriminierung müssen wir etwas ändern.

KOMPETENZ: Der Gender Pay Gap wird allerdings gerne mit der großen Anzahl von Frauen, die Teilzeit arbeiten, argumentiert.

LISZ HIRN: Ja. Das Thema ist sehr komplex. Zum einen gibt es eine unterschiedliche Bewertung von Arbeitsfeldern. Teilzeitarbeit ist auch ein Faktor. Andererseits zeigt die konservative Wende nun den Umstand, dass wir Frauen auch nie so emanzipiert waren, wie wir dachten, und daher konservative Bewegungen auf fruchtbaren Boden treffen. Privilegiertere Frauen, die es sich leisten können, einen Privatkindergarten zu zahlen, sind nicht so stark betroffen wie Frauen, die das nicht können, die daheim bleiben müssen, weil sie vielleicht mehrere Kinder haben und sich die Erwerbsarbeit nicht mehr auszahlt.

„Der 12-Stunden-Tag stellt Eltern vor ungeahnte Herausforderungen.“

Lisz Hirn, Autorin und Philsophin

KOMPETENZ: Was wären Ansätze, um hier entgegenzuwirken?

LISZ HIRN: Jedenfalls nicht auch noch die Arbeitszeit zu erhöhen. Der 12-Stunden-Tag stellt Eltern vor ungeahnte Herausforderungen. Maßnahmen wie diese Arbeitszeitflexibilisierung führen nur dazu, dass einer daheim bleiben muss, weil das sonst nicht finanzierbar ist. Kinderbetreuung ist teuer und schwer zu bekommen.

Philsophin Liz Hirn im Interview über die Konservative Wende in der Gleichstellungspolitik
Fotos: Nurith Wagner Strauss

LISZ HIRN: Grundsätzlich müssten Männer noch viel stärker in die Verantwortung genommen werden. Was ist der Papamonat im Vergleich zu 200 anderen Erziehungsmonaten, die dann Frauensache sind? Auch das Bewusstsein, dass der Papa nicht „mithilft“, sondern der Papa gleichberechtigter Teil und Partner und nicht nur eine Unterstützung der Erziehungsarbeit ist. Ich finde es bedenklich, dass wir im 21. Jahrhundert noch immer betonen, dass Kindererziehung alleine eine Müttersache, also Frauensache ist. Das ist eine sehr konservative Idylle, die allerdings auf Kosten der Frauen geht. Es ist abenteuerlich, welches Mutterbild den jungen Frauen als vermeintlich „natürlich“ verkauft wird.

KOMPETENZ: In Ihrem Buch kritisieren Sie aber nicht nur die sogenannten Biedermänner, sondern auch die Biederfrauen. Wer sind die Biederfrauen?

LISZ HIRN: Das sind Frauen, die einen gemäßigten Feminismus vertreten. Die sagen, wir haben eh viel erreicht, ich konnte eine gute Ausbildung machen, ich lebe in einer Beziehung, in der die Haushaltsaufgaben nicht gleich verteilt sind, aber ich habe mich damit arrangiert, so hat das die Natur eben vorgegeben. Ich genieße aber schon die Freiheitsrechte, dass ich zum Beispiel Zugang zu Verhütungsmitteln habe. Oder: Während einige Frauen aktiv für eine Verringerung des Gender Pay Gap und für die Frauenquote kämpfen, meinen Biederfrauen häufig, dass es jede Frau alleine schaffen muss. Dass es sich vielfach um strukturelle Diskriminierung handelt, wird übersehen. Vor allem aber sehen sie nicht, dass, obwohl es ihnen jetzt gut geht, auch ihre Freiheiten am Ende des Tages beschränkt werden könnten.

KOMPETENZ: Warum macht sich gerade jetzt dieser Konservativismus wieder breit?

LISZ HIRN: Liberale Maßnahmen brauchen viel mehr Zeit, um sich durchsetzen zu lassen. In Krisensituationen kommt aber wieder der Wunsch nach Sicherheit und Stabilität auf. Die scheinen rechtskonservative Modelle eher bieten zu können als liberale.

Eine Struktur und eine klare Hierarchie zu haben, wo man Menschen einordnet, klassisch-konservative Weltbilder von ÖVP, FPÖ, die sind leichter umsetzbar. Wenn man es nicht schafft, von Generation zu Generation ein Bewusstsein dafür zu verankern, wenn man nicht immer wieder an diesem Bewusstsein arbeitet, besteht die Gefahr, dass unsere Freiheiten sukzessive eingeschränkt werden. Warum der Konservativismus gerade jetzt besonders gefährlich ist? Wir sind zwar immer regional, lokal verankert, aber wir haben globale Probleme zu lösen. Der soziale Frieden wird durch diesen Backlash definitiv gefährdet, da Ungerechtigkeiten nicht nur global, sondern auch in den lokalen Gesellschaften verstärkt werden.

Zur Person

Lisz Hirn, geb. 1984, Publizistin und
Philosophin. Arbeitet in der Jugend- und Erwachsenenbildung und ist Obfrau des „Vereins für praxisnahe Philosophie“.
Hirn lebt mit ihrem Partner und ihrer Tochter in Wien.
www.liszhirn.at

Lisz Hirn

Geht’s noch!
Warum die konservative Wende für Frauen gefährlich ist

Wien 2019, Molden Verlag, 144 Seiten,
20 Euro, ISBN 978-3-222-15030-2

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