Der Kolumnist der auflagenstärksten Tageszeitung des Landes beschimpft den Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung Falter tief unter der Gürtellinie, weil dem Kronen- Zeitung-Schreiber die im Falter veröffentlichten Enthüllungen über die Spesen von ÖVP-Chef Sebastian Kurz nicht gefallen.
Eine Falter-Journalistin wird von der ÖVP nicht zu einem Presse-Hintergrundgespräch in der Parteizentrale zugelassen. Erst nach Protesten des Presseclubs Concordia, der Journalistengewerkschaft und von Journalistenkollegen lenkt die Volkspartei bei der Folgepressekonferenz ein.
Zusätzlich wurde der Falter von der ÖVP öffentlich attackiert, weil wir unsere Recherchen auf heimlich zugespielte Insiderdokumente stützen – der ÖVP aber natürlich ausreichend Möglichkeit gaben, zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen.
„Der Überbringer schlechter Nachrichten wird geköpft“, heißt es schon in der Bibel. Menschlich ist es durchaus nachvollziehbar, dass Politiker (egal welcher Parteifarbe) sich alles andere als freuen, wenn Medien ihren Job tun, lästig sind, nachhaken und das ans Licht bringen, was andere gerne im Dunkeln gelassen hätten.
„Der Überbringer schlechter Nachrichten wird geköpft“
Die Bibel
Was sich aber in den vergangenen Wochen in Sachen Pressefreiheit in Österreich abspielte, war von einer neuen Qualität. Und gleichzeitig die Fortsetzung jenes Kurses, der ab Dezember 2017 von der damaligen türkis-blauen Bundesregierung eingeschlagen wurde. Es begann mit der sogenannten „message control“. Mit einer Armada an Presse- und PR-MitarbeiternInnen tat die ÖVP/FPÖ-Regierung alles in ihrer Macht stehende, damit medial möglichst nur jene Themen behandelt werden, die sie behandelt haben wollten.
Pressefreiheit ist kein Gnadenakt.
Sie ist wesentlicher Bestandteil einer Demokratie. Wer als Bürgerin und Bürger mitentscheiden will, wer die Demokratie in seinem Land mitgestalten möchte, braucht Informationen. Diese bekommt nur, wer in einem Land mit freien, kritischen, unabhängigen Medien lebt, einem Land, in dem JournalistInnen Fragen stellen dürfen und auf diese Fragen auch Antworten bekommen.
Derzeit ist das in Österreich zumindest meistens der Fall. Wer in Österreich als JournalistIn arbeitet, muss weder Gefängnis noch Übergriffe oder Ähnliches fürchten. Das sollte uns aber nicht übersehen lassen, dass es in der jüngsten Vergangenheit mehr als einmal Vorfälle gegeben hat, die wachsam machen sollten.
Angriffe auf Medien
Im Winter 2017, die türkis-blaue Regierung war damals erst ganz frisch angelobt, attackierte der damalige Vizekanzler Heinz-Christian Strache den beliebten ORF-Moderator Armin Wolf frontal. Strache teilte auf Facebook ein Bild von Wolf mit dem Bildtext „Es gibt einen Ort, an dem Lügen zu Wahrheiten werden. Das ist der ORF“. Strache hatte einen Smiley und das Wort Satire dazu gesetzt. Wolf fand das – zu Recht – trotzdem nicht lustig. Einer Klage entging Strache nur, indem er sich öffentlich bei Wolf entschuldigte.
Das war aber kein Einzelfall. Diese Angriffe auf die Pressefreiheit hatten System. Im September 2018 veröffentlichte die Tageszeitung Der Standard ein E-Mail des Sprechers des damals von der FPÖ geführten Innenministeriums. Darin forderte dieser die Polizeipressestellen auf, „kritischen“ Medien (namentlich genannt waren Der Standard, Kurier und Falter) künftig nur die allernötigsten, gesetzlich vorgeschriebenen Informationen zu geben. Wer kritisch berichtet wird bestraft, lautete die Botschaft.
Wer, wie etwa der Falter, kritisch berichtet, wurde von Türkis-Blau auch mit der Streichung von Inseraten aus den Ministerien bestraft. Extrem rechte Magazine durften sich dafür erstmals über Werbeeinschaltungen aus FPÖ-Ministerien freuen. Welch Verständnis von Pressefreiheit in der FPÖ herrscht, offenbarte Strache in jenem verhängnisvollen Ibiza-Video, das im Mai an die Öffentlichkeit kam. Darin erklärte der frühere FPÖ-Chef, er wolle mithilfe der Millionen einer vermeintlichen russischen Oligarchennichte die Kronen Zeitung, die auflagenstärkste österreichische Tageszeitung, unter Kontrolle bringen, missliebige JournalistInnen – zack, zack, zack – auf die Straße setzen und diese durch FPÖ-Günstlinge ersetzen. So würde die FPÖ stärkste politische Kraft im Land.
„Wer, wie etwa der Falter, kritisch berichtet, wurde von Türkis-Blau auch mit der Streichung von Inseraten aus den Ministerien bestraft.“
Nina Horaczek
Diese Veränderungen, die es zuletzt in Österreich gab, wurden auch international registriert. Seit vergangenem Frühjahr zählt Österreich nicht mehr zu jenen Ländern, die von der Nichtregierungsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ als frei bezeichnet werden, wo JournalistInnen Fragen stellen, Antworten einfordern und die Öffentlichkeit informieren können, ohne mit Repressionen rechnen zu müssen. 2019 stürzte Österreich in diesem weltweiten Ranking um fünf Ränge, von Platz 11 auf Platz 16 ab. Was die Pressefreiheit betrifft, zählt Österreich nun nicht mehr zu jenen Ländern mit einer „guten Lage“, sondern gilt nur als „zufriedenstellend“.
Pressefreiheit in Gefahr?
In einer nach dem Ibiza-Skandal durchgeführten Journalistenumfrage erklärten 45 Prozent der österreichischen JournalistInnen, sie sehen die Pressefreiheit in Gefahr. In Deutschland waren 35 Prozent der Kollegen derselben Meinung, in der Schweiz nur 16 Prozent. Wie schnell die Pressefreiheit auch in einer Demokratie unter massiven Druck geraten kann, ist in den EU-Staaten Ungarn und Polen hautnah zu erleben. Nachdem die Fidesz-Partei von Viktor Orbán in Ungarn 2010 an die Macht kam, wurde der öffentlich-rechtliche Rundfunk politisch auf Linie gebracht und Hunderte JournalistInnen, die zu unabhängig waren, entlassen. Dasselbe passierte nach dem Wahlsieg der rechtskonservativen PiS-Partei in Polen. Seitdem gibt es in Polen und Ungarn keinen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, sondern einen regierungsabhängigen Staatsfunk. In Ungarn hat Regierungschef Orbán mithilfe ihm nahestehender Oligarchen auch den Großteil der Printmedien unter den Einfluss der Regierung gebracht. In Polen versucht die PiS, regierungskritische Medien durch Klagen sowie die Streichung von Inseraten von Ministerien und staatsnaher Betriebe wirtschaftlich zu besiegen. So weit sind wir in Österreich nicht. Aber die Richtung, in die sich unser Land bewegt, ist alarmierend ähnlich.