Betriebsratsarbeit ist wie eine Baustelle, ein andauerndes und niemals fertiges Projekt. Dieser Gedanke kann einem kommen, wenn man Katharina Kronhuber im Betriebsratsbüro im Haus Liebhartstal im Wiener Bezirk Ottakring besucht.
Das Haus ist buchstäblich eine Baustelle: „Das Betriebsratsbüro ist seit 2016 schon sechsmal umgezogen“ erzählt sie. „Das steht sinnbildlich für die Wirklichkeit der Sozialarbeit. Unser Betriebsrat ist seit 2019 im Amt, das ist jetzt unser drittes Betriebsratsbüro.“
Das Haus Liebhartsthal bietet Platz für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, junge Erwachsene und Familien. Es wurde 2015 vom Arbeitersamariterbund eröffnet als die große Flüchtlingsbewegung in Österreich ankam. „Es war damals unglaublich chaotisch. Eine ganze Infrastruktur musste aus dem nichts aufgebaut werden. Die KollegInnen haben unglaubliches geleistet und Überstunden angehäuft,“ sagt Katharina Kronhuber.
Zu dieser Zeit, in der der Arbeitersamariterbund stark gewachsen ist um die durch die Flüchtlingsbewegung entstandenen sozialen Notlagen abfedern zu können, machte sie ihre ersten gewerkschaftlichen Erfahrungen. „Aufgrund der chaotischen Zustände gab es viele Frustrationen. KollegInnen hier im Haus haben ihre Stundenzettel angeschaut und gemerkt, da stimmt etwas nicht. Ihnen zustehende Zuschläge wurden nicht gezahlt. Gemeinsam mit der Gewerkschaft konnten wir erfolgreich dagegen vorgehen.“
Selbstorganisation und Vernetzung von unten sind für Katharina Kronhuber wichtige Themen. Als 2018 die Kollektivvertragsverhandlungen anstanden wurde sie auf einer Betriebsversammlung in die Streikleitung gewählt. „Natürlich gab es damals viele Diskussionen darüber, ob wir überhaupt streiken dürfen, ob das nicht unverantwortlich unseren KlientInnen gegenüber ist“, erinnert sie sich. „Dabei sind es doch unsere Arbeitsbedingungen die verantwortungslos sind. Es gibt hier viele KollegInnen die am Ende des Monats kein Geld mehr am Konto haben.“
„Streiken ist auch im Sozialbereich machbar.“
Katharina Kronhuber
Das streiken im Sozialbereich geht wurde im Jahr 2018 bewiesen. An der Wand des Betriebsratsbüros hängt ein Foto welches riesige Transparente zeigt die von der Außenfassade des Hauses Liebhartstal herunterhängen. Auf ihnen sind die Forderungen der Beschäftigten aufgemalt, die ganze Nachbarschaft konnte so sehen, dass das Haus bestreikt wurde. „Es war uns wichtig, dass wir uns während des Streiks nicht einfach im Haus einsperren“, sagt Kronhuber. „Wir haben in der Wohnungsloseneinrichtung, in der ich arbeite, ein Streikcafé organisiert, an dem KollegInnen aus dem Wohnungslosen- und Flüchtlingsbereich teilnahmen und sich austauschten. Anschließend gab es eine öffentliche Streikkundgebung vor der Zentrale des Arbeitersamariterbundes.
Das sei damals eine wichtige Erfahrung gewesen, „auch wenn meiner Meinung nach der Arbeitskampf damals zu früh beendet wurde. Es wäre mehr drin gewesen. Ich finde, dass die Annahme des Kollektivvertrags damals allen KollegInnen zu einer Urabstimmung vorgelegt hätte werden müssen.“
Heute ist Katharina Kronhuber Betriebsratsvorsitzende. Auch das ist ein Ergebnis des Arbeitskampfes von 2018. „Damals wurden die Anfänge für eine neue Liste mit dem Namen ‚solidarisch aktiv‘ gegründet. Wir haben auf Anhieb fünf von sechs Mandaten geholt.“ In den Prinzipien dieser Liste findet sich vieles wieder, was Katharina Kronhuber in ihrer gewerkschaftlichen und betriebspolitischen Arbeit wichtig ist. „Wir wollen transparent und kollektiv arbeiten und nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg entscheiden. Die Mehrheit unserer MandatsträgerInnen sind Frauen. Darunter sind auch Leute, die Farsi sprechen können. Das ist für die Arbeit mit Flüchtlingen sehr wichtig.“
Politische Themen mitdenken
Kronhuber definiert ihren gewerkschaftlichen Aktivismus nicht nur über die betriebliche Ebene, sondern findet es außerdem wichtig politische Dimensionen herauszustreichen. „Ein Thema ist zum Beispiel das Winterpaket des Wohnungslosenbereichs, dem zweiten großen Standbein des ASB-WSD neben dem Flüchtlingsbereich. Dadurch kriegen so genannte nicht anspruchsberechtigte Wohnungslose aus anderen EU-Ländern von Oktober bis Ende April Notquartiere. Wir wollen, dass dies auch auf den Sommer ausgeweitet wird.“ Überhaupt gehören die tägliche Betriebsratsarbeit und allgemeinpolitische Fragestellungen für sie zusammen: „In Wien werden viele Flüchtlingseinrichtungen geschlossen. Es gibt Kündigungen während an den EU-Außengrenzen viele junge, unbegleitete Flüchtlinge stehen, die nicht wissen wie es mit ihnen weitergeht. Wie passt das zusammen? Warum werden die nötigen Ressourcen für höhere Gehälter und Infrastruktur nicht aufgestellt?“ Es sei nötig in diesen Fragen Druck auf die Stadt Wien und das Innenministerium aufzubauen: „Letztendlich geht es um die Frage, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen. Deshalb ist der Kontakt zu Basisinitiativen wichtig, wie zum Beispiel ‚Initiative Sommerpaket‘, „sozial aber nicht blöd‘ oder auch die ‚workers for future‘ die in der Klimabewegung aktiv sind.“
Die Frage, unter welchen Bedingungen SozialarbeiterInnen ihre solidarische Tätigkeit in Österreich verrichten müssen steht derzeit wieder auf der Tagesordnung. Die Kollektivvertragsverhandlungen für die Sozialwirtschaft laufen. „Die Gewerkschaften GPA und VIDA haben als Strategie die alleinige Forderung nach einer 35-Stundenwoche aufgestellt. Das ist eine wichtige Forderung die es schon viele Jahre gibt. Unser Job ist körperlich anstrengend und psychisch belastend. Mit einer 38-Stundenwoche und vielen Überstunden brennt man aus.“ Doch möchte Katharina Kronhuber die Gehaltsfrage deshalb nicht aus den Augen verlieren. „Für viele KollegInnen bedeutet der Verzicht auf eine Gehaltsforderung eine Nulllohnrunde. Dabei steigen die Lebenshaltungskosten immer weiter, schätzungsweise rund ein Drittel aller KollegInnen im ASB-WSD hat einen Zweitjob.“
Die aktivistischen Erfahrungen aus dem Jahr 2018 möchte Kronhuber in die kommenden Kollektivvertragsverhandlungen mitnehmen. „In den nächsten Tagen wird es Betriebsversammlungen geben. Für den fünften Februar ist eine gemeinsame Kundgebung auf dem Stephansplatz in Wien geplant. Es ist wichtig, dass die Gewerkschaft zu verschiedensten Aktionsformen und auch Streiks greift. Nur so kann Druck aufgebaut werden.“
Damit sich dieser Druck entfalten kann wollen Katharina Kronhuber und ihre KollegInnen im Betriebsrat die Selbstaktivität der Beschäftigten fördern: „Es ist wichtig, dass sich mehr Leute am Arbeitsplatz in Basisinitiativen oder Betriebsgruppen organisieren. Schließlich verbringt man sehr viel Lebenszeit am Arbeitsplatz. Da sollte man sich dafür einsetzen, die Bedingungen zu verbessern.“
Zur Person:
Die 31-jährige Katharina Kronhuber wurde 1988 in St. Johann in Tirol geboren und wuchs in Kitzbühel auf. Sie studierte Internationale Entwicklung, Politikwissenschaft und Sozialwirtschaft in Wien und Ankara. 2014-2016 arbeitete sie als Betreuerin bei der LEFÖ-Interventionsstelle für Frauenhandel und war dort Betreuerin in einer Notwohnung. Seit 2016 ist sie Wohnbetreuerin im Haus Max Winter, einem sozialbetreuten Wohnhaus für ehemals wohnungslose Männer und Frauen. Es wird vom Arbeitbersamariterbund Wien – Wohnen und Soziale Dienstleistungen Gmbh betrieben. Seit 2019 ist sie Betriebsratsvorsitzende. Ende März erwartet sie ihr erstes Kind.