Vermögen besteuern – mehr Gerechtigkeit schaffen

Foto: Nurith Wagner-Strauss

Martin Schenk, Sozialexperte der Diakonie Österreich und Mitbegründer der österreichischen Armutskonferenz spricht im Interview mit der KOMPETENZ über den Unterschied zwischen Arm und Reich und darüber, warum die Armen in der Gesellschaft zu wenig gehört werden.

Es gibt ein Buch welches bei Martin Schenk einen starken Eindruck hinterlassen hat. Es handelt sich dabei um die Biografie „Wer hat meinen Vater umgebracht“ vom französischen Autor Édouard Louis: „Darin beschreibt Louis, wie die Einsparungen verschiedener Regierungen die Gesundheit seines Vaters ruiniert haben“, sagt Schenk. „Hängen geblieben ist mir der Satz: Chirac machte deinen Darm kaputt, Sarkozy brach dir das Rückgrat. Macron hat dir die Luft genommen.“ Daran zeige sich vor allem: „Politik hat für Menschen mit geringem Einkommen immer drastische Auswirkungen. Sie kann die konkreten Lebensbedingungen verbessern, oder sie bringt einen früher ins Grab.“

Das meint der Mann wörtlich: „Nehmen wir den Wiener Bezirk Hietzing. Das ist einer der reichsten Bezirke Wiens. Gleich daneben liegt Rudolfsheim-Fünfhaus, einer der ärmsten Stadtteile. Mit der Straßenbahn brauche ich nur wenige Minuten, aber die durchschnittliche Lebenserwartung ist in Fünfhaus sechs Jahre niedriger als in Hietzing. Arme Menschen sterben wirklich jünger.“

Die Statistik gibt Martin Schenk recht. Laut der Statistik Austria werden Menschen in Rudolfsheim-Fünfhaus durchschnittlich 75 Jahre alt, in Hietzing sind es 81 Jahre. Dieses Bild zieht sich durch alle Wiener Bezirke. In ArbeiterInnenbezirken wie Favoriten, Brigittenau oder Donaustadt stirbt man um ein halbes Jahrzehnt jünger als in den wohlhabenden, bürgerlichen Bezirken Währing oder Döbling. „Man sieht das auch bei den Hitzetoten, ein durch den Klimawandel wachsendes Phänomen. Letztes Jahr gab es 766 Hitzetote in ganz Österreich, überdurchschnittlich viele davon in ärmeren Wohngegenden.“

Reichtum wird verschwiegen

Wer über Armut redet darf vom Reichtum nicht schweigen. Doch genau das geschieht in Österreich, sagt Schenk: „Über die Strukturen des Reichtums in Österreich ist sehr wenig bekannt. Es werden kaum Studien gemacht. Es gibt sehr viel Armutsforschung, aber sehr wenig Reichtumsforschung. Auch in der Politik ist das so. Im schwarz-grünen Regierungsprogramm kommen Begriffe wie ‚soziale Ungleichheit‘ oder ‚soziale Schicht‘ überhaupt nicht vor.“

„Es gibt sehr viele Mythen über Reichtum. Ein sehr hartnäckiger Mythos ist, dass man durch Arbeit reich werden kann. „

Martin Schenk

Dabei gibt es in Österreich, einem Land in welchem von den 50 reichsten Menschen 38 ihr Vermögen durch eine Erbschaft erworben haben durchaus Gesprächsbedarf. „Es gibt sehr viele Mythen über Reichtum. Ein sehr hartnäckiger Mythos ist, dass man durch Arbeit reich werden kann. Das stimmt aber nicht, erst recht nicht in Zeiten stagnierender Löhne.“ Die klaffende Lücke zwischen Lohneinkommen und Vermögen sei besonders drastisch. Sie zähle in Österreich zur höchsten in ganz Europa: „Das reichste Prozent der Haushalte in Österreich besitzt fast ein Viertel des Vermögens, die obersten zehn Prozent haben mehr als die restlichen 90 Prozent der Bevölkerung gemeinsam.“

„Reichtum ermöglicht Einfluss auf die Gesellschaft. Ich kann Zeitungen, Medien aber auch Parteien kaufen.“

Martin Schenk

Findet sich hier ein Grund dafür, dass zum Thema Einkommensverteilung in Österreich so wenig geforscht wird? „Sicher,“ meint Schenk. „Es geht hier ja um Machtfragen. Reichtum eröffnet etwas, was ich kapitale Möglichkeiten nenne. Es geht da nicht um die eigene Yacht, den eigenen Ferrari und so weiter. Reichtum ermöglicht Einfluss auf die Gesellschaft. Ich kann Zeitungen, Medien aber auch Parteien kaufen. Und nicht nur das: Reiche gehen auch selbst in die Politik, siehe Trump oder Berlusconi. Reiche unterstützen Parteien, die gegen Vermögenssteuern sind und sie finanzieren Thinktanks, die weniger Steuern und weniger Sozialstaat fordern. Arme können das alles nicht.“

Große Mehrheit für Vermögenssteuer

Es ist somit kein Wunder, dass sich eine Mehrheit von 73 Prozent der österreichischen Gesellschaft für die Wiedereinführung der 1993 vom sozialdemokratischen Finanzminister Ferdinand Lacina abgeschafften Vermögenssteuer aussprechen. Das geht aus einer vom Institut für empirische Sozialforschung (IFES) im Auftrag der GPA-djp durchgeführten Studie hervor. 71 Prozent wünschen sich eine Erbschaftssteuer. 80 Prozent finden, dass die Reichen keinen fairen Anteil an Steuern bezahlen, während 90 Prozent davon ausgehen, dass die Politik käuflich ist.

Die Vermögenssteuer wird auch vom neunten bis elften März auf der Armutskonferenz in Salzburg Thema sein. Sie findet heuer unter dem Motto „Stimmen gegen Armut – Weil soziale Ungleichheit und Ausgrenzung die Demokratie gefährden“ statt. „54 Prozent des unteren Einkommensdrittels gehen nicht wählen“ sagt Martin Schenk. „Hinzu kommt, dass viele von ihnen gar nicht wählen dürfen, weil sie keine österreichische Staatsbürgerschaft haben. Ärmere Menschen fühlen sich vom politischen System ausgegrenzt. Politik wird nur für die Reichen gemacht, die dann auch stärker zur Wahl gehen.“

„Der Sozialstaat ist der Reichtum der unteren Mittelschicht“

Martin Schenk

Spannend sei daran auch, dass das Bewusstsein über das wahre Ausmaß der Einkommensungleichheit in Österreich noch immer recht niedrig sei. „Die unteren 50 Prozent der Bevölkerung teilen sich gemeinsam nicht einmal vier Prozent des Vermögens. Doch fragt man die Menschen wie sie ihr eigenes Vermögen einschätzen, würden die meisten angeben ein mittleres Einkommen zu haben.“ Dieser Eindruck werde durch einen in Österreich immer noch relativ starken Sozialstaat befördert. „Der Sozialstaat ist der Reichtum der unteren Mittelschicht“, sagt Schenk. „Das muss viel stärker herausgestrichen werden. Wenn man beim Sozialstaat einspart, rutschen die unteren Teile der Mittelschicht in die Armut ab.“

Gerechtigkeitsfragen

Frustrierend sei, dass Sozialabbau immer mit dem Argument der „Leistungsgerechtigkeit“ legitimiert werde. „Auch hier sieht man wieder diesen Mythos, dass man das Vermögen der Reichen nicht antasten darf, weil sie ja angeblich etwas geleistet haben. Aber was ist mit der Leistung einer Frau mit einem 14-Stunden Arbeitstag, die sich gleichzeitig unbezahlt um ihr Kind kümmern muss. Leistet sie nichts? Hat sie keinen Anspruch auf ein gut ausgebautes soziales Netz?“

Auch die Beschränkung auf das Gebiet der Leistungsgerechtigkeit an sich sei zu kritisieren: „Es geht auch um ganz andere Formen der Gerechtigkeit. Es geht um Bedarfsgerechtigkeit, um Chancengerechtigkeit und um Teilhabegerechtigkeit. Es geht um die Frage wie ich in der Gesellschaft mitreden kann? Und was ist mit der Anerkennungsgerechtigkeit? Wer wird unsichtbar gemacht, wer wird hervorgehoben? Oft sind es die Reichen, denen Anerkennung gezollt wird, während Arme eher als Kriminelle dargestellt werden.“

Diese Fragen müsse man im Rahmen einer Kampagne für eine Vermögenssteuer viel offensiver thematisieren: „Man muss erklären, wofür man die Vermögenssteuer braucht. Das ist ja nichts abstraktes. Es braucht Investitionen in die Pflege, in Bildung, in Kinder und in Schulen. Durch so eine Steuer kommen einige Milliarden Euro in die Staatskasse, die dafür verwendet werden können.“ Daneben hätte eine Vermögenssteuer einen weiteren Vorteil: „Wir hätten dann endlich verlässliche Daten über den in Österreich existierenden Reichtum. Das wäre doch auch was.“

Zur Person:

Martin Schenk ist 1970 geboren. Er studierte Psychologie an der Universität Wien und hat zahlreiche soziale Initiativen initiiert, darunter der Verein Hemayat zur Betreuung schwer traumatisierter Menschen. Er ist Lehrbeauftragter am Fachhochschul-Studiengang am FH-Campus Wien, Sozialexperte der Diakonie und Mitbegründer der österreichischen Armutskonferenz.

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