Chancen und Risiken für Gewerkschaften in und nach der Krise

GPA-djp-Öffentlichkeitsarbeit/Adobe Stock

Die Corona-Pandemie ist ohne Zweifel eine Ausnahmesituation von historischer Dimension mit derzeit konkret kaum vorherzusagenden sozialen, wirtschaftlichen und politischen Folgen. Die aktuellen Umbrüche werden auch nicht ohne Wirkung für die Gewerkschaften bleiben.

In welche Richtung das ‚post-coronale‘ Pendel ausschlagen wird, das wird sich ganz wesentlich nach Corona entscheiden. Hier sind Gewerkschaften gerade im Wiederaufbau- und Restrukturierungsprozess gleich mehrfach gefordert, sich als Lotsen der Gerechtigkeit einzumischen.

Bemerkenswerte Renaissance der vielgeschmähten Sozialpartnerschaft in der Corona-Krise

Im Klima des Corona-bedingten ‚nationalen Schulterschlusses‘ kehrt die vor gar nicht allzu langer Zeit von Schwarz/Blau geradezu regierungsamtlich zum Abschuss freigegebene Sozialpartnerschaft wieder deutlich in die politische Arena zurück. Mit ihr sind ÖGB/AK und Gewerkschaften als gestaltende Kraft bis hinauf in Regierungsspitzen wieder hoch im Kurs. Wer hätte das vor ‚Ibiza‘ gedacht. Anerkennung erfahren ÖGB und AK vorerst einmal als Krisenfeuerwehr, im Zuge eines ‚Krisenkorporatismus‘ (der Zusammenarbeit von Arbeit und Kapital), wie dies in Österreich auch bereits in vergangenen Umbruchsituationen gegeben war.

Vor früher Euphorie sei jedoch gewarnt: Wenn es in der wirtschaftlichen und sozialen Krise um den Beitrag als Ordnungsmacht v.a. am Arbeitsmarkt geht (Stichwort: Kurzarbeit, arbeitsrechtliche Anpassungen etc.), sind Gewerkschaften auch in Wirtschaft und Politik rasch anerkannt. Gewerkschaftliche Gegenmacht ist demgegenüber ‚virusbedingt‘ derzeit weitgehend eingefroren und bei so manchen wohl auch weniger geschätzt. Notverordnung und Versammlungsverbot schränken gewerkschaftliches Handeln bedeutend ein. Ein vorübergehender Zustand, der in der ‚Zeit danach‘ nicht eine Sekunde zur Normalität werden darf.

Die Welt nach Corona wird jetzt ausgehandelt und bei Verteilungskämpfen ausgefochten

Beim Hochfahren wird sich zeigen, ob die Zusammenarbeit zwischen Arbeitnehmervertretung und Wirtschaft, zwischen Gewerkschaft und Regierung in der Krise auch ‚am Tag danach‘ nachhaltig überlebt: bei der Schuldentilgung, in der Steuerpolitik, bei den kommenden Gehaltsrunden, bei der Absicherung Arbeitsloser oder bei der Mitgestaltung betrieblicher Arbeitswelten. Die Geschichte lehrt: Aus einem ‚Krisenkorporatismus‘ kann interessenpolitisch Nachhaltiges entstehen, siehe etwa die Entwicklung der Sozialpartnerschaft nach 1945. Es kann sich aber auch als kurze Etappe erweisen.

Spürbares und kantiges Auftreten im Interesse der Beschäftigten verbunden mit pragmatischem und lösungsorientiertem Selbstbewusstsein – das sollten Ingredienzien dafür sein, als ÖGB und AK in Österreich Respekt auch nach dem ‚Corona-Alptraum‘ eingebunden zu sein und ein rasches Abservieren auszuschließen. So einiges spricht für ein nachhaltiges Revival der Gewerkschaften. Denn nach der Krise gibt es vieles zu regeln in Wirtschaft du Arbeitswelt. Da ist ein Mehr an Mitbestimmung gefragt: bei der Arbeitszeit, beim ArbeitnehmerInnen- und Gesundheitsschutz, bei Home-Work und mobilem Arbeiten. Manche Regelungen sind anzupassen, anderes neu zu gestalten. Schon in der Corona-Krise zeigt sich, in Betrieben mit Betriebsrat geht Kurzarbeit schneller, funktioniert Mitbestimmung und MitarbeiterInnen sind besser informiert und abgesichert.

Die Neubewertung der Arbeit muss sich rechnen – jetzt und nach Corona

Weit über ‚verdächtige‘ Kreise hinaus, wird im Corona-Modus auch vielen klar, dass in unserer Gesellschaft einiges nicht stimmt. Neue Solidaritäten werden spürbar. Das beinhaltet auch, Chancen, Kosten und Lasten fair zu verteilen und soziale Dienste gesellschaftlich aufzuwerten, finanziell aber auch in der Anerkennungspyramide. Wir erleben eine neue Agenda auch mit neuer Wertschätzung und Bewertung von Arbeit. War es bisher die Frage was kostet die Arbeit so wurde in den letzten Wochen darüber gesprochen, was Arbeit Wert ist. Doch Applaus und Schulterklopfen als Orden für sogenannte ‚HeldInnen des Alltags‘: das darf es nicht gewesen sein.

Nicht Investmentbanker und die ‚oberen Zehntausend‘ haben das Land am Laufen gehalten. Beschäftigte im Gesundheitswesen in Supermärkten, in der Versorgungswirtschaft, der Industrie, der Reinigung, im Sicherheitswesen, Bus- und LKW-FahrerInnen, AltenpflegerInnen und viele andere, allesamt Menschen deren Haushaltskonto sich nicht an der oberen Einkommensskala misst, bekommen jetzt mehr Anerkennung von KundenInnen, Politik und Öffentlichkeit. Es ist alles daran zu setzen, dass dies anhält und sich hier künftig auch in besserer Bezahlung, mehr Personal und besseren Arbeitsbedingungen niederschlägt, jetzt und nach Corona.

Wie die Welt nach Corona aussieht nicht alleine den Regierenden und den Eliten überlassen

Nach der Krise werden die neoliberalen Argumente wohl wiederkommen. Hier sind Gewerkschaften gerade im Wiederaufbau- und Restrukturierungsprozess gleich mehrfach gefordert, sich als Lotsen der Gerechtigkeit einzumischen. Corona trifft auf Realitäten sozialer und wirtschaftlicher Ungleichheit. Und die Corona-Krise bringt die Gefahr gesellschaftliche Machtungleichgewichte zu verstärken, soziale Ungleichheiten zu verstärken und soziale Spannungen zu vergrößern. Aber, Ungleichheit ist auch in Zeiten von Pandemien und Krisen keine Naturgewalt. Sie ist eine politische und ideologische Frage und durch gesellschaftliche Kräfteverhältnisse veränderbar.

  • Es wird ganz wesentlich an den Gewerkschaften liegen, nicht nur die Corona-Erinnerung aufrecht zu erhalten, dass der Markt nicht vorsorgt, es vielmehr Gesellschaften mit starken Institutionen und ausgebaute Sozialstaaten sind, die mit Krisen besser umgehen können.
  • Zugleich sind Gewerkschaften gefordert, auf faire (Lasten)Verteilung in den ‚Tagen danach‘ zu achten und mit entsprechenden wirtschafts- und verteilungspolitischen Forderungen zu trumpfen.
  • Und es wird an den Gewerkschaften liegen, darauf zu achten, dass die sog. ‚Helden/innen des Alltags‘ nach der Krise nicht wieder vergessen und mit retrospektiver Wertschätzung abgespeist werden, sondern ordentliche Abgeltung und bessere Arbeitsbedingungen erhalten.
  • Und schließlich wird es v.a. auch an ihnen liegen, Wachsam zu sein, dass beim Exit aus dem Ausnahmezustand keine demokratiepolitischen Kollateralschäden zurückbleiben und Grundrechte ausgehebelt bleiben. Es gibt viel zu tun.

Mitbestimmung wirkt und wird auch nach der Krise notwendig sein mit starken Betriebsräten und starken Gewerkschaften. Vor diesem Hintergrund müsste jeder Corona-Exit-Plan folgenden Fixpunkt enthalten: Beschäftigte und alle jene, denen es verwehrt ist, sich Politik und Einfluss zu kaufen, sie alle können sich eine geschwächte Gewerkschaft gerade nach Corona nicht leisten! Daher: Gerade jetzt Gewerkschaften stärken!

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