„Regenbogenfahne aufhängen reicht nicht“

Foto: Nurith Wagner-Strauss

Rechtlich sind Menschen aller sexuellen Orientierungen einander im Arbeitsleben gleichgestellt. Doch manche LGBTIQ*-Personen sehen sich am Arbeitsplatz immer noch Diskriminierung ausgesetzt.

SORA-Forscher Daniel Schönherr erklärt im Interview mit der KOMPETENZ, dass sich nicht gegen diese zu wehren, meist dazu führt, dass sich die Belastung für viele Betroffene nur immer weiter erhöht.

KOMPETENZ: Im Pride Month geht es um das Sichtbarmachen von Menschen, die eine andere sexuelle Orientierung haben und nicht herkömmliche Mann-Frau-Beziehungen leben. Laut einer von Ihnen durchgeführten Studie geht man davon aus, dass rund 300.000 ArbeitnehmerInnen in Österreich nicht heterosexuell sind. In ihrem Arbeitsalltag trauen sich viele von ihnen immer noch nicht, sich zu ihrer LGBTIQ-Identität zu bekennen. Warum?

Daniel Schönherr: Das hat ganz unterschiedliche Gründe. Grundsätzlich muss man aber sagen: in der historischen Perspektive hat sich schon vieles verbessert. Rechtlich gibt es eine Gleichstellung. Auch für die Sichtbarmachung wurde einiges gemacht. Was passiert ist, dass sich Diskriminierung in den zwischenmenschlichen Bereich verlagert hat. Daher wollen sich auch viele Betroffene nicht outen – um dann nicht sozial darunter zu leiden.

„Immer noch ist es in vielen Unternehmen so, dass LGBTIQ-Personen den Eindruck haben, ihnen würden Aufstiegschancen oder Gehaltserhöhungen verwehrt.“

Daniel Schönherr

Es spielen aber auch andere Faktoren eine Rolle: immer noch ist es in vielen Unternehmen so, dass LGBTIQ-Personen den Eindruck haben, ihnen würden Aufstiegschancen oder Gehaltserhöhungen verwehrt, würden sie sich zu ihrer sexuellen Orientierung offen bekennen. Und dann gibt es noch das, was wir als „Asexualitätsfiktion“ bezeichnen: das ist die Fiktion, dass es am Arbeitsplatz nicht um Sexualität geht. Aber Sexualität spielt auch am Arbeitsplatz eine Rolle. Welche Fotos hat man auf seinem Arbeitsplatz stehen? Trägt man einen Ehering? Was erzähle ich vom Wochenende, vom Urlaub? Jeder, der nicht heterosexuell ist, kommt hier unter Erklärungsdruck. Und da sagen einige Betroffene: diese Dinge gehen nur mich etwas an, also rede ich gar nicht darüber.

KOMPETENZ: Sie meinten, Diskriminierung am Arbeitsplatz finde heute vor allem im zwischenmenschlichen Bereich statt. Was kann man sich hier konkret darunter vorstellen?

Daniel Schönherr: Da geht es um obszöne Anspielungen, Witzeleien, Nicknames. Menschen mit anderen Geschlechtsidentitäten werden herabgewürdigt. Das kann bis zu Mobbing gehen.

Daniel Schönherr hat sich im Rahmen einer Studie mit der Diskriminierung von LGBTIQ-Personen in der Arbeitswelt auseinander gesetzt.
Fotos: Nurith Wagner-Strauss

KOMPETENZ: Ist es überhaupt nötig, sich als LGBTIQ-Person zu bekennen? Worin liegen die Vorteile, worin die Nachteile?

Daniel Schönherr: Grundsätzlich sollte sich niemand outen müssen. Nur ist das Soziale ein wesentlicher Aspekt des Arbeitsalltags. Es ist wichtig, dass man wertgeschätzt wird, dass man Freundschaften schließt. Hier kommt wieder die „Asexualitätsfiktion“ ins Spiel: Gespräche über das Wochenende oder den Urlaub sind für Heterosexuelle völlig selbstverständlich, aber Menschen, die sich noch nicht geoutet haben, können sich da nicht ungezwungen beteiligen. Das alleine ist schon eine Belastung, weil man sich nicht völlig als Person einbringen kann. Es wird dann aber zur großen Belastung, wenn Dinge, die im Privaten passieren, auch in das Berufliche hineinspielen – wenn ein Kind krank ist oder der Schwiegervater und man das nicht kommunizieren kann.

„Gespräche über das Wochenende oder den Urlaub sind für Heterosexuelle völlig selbstverständlich, aber Menschen, die sich noch nicht geoutet haben, können sich da nicht ungezwungen beteiligen.“

Daniel Schönherr

KOMPETENZ: Wie können Betroffene gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz vorgehen?

Daniel Schönherr: Einerseits geht es um die rechtliche Definition von Diskriminierung. Im Arbeitsbereich dürfen Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung nicht ungleich behandelt werden. Es gibt aber auch Formen von struktureller Diskriminierung, wo es nicht so offensichtlich ist. Mikro-Aggressionen, Witzeleien, Anspielungen: das ist rechtlich schwer nachzuweisen, aber doch belastend, genauso wie Fremdoutings, also wenn man sich einem Kollegen anvertraut und der erzählt das weiter.

KOMPETENZ: Wie kann man sich gegen ständige Bemerkungen und Witzeleien wehren?

Daniel Schönherr: Da gibt es nicht immer eine Lösung. Man sollte sich die Frage stellen, was würde passieren, wenn ich das thematisiere? Würde sich die Situation dann verschlechtern? Gibt es einen sensibilisierten Betriebsrat, an den ich mich wenden kann? Auf alle Fälle kann ich mich an die Gleichbehandlungsanwaltschaft wenden oder an die Arbeiterkammer, um mich beraten zu lassen. Leute, die es angesprochen haben, haben erlebt, dass sich die Situation verbessert hat. Die häufigste Reaktion von Betroffenen ist aber, nichts zu machen. Dadurch hört die Diskriminierung allerdings nicht auf, oft wird es schlimmer und führt dazu, dass Menschen ihren Job kündigen.

KOMPETENZ: Gibt es Branchen, in denen es immer noch eher tabu ist als in anderen, sich als nicht heterosexuell zu outen?

Daniel Schönherr: Was wir aus Studien wissen: LGBTIQ-Personen machen sich schon sehr früh darüber Gedanken, wo sie arbeiten wollen. Sie halten auch bei Jobbeschreibungen sehr bewusst Ausschau nach Informationen, wie im Unternehmen mit der sexuellen Orientierung umgegangen wird. Das ist einer der Gründe, warum viele Betroffene häufig im Sozial- oder im künstlerisch-kreativen Bereich arbeiten. Sie gehen davon aus, dass es dort leichter ist und dem ist auch oft so.

In Industrie und Gewerbe ist die Rate an Menschen, die geoutet sind, niedriger und die Stimmung gegenüber LGBTIQ-Personen wird als negativer bewertet. In kleineren, familiäreren Unternehmen ist es zudem oft leichter, darüber zu sprechen, als in größeren Betrieben mit einer alt eingesessenen Unternehmenskultur. Auch im öffentlichen Dienst wird die grundsätzliche Einstellung gegenüber Menschen mit anderer sexueller Orientierung als negativer gesehen.

KOMPETENZ: Aber gerade im öffentlichen Dienst sollten doch die Antidiskriminierungsgesetze greifen.

Daniel Schönherr: Man hat da ja nicht nur mit KollegInnen zu tun. PolizistInnen, LehrerInnen haben auch viel mit externen Personen zu tun. Wenn Eltern die Homosexualität des Lehrers nicht akzeptieren, greift das Gleichstellungsgebot innerhalb der Organisation nicht.

KOMPETENZ: Was können ArbeitgeberInnen tun, damit sich Menschen mit verschiedensten sexuellen Identitäten wohlfühlen und gut im Team zusammenarbeiten?

„Es reicht jedenfalls nicht mehr, jedes Jahr im Pride Month eine Regenbogenfahne aufzuhängen. Das wird nicht ernst genommen, wenn dahinter keine Taten stehen.“

Daniel Schönherr

Daniel Schönherr: Es reicht jedenfalls nicht mehr, jedes Jahr im Pride Month eine Regenbogenfahne aufzuhängen. Das wird nicht ernst genommen, wenn dahinter keine Taten stehen. Ein Anfang ist gemacht, wenn nicht so getan wird, als ob Sexualität am Arbeitsplatz keine Rolle spielt. Wenn man sich eingesteht, dass Sexualität immer ein Thema ist, ermöglicht es einem Unternehmen, auch in diese Richtung zu schauen. Es hat sich außerdem gezeigt: in jenen Betrieben, in denen andere Gruppen wie Frauen oder MigrantInnen diskriminiert werden, werden tendenziell auch LGBTIQ-Personen diskriminiert. Und umgekehrt, wo es Wertschätzung zum Beispiel auch gegenüber älteren MitarbeiterInnen gibt, gibt es insgesamt ein offeneres Betriebsklima.

Diversity Management ist heute in vielen Betrieben Thema: hier gilt, dass dann alle Merkmale berücksichtig werden müssen – die sexuelle Orientierung also genauso wie das Geschlecht, das Alter, körperliche Beeinträchtigungen. Was es schließlich auch braucht: Mehr LGBTIQ-Personen in Führungspositionen. Das wäre einerseits ein Signal an andere Betroffene und andererseits könnte das auch für eine veränderte Unternehmenskultur sorgen.

*LGBTIQ: L wie lesbisch (Frauen fühlen sich zu Frauen hingezogen), G wie gay (Männer fühlen sich zu Männern hingezogen), B wie bisexuell (Menschen, die sich von Frauen und Männern angezogen fühlen), T wie trans (Menschen fühlen sich dem biologisch anderen Geschlecht zugehörig), I wie inter/divers (Menschen, die Merkmals beider Geschlechter aufweisen), Q für queer (Begriff für alle, die nicht den klassischen Zuordnungen Mann/Frau oder hetero entsprechen).

Zur Person:

Daniel Schönherr, geb. 1983 in Leoben, Studium Literaturwissenschaft und Cultural Studies. Seit 2009 in der Marktforschung tätig, seit 2010 bei SORA in der Arbeitsmarktforschung aktiv, darunter auch eine Studie im Auftrag der Arbeiterkammer zur Arbeitssituation von LGBTIQ-Personen in Österreich.

www.sora.at

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