Marina Habiby ist Beraterin und Betriebsrats-Vorsitzende im Diakonie Flüchtlingsdienst. Sie will unterstützen aber niemanden an der Hand nehmen. Mit der Kompetenz spricht sie über die kleinen und großen Probleme in der Flüchtlingsbetreuung.
Sie kam einst als 7-jähriges Kind nach Österreich, heute ist Marina Habiby 44 und arbeitet für den Diakonie Flüchtlingsdienst. Während der großen Flüchtlingsbewegung 2015 wurde sie von einer freiwilligen Helferin zur Teilzeitmitarbeiterin der Diakonie in der Sozialberatung.
Das System erklären
„Wir sind damals in die Quartiere gefahren und haben dann vor Ort Geflüchtete beraten“, erinnert sich Marina Habiby. Den Schwerpunkt bildete dabei das Asylverfahren, immer wieder gab es Schwierigkeiten mit der österreichischen Bürokratie. „Oft wurde ich von den Menschen gefragt, weshalb sie auf ihren bereits gestellten Antrag noch keine Antwort bekommen haben und was sie unternehmen können.“ Doch Habiby bekam auch viele der anderen und alltäglichen Sorgen der geflüchteten Menschen hautnah mit, „denn es ist nicht einfach in einer Flüchtlingsunterkunft zu leben“, weiß die Flüchtlingsberaterin. „Dort leben viele Menschen mit unterschiedlichen Temperamenten und Zugängen zusammen, da kann man sich schon ziemlich auf die Nerven gehen.“ Probleme mit der Unterkunft und die ewige Warterei statt einer Arbeitsmöglichkeit, für sehr viele der Geflüchteten ein höchst nervenaufreibender Prozess – die Diakonie kann in dieser Situation auch nur bedingt helfen.
Allein und nicht daheim
„Besonders geflüchtete Frauen haben es schwer. Sie haben oft schlechtere Voraussetzungen bei Bildungsniveau und Alphabetisierungsgrad“, erklärt Habiby. „Dazu kommen häufig psychische Belastungen durch Traumata und eine geringe soziale Teilnahme.“ Die Kinder sind zu versorgen, der Mann versucht eine – meist sehr schlecht bezahlte – Arbeit zu finden, ist dementsprechend beschäftigt und gestresst. Dadurch haben die Frauen noch weniger Kontaktmöglichkeiten, müssen sich selber bilden und selbst versuchen, ihren Stand in der Gesellschaft finden. Eine Vielfachbelastung, die generell schwer zu ertragen ist.
Der Sprache im neuen „Heimatland“ nicht mächtig, ist der „Ämterdschungel kaum zu durchblicken. Schon alltägliche Erledigungen sind dann sehr schwierig“, weiß die Beraterin. Bei der Diakonie können geflüchtete Frauen lernen wie man Anträge an ein Amt stellt. „Viele von ihnen sind wirklich cool drauf. Wenn sie einen Antrag richtig ausfüllen, zeigen sie oft ein zufriedenes Lächeln – das ist extrem schön.“ Für sie ein großer Schritt in die Selbstständigkeit. „Wir unterstützen die Menschen, aber wir nehmen niemanden bei der Hand und machen die Sachen für sie“, erklärt Marina Habiby ihre Philosophie des Helfens. „Wir zeigen, wie man sich in der Situation zurecht findet und erwarten, dass sich die Menschen das selber organisieren.“
Auf einem guten Weg
Grundsätzlich endet mit dem Abschluss der Beratung auch der Kontakt zu den KlientInnen. Doch es gibt immer wieder Fälle, wo der Kommunikationsfaden nicht gänzlich abreißt. Habiby: „Ich glaube, das gilt für fast jede/n BeraterIn“. Vor einiger Zeit hat sie sich besonders um ein junges Paar aus Afghanistan bemüht. „Es geht ihnen gut, obwohl sie sich inzwischen getrennt haben. Und gerade dieses Ende haben sie ausgezeichnet arrangiert. Sie haben sich Unterstützung von einer Beratungsstelle geholt und sind in Frieden auseinander gegangen“, zeigt sich Habiby sichtlich stolz.
Vor ihrer Flucht hatten beide in Kabul studiert, kamen 2015 nach Wien. Während die Frau ihr Studium recht schnell wieder aufnehmen konnte, hatte ihr ehemaliger Partner größere Probleme, die Sprache zu erlernen. Um auch wieder studieren zu können, möchte er aktuell das B2-Niveau in Deutsch erreichen. Das Problem: ab einem gewissen Sprachniveau wird die finanzielle Unterstützung für Deutschkurse eingestellt. „Es ist schwer, sich von einer Mindestsicherung einen Deutschkurs zu finanzieren.“
Bloß keine anonyme Nummer
„Es ist ein gutes Gefühl, Menschen zu unterstützen“, sagt Marina Habiby. Vorher arbeitete sie lange Jahre als Flugbegleiterin. Den Beruf mochte sie gerne, sie musste sich aber bei internen Telefonaten mit ihrer Personalnummer melden. „Ich weiß sie heute noch 28555. Ich will nie mehr eine anonyme Nummer sein!“
„Es ist ein gutes Gefühl, Menschen zu unterstützen“
Marina Habiby
In der Diakonie ist Betriebsrats-Vorsitzende Habiby sicher keine namenlose Person. Die Anliegen und Probleme der KollegInnen haben sie schon beim Einstieg in die NGO interessiert. In einem sozialen Unternehmen gibt es vielfältige Herausforderungen und auch ständig zu wenig Geld. „Eine Kollegin hat 2018 initiiert, dass wir eine neue Liste bei den Betriebsratswahlen aufstellen“, erinnert sich die Gewerkschafterin. „Wir sind in im Amerlingbeisl in Wien Neubau gesessen und haben darüber geredet, wer denn eigentlich auf den ersten Platz kommt.“ Die Initiatorin selbst war auf dem Weg in die Bildungskarenz und darob verhindert, Habiby kandidierte als Listenerste und gewann – durchaus überraschend.
Die ersten Monate als Betriebsrats-Vorsitzende wurden zur großen Herausforderung: durch externe Sparmaßnahmen mussten einige Diakonie-Einrichtungen geschlossen werden. Von den ursprünglich noch 700 MitarbeiterInnen im Jahr 2018, arbeiten heute nur mehr rund 500 bei der Diakonie. „Eine meiner ersten Tätigkeiten war es, bei den Kündigungsgesprächen dabei zu sein. Das hat mir sehr auf die Seele geschlagen.“
Gut betreute Beraterin
Kündigungen, Freistellungen der BetriebsrätInnen oder Verfahrens-Fragen– von Anfang an wurde Habiby von GPA-Regionalsekretär Karl Humpelstetter (Wirtschaftsbereich Kirchen, Religionsgemeinschaften und deren Einrichtungen) unterstützt. „Er hat mir die Besonderheiten dieser Branche erklärt und mir vor allem auch bei rechtlichen Fragen geholfen.“ Auch dass Humpelstetter früher in einem Jugendzentrum gearbeitet und Erfahrungen im Sozialbereich hat, konnte Kollegin Habiby überzeugen. „Er gibt mir immer einen tollen Support. Der Karl hat auch heute noch das Glück, dass ich mich regelmäßig bei ihm melde“, lacht die Betriebsrats-Vorsitzende. Kurzzeitig voll freigestellt, wollte Marina Habiby den Kontakt zu ihrer Arbeit nicht verlieren. „Wir haben es dann so gemacht, dass ich weiter teilweise in der Beratung tätig bin und die restliche Zeit als Betriebsrätin fungiere“, erklärt sie.
„Ich bin von ganzem Herzen eine Beraterin und das kann ich auch in die betriebsrätliche Arbeit einfließen lassen.“ Beide ihrer Tätigkeiten machen ihr mittlerweile Freude und Habiby hat gelernt, „dass manche Sachen ihre Zeit brauchen. Wenn ich nicht so sattelfest bin, dann wende ich mich an Karl“. Die markantesten Probleme im Flüchtlingsdienst: „Wir können die Beratungen nicht in dem thematischen Umfang anbieten, wie es notwendig wäre.“ Für manche Themen ist dann leider keine Kapazität frei. So wünschen sich etwa viele KlientInnen eine gute Schulbildung für ihre Kinder, doch kennen sie sich im österreichischen Schulsystem nicht aus. Die BeraterInnen können hier auch nur oberflächlich weiterhelfen.
Dass die Projekte der Diakonie vor allem aus staatlichen Mitteln finanziert werden und deren Zusage oft extrem kurzfristig erfolgt, macht das Leben für die Diakonie-MitarbeiterInnen, die ihre Zukunft kaum planen können, nicht einfacher. „Viele haben Existenzängste, das verursacht großen Stress – einerseits betreust du Menschen von denen viele arbeitslos sind, andererseits hast du selber Angst, bald keinen Job mehr zu haben.“
Bis Anfang nächsten Jahres wird die Belegschaft der Diakonie nochmals verkleinert. Denn rund 90 RechtsberaterInnen werden in die neu geschaffene „Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen“ des Innenministeriums wechseln.
Herz, Hirn und harte Schläge
Einige Jahre schon trainiert sich Marina Habiby ihren Stress, den die fordernde soziale Arbeit mit sich bringt, mittels Mixed Martial Arts (MMA) ab – einer Kombination aus verschiedenen Kampfsportarten wie etwa Boxen, Jiu-Jitsu, Karate . „Für mich ist das körperliche Auspowern sehr wichtig. Ich habe vor drei Jahren mit dem Sport begonnen, mein Fokus liegt auf den Boxeinheiten“, erzählt Beraterin Habiby. „Das ist für mich die beste Form, mich wieder zu spüren und die Dinge einzusortieren.“ Dieser Sport hilft ihr bei den Problemen, die sich in der Beratung von Geflüchteten und bei der Vertretung der Belegschaft ergeben, besonnen zu agieren.
Vom Leben erzählen
„Ich wurde in Kabul geboren, mein Papa stammt aus Kandahar, meine Mutter aus Kabul. Erst flüchtete mein Vater in den Iran. 1980 kamen meine Mutter mit mir und meiner älteren Schwester nach. Wir sind bis 1983 dort geblieben und sind dann gemeinsam nach Österreich gekommen. Meine Mutter ist eine super starke Frau, denn sie hat es geschafft, mit ihren Töchtern zu flüchten – ganz alleine als Frau war das wirklich nicht so einfach. Meine Eltern sind offene Menschen und eine gute Schulbildung für ihre Kinder war ihnen sehr wichtig.
„Geht es Dir nicht gut, unterstütze ich Dich!“
Marina Habiby
Die ganze Tragweite und Problematik unserer Flucht ist mir durch meine Arbeit im Diakonie Flüchtlingsdienst erst richtig bewusst geworden. Ich kann meine Eltern seitdem besser verstehen. Gemeinsam mit ihnen möchte ich unsere ehemaligen Fluchtwege noch einmal bereisen. Ich war letztes Jahr bei Verwandten in Afghanistan und habe bemerkt, dass viele meiner Erinnerungen nicht stimmen. Es scheint, ich habe mir eher Details aus Erzählungen gemerkt, Dinge, die ich nicht wirklich selbst erlebt habe.
Fremd habe ich mich immer gefühlt – das bekommt man von den anderen Menschen projiziert. Mit diesem positiven fremd fühlen tue ich mir aber ebenso schwer. Obwohl es natürlich toll ist, wenn Menschen mit Migrationshintergrund hervorgehoben werden. Ich glaube aber, dass es gar nicht notwendig ist.
Wenn das einmal wegfällt, dann haben wir den Punkt in einer Gesellschaft erreicht, dass wir uns alle als gleich ansehen: „Geht es Dir nicht gut, unterstütze ich Dich – egal, woher Du kommst, welches Geschlecht und welche sexuelle Orientierung Du hast. Wir sollten uns generell als Menschen sehen!“