„Regierung hat die Kindergärten ignoriert“

Foto: Nurith Wagner-Strauss

Link Krumpel ist ein Spätberufener: Mit 30 entschloss sich der Grafiker, beruflich neu durchzustarten und begann die Ausbildung zum Elementarpädagogen. Seit fast zehn Jahren arbeitet er nun mit Kindern und hat es trotz schlechterem Verdienst bisher nicht bereut. „Es hat mehr Sinn.“

Wie schwierig die Rahmenbedingungen für ElementarpädagogInnen sind, hat er allerdings erst on the job gesehen. Daher engagiert er sich seit drei Jahren als Betriebsrat und ist seit einem Jahr Betriebsratsvorsitzender eines privaten Kindergarten- und Hortträgers in Wien.

Link Krumpel ist ein Elementarpädagoge, wie man ihn sich für sein Kind wünschen würde, wäre dieses noch im Kindergartenalter. Wenn er darüber spricht, wie Kinder Neues aufsaugen, wie spielerisch sie lernen, wenn man ihnen entsprechenden Input gibt, ganz en passant, etwa indem man Dinge benennt wie den linken Fuß und den rechten Fuß, während man ihnen die Schuhe anzieht, wenn er sagt, dass Kinder auch Freiheiten brauchen, wie auf einen Baum klettern zu dürfen, selbst wenn sie beim ersten Mal herunterfallen, „denn wie sollen sie es sonst lernen? Sie müssen Erfahrungen machen!“, dann spürt man, dass ihm die Entwicklung jedes Kindes, das er begleitet – nicht erzieht!, das ist ihm wichtig – ein Anliegen ist. Leicht machen es ihm die Rahmenbedingungen, welche die Arbeit von KindergartenpädagogInnen derzeit österreichweit prägen, dabei aber nicht.

„Was ich so toll finde: man sieht, wie sich ein Kind, wenn man auf es eingeht, entwickelt, ohne dass es sich verbiegen muss. Das ist mir ein Anliegen, dass man Kinder nicht verbiegt.“ Gut Deutsch zu lernen gelinge von alleine, wenn man genügend mit den Kindern spreche. Nur durch das Reden und eben das Benennen von Dingen entstehe Wortschatz. Dafür brauche es aber auch Zeit, doch daran fehlt es im Alltag: einerseits werden 25 Kinder von einem Pädagogen, einer Pädagogin (40 Stunden) und einer Assistentin oder einem Assistenten (20 Stunden) betreut. Da bleibe wenig Zeit für das einzelne Kind. Andererseits sei von den PädagogInnen auch viel an Dokumentationsarbeit zu leisten.

„Was ich so toll finde: man sieht, wie sich ein Kind, wenn man auf es eingeht, entwickelt, ohne dass es sich verbiegen muss. Das ist mir ein Anliegen, dass man Kinder nicht verbiegt.“

Link Krumpel

So begann sich Krumpel für die Betriebsratsarbeit zu interessieren. Vorher, also vor seiner Tätigkeit im Kindergarten, zunächst als Assistent, dann als Pädagoge, räumt er lachend ein, sei er noch nicht in Kontakt mit der Gewerkschaft gekommen. Krumpel absolvierte zunächst eine Tischlerlehre, nach deren Abschluss zog es ihn aber Richtung Grafik. Er bewarb sich am New Design Centre (heute: New Design University), wurde aufgenommen und zum Grafikdesigner ausgebildet. Nach Studienabschluss arbeitete er auch sieben Jahre in diesem Beruf in einer kleinen Werbeagentur in Wien und das durchaus mit Freude. Der Wunsch mit Kindern zu arbeiten, den er schon als Jugendlicher einmal hatte, wurde aber lauter und so dachte er sich, wann wenn nicht jetzt.

Fotos: Nurith Wagner-Strauss

Wenn Link Krumpel etwas anpackt, dann muss es Hand und Fuß haben. Er stürzte sich nicht einfach so in die Betriebsratsarbeit, sondern absolvierte zunächst Ausbildungsmodule, die von der GPA-djp angeboten werden. Viele Fragen, die heute an ihn als Betriebsratsvorsitzenden herangetragen werden, seien dem Umstand geschuldet, dass viele seiner KollegInnen gut geschult im Umgang mit Kindern seien – aber wenig Information über ihre arbeitsrechtlichen Rechte und Pflichten hätten. Thema Überstunden: diese würden bei dem Kindergartenträger, bei dem er tätig sei, zwar abgegolten. Oft gehe es aber um die Frage: Kann ich es auch ablehnen, diese Überstunden zu machen? Ist die Teilnahme beispielsweise an Festen am Wochenende verpflichtend? Letzteres würde immer wieder bei KollegInnen mit der Betreuung der eigenen Kinder kollidieren. „Man kann also auch nein sagen“, betont Krumpel. Das müsse man aber wissen.

Nachdem er feststellte, dass immer wieder ähnliche Fragen an ihn herangetragen wurden – Wie kann ich kündigen? Wie lange ist meine Kündigungsfrist? Oder eben: Muss ich diese Überstunden machen? – setzt er inzwischen auf Informationsarbeit, sodass die KollegInnen grundsätzlich mehr über Arbeitsrechtbelange wissen. Dazu besucht er einerseits regelmäßig die verschiedenen Standorte, dazu informiert er aber auch über Newsletter.

„Wir können nicht mehr PädagogInnen in der Gruppen fordern, wenn wir wissen, dass es kein Geld dafür gibt.“

Link Krumpel

Oft sei er aber mit Klagen konfrontiert, die grundsätzlich eben mit den Rahmenbedingungen zu tun haben. Und diese wiederum hätten nichts mit dem direkten Arbeitgeber zu tun, sondern seien branchenimmanent. Dreh- und Angelpunkt: die Förderungen der öffentlichen Hand für die Kindergärten. Nur wenn die Träger mehr Förderungen erhalten, seien etwa ein besseres Betreuungsverhältnis und kleinere Gruppen möglich. „Wir können nicht mehr PädagogInnen in der Gruppen fordern, wenn wir wissen, dass es kein Geld dafür gibt.“

Daher ist Krumpel auch mit Betriebsräten anderer Träger in Kontakt. Nach dem Motto steter Tropfen höhlt den Stein versucht man so gemeinsam Bewusstsein zu schaffen. Wünschenswert wäre etwa ein Kollektivvertrag (derzeit werden viele ElementarpädagogInnen nach Mindestlohntarif entlohnt, wobei es an vielen Standorten zusätzlich Betriebsvereinbarungen gibt) und einheitliche Arbeitsbedingungen in österreichischen Kindergärten: dazu zählt ein besserer Betreuungsschlüssel, dazu zählt aber auch die stärkere Berücksichtigung von Vorbereitungsstunden. Derzeit wird dies je nach Bundesland und Träger anders gehandhabt – das Gros der Vorbereitung wird von den ElementarpädagogInnen allerdings überall in der Freizeit geleistet.

Es seien diese Rahmenbedingungen, die viele ElementarpädagogInnen überhaupt davon abhalten, überhaupt in den Beruf zu gehen. Sie könnten diesen zwar mit ihrer berufsbildenden Matura an einer BAfEP (Bundeslehranstalt für Elementarpädagogik) ausüben, beginnen aber lieber zu studieren. Andere KollegInnen wiederum würden nach wenigen Jahren aus dem Beruf aussteigen. Das führt auch dazu, dass es österreichweit einen Mangel an KindergartenpädagogInnen gibt. Insoferne würde man sich seitens der Gesellschaft, aber eben auch der Politik, die über die Mittelverteilung entscheidet, mehr Anerkennung wünschen.

„Wenn man ehrlich ist, kann man sich nicht schützen. Man kann einem Dreijährigen nicht sagen, geh weg von mir. Kinder reden und spucken und laufen und singen und lachen. Da gibt es kein Abstandhalten.“

Link Krumpel

Eine besondere Herausforderung war und ist die Corona-Pandemie. Hier fühlt(e) man sich aber gerade von der Politik alleine gelassen. „Die Regierung hat die Kindergärten ignoriert.“ Kindergärten seien offen zu halten, heißt es da, was verständlich sei, schließlich bräuchten Eltern Betreuung für ihre Kinder. Über die Arbeitssituation von ElementarpädagogInnen habe sich dabei aber niemand den Kopf zerbrochen. Denn die Realität sehe hier so aus: „Wenn man ehrlich ist, kann man sich nicht schützen. Man kann einem Dreijährigen nicht sagen, geh weg von mir. Kinder reden und spucken und laufen und singen und lachen. Da gibt es kein Abstandhalten.“ Man könne Eltern bitten, Masken zu tragen, und das passiere auch.

Er selbst dürfte vom Arbeitgeber aus Maske tragen, wenn er wollte, tut dies aber nicht, obwohl er grundsätzlich nicht leichtfertig mit der Pandemiesituation umgehe, wie Krumpel betont. „Ich finde es nur schwierig im Umgang mit den Kindern, die Maske auf zu haben. Ich glaube, wenn wir anfangen, Kleinkinder nicht mehr zu berühren und sie wegzuschicken, dann macht das in diesem Entwicklungsstadium viel mit ihnen. Wenn das über einen längeren Zeitraum so geht, ist das nicht gut für sie.“

Was viele seiner KollegInnen aber echauffiere: „Wir haben die gleiche Wichtigkeit wie Schulen. Wir sind nicht nur Betreuung, wir sind auch Bildungseinrichtungen. Und wir sind systemrelevant. Wenn wir nicht offen haben, können Eltern nicht arbeiten. Aber diese Systemrelevanz wurde komplett ignoriert.“

Zur Person:

Link Krumpel, geb. 1981 und aufgewachsen in Loosdorf/Niederösterreich, zunächst Tischlerlehre, danach Ausbildung zum Grafiker und sieben Jahre in einer Werbeagentur tätig. Vor rund zehn Jahren Entschluss, den Beruf zu wechseln. Zunächst Tätigkeit als Assistent in einem Kindergarten, parallel Studienberechtigungsprüfung, im Anschluss Ausbildung zum Elementarpädagogen im Abendkollegform. Seit drei Jahren Betriebsrat, seit einem Jahr Vorsitzender des Betriebsrats eines privaten Kindergarten- und Hortträgers in Wien. Krumpel ist Vater eines vierjährigen Sohnes und lebt mit seiner Familie in Wien.

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