Bosch-Betriebsratschef Michael Träger denkt heute meist schon an übermorgen. Und dabei vor allem daran, wer die Corona-Rechnung bezahlen wird. Denn knapp vier Jahrzehnte Gewerkschaft lehrten ihn eines: Geschenkt gibt’s nichts.
Die Antwort auf die Frage, was gerade auf seinem Schreibtisch liegt ist eine lange. Michael Träger ist Betriebsratsvorsitzender im Wiener Headquarter der Robert Bosch AG – und auf seinem Schreibtisch liegt so einiges. „Denn auch ohne Corona wären die derzeitigen Herausforderungen für uns groß genug“, betont Träger. In der Unternehmenszentrale in Wien-Erdberg befindet sich neben der Thermotechnik und den Vertriebsbereichen auch der Entwicklungsstandort von Bosch. Für die 900 dort Beschäftigten bedeutet das, heute schon antizipieren zu müssen, was sich morgen gut verkauft – und für Träger, dass er seine KollegInnen entsprechend darauf vorbereiten muss.
Ob er überhaupt Betriebsratsvorsitzender werden solle, ließ sich Träger lange durch den Kopf gehen. Drei Monate lang. Als ihm die damalige Betriebsratschefin 2006 die Nachfolge anbot, war Träger Anfang 40, stand mitten im Berufsleben. Und er wusste: „wenn du in der Entwicklung mal ein paar Jahre weg bist, ist der Weg zurück ein Langer“. Anfang 2007 sagte er zu. Weil ihm seine Arbeit in der Hardware-Entwicklung zwar Spaß machte, „aber für und mit Menschen zu arbeiten, dann doch nochmal eine andere Qualität ist“. Und weil der heute 54-Jährige der festen Überzeugung ist, „dass Arbeitnehmerrechte nicht einfach so vom Himmel fallen“. Das sind sie damals nicht und werden es auch in Zukunft nicht, findet Träger.
Permanenter Wandel
Besonders heute sei die Situation für die Bosch-Beschäftigten keine Leichte. Bosch beliefert sämtliche großen Automobilhersteller, allen voran in Deutschland. Dass die KFZ-Zulassungen in den vergangenen Jahren stetig sanken, bekommen auch die Zulieferer zu spüren. Die Stimmung in Erdberg hängt dabei oftmals weniger von der wirtschaftlichen Lage im eigenen Land ab als vielmehr von der Deutschen, der Europäischen oder der Chinesischen. Schrauben einzelne Regierungen an ihren Umweltauflagen hat das auch für Bosch in Österreich Auswirkungen.
„Die MitarbeiterInnen hier sind es gewohnt, sich ständig fortzubilden.“
Michael Träger
In der Unternehmenszentrale in Erdberg zelebriert man den Wandel in Permanenz, stets darum bemüht, „heute schon die Musik von morgen zu spielen“. Die Anforderungen in der Branche wandeln sich rasant. „Die MitarbeiterInnen hier sind es gewohnt, sich ständig fortzubilden“, erklärt Träger, der bereits seit 30 Jahren bei Bosch arbeitet und nie ein schlechtes Wort über den Konzern verliert. Zurücklehnen und sich auf den Lorbeeren der neuesten Antriebstechnik ausruhen funktioniert nicht. Denn was heute noch neu ist, kann morgen schon wieder alt sein. Sorgen um die Zukunft des eigenen Arbeitsplatzes mache sich in seinem Unternehmen dennoch kaum jemand – „weil wir auch mit den neuen Umwelttechnologien wieder mit dabei sein wollen und sein werden“, bekräftigt der Betriebsratsvorsitzende.
Dass man in den weitläufigen Gängen des Standortes derzeit nur selten auf Menschen trifft, gibt einen Hinweis darauf, dass man in Erdberg gerade noch eine sehr viel größere Baustelle hat. Bis zu 95 Prozent der Beschäftigten befanden sich zwischenzeitlich Corona-bedingt im Homeoffice. In Sachen Digitalisierung und Krisenmanagement sei man am Standort gut aufgestellt, so Träger; dass die Pandemie unternehmensintern nicht zum Fiasko wurde, liege aber auch an der engagierten Arbeit des 15-köpfigen Betriebsrats. „Ich wage zu behaupten, hätte uns dieses Virus bereits vor fünf Jahren erreicht, wäre es wahrscheinlich nicht so reibungslos gelaufen“, mutmaßt der 54-Jährige.
Homeoffice: „Die Freiwilligkeit muss jederzeit gegeben sein!“
Als Träger 2007 den Vorsitz übernommen hatte, war das Arbeiten von Zuhause aus ein Privileg für Führungskräfte. Seither sind – zumindest vor der Corona-Pandemie – auf freiwilliger Basis bis zu 20 Prozent Homeoffice möglich. Aufgrund der außergewöhnlichen Situation arbeiten Beschäftigte in der Unternehmenszentrale allerdings aktuell bis zu fünf Tage von Zuhause aus. Was für manche MitarbeiterInnen sehr gut, für andere weniger gut funktioniere, beobachtet Träger. Vor allem kinderlose Beschäftigte oder PendlerInnen wüssten die Vorteile des Homeoffice oftmals durchaus zu schätzen. Angestellte mit kleiner Wohnung ohne eigenen Arbeitsplatz oder ungenügender IT-Ausstattung sind vom Teleworking in der Regel weniger begeistert. „Dort, wo Corona-bedingt Kinderbetreuung notwendig ist, hat die Bundesregierung bis heute wenig Konkretes vorzuweisen“, kritisiert Träger. Insbesondere fehle der Rechtsanspruch auf die Sonderbetreuungszeit. Mit der Unternehmensspitze habe man sich nun auf ein mehrstufiges, betriebliches Modell geeinigt.
„Dort, wo Corona-bedingt Kinderbetreuung notwendig ist, hat die Bundesregierung bis heute wenig Konkretes vorzuweisen“
Michael Träger
Als Betriebsrat arbeite man derzeit an geeigneten Rahmenbedingungen für einen langfristigen Ausbau der Telearbeit. „Besonders wichtig ist, dass die Freiwilligkeit jederzeit gegeben ist“, betont Träger. Außerdem dürfe die Arbeit im Eigenheim „nicht zur Selbstausbeutung führen“. Entsprechende Vereinbarungen wolle man in den nächsten Monaten ausarbeiten.
„Zahlen, Daten, Fakten“, aber wenig Raum für Zwischenmenschliches
Langfristig müsse man sich darüber Gedanken machen, auch die Betriebsratsarbeit an die neuen Verhältnisse anzupassen. Denn der Plausch an der Kaffeemaschine über etwaige Schwierigkeiten im Betrieb fällt weg, wenn ein Großteil der Belegschaft nicht mehr ins Büro kommt. Und die Gespräche in den Videokonferenzen beschränken sich meist auf „Zahlen, Daten, Fakten“, wie Träger bisher feststellen musste. Für Zwischenmenschliches ist da wenig Raum. Die simple Frage, wie es der Sitznachbarin denn so geht, sei für die kollegiale Zusammenarbeit allerdings Gold wert, findet Träger. „Da geht per Skype natürlich einiges verloren“.
Schließlich und endlich geht es beim Austausch unter KollegInnen und mit dem Betriebsrat auch darum, eigene Interessen zu artikulieren. Denn irgendwann ist auch die Corona-Pandemie vorbei – „und dann gilt es zu klären, wer die Rechnung begleichen soll“. Träger, seit 38 Jahren Gewerkschaftsmitglied und seit 20 Jahren im Betriebsrat, ist sich sicher, dass auch dieses Mal „nichts vom Himmel fällt“. Bei der Frage, wer für das staatliche Budgetdefizit aufkommen soll, ob die Kosten der Krise die Beschäftigten oder die UnternehmerInnen tragen, „werden wir uns ganz massiv und mit allen Mitteln zu Wort melden müssen“. Gelegenheit dazu hat er, denn unlängst wurde Träger zum vierten Mal in Folge zum Vorsitzenden gewählt.
Zur Person:
Michael Träger, 54, ist in Wien geboren und aufgewachsen. Er machte eine Ausbildung zum „Elektromechaniker für Schwachstrom“ und arbeitet seit 30 Jahren bei Bosch. Seit 2000 sitzt er im Betriebsrat, seit 2007 als dessen Vorsitzender. Mitte Oktober wurde er zum vierten Mal in Folge wiedergewählt.