Steuerpolitik: Europa muss seine Steuern zurückholen

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Unter der Leitung des renommierten Ökonomen Gabriel Zucman wird 2021 eine europäische Beobachtungsstelle zur Steuerpolitik neu geschaffen. Sie wird Politikempfehlungen aussprechen und Analysen öffentlich zugänglich bereitstellen.

Gute Nachrichten: Es kommt Bewegung in den Kampf gegen die internationale Steuerhinterziehung. Die EU hat kurz vor Jahresende die Einrichtung einer neuen Steuerbeobachtungsstelle angekündigt. Diese Institution ist auf Druck des Europaparlaments entstanden und wird an der Pariser School of Economics ihre Arbeit aufnehmen. Ihre Aufgabe wird es sein, gezielt nachzuforschen, wie Steuervermeidung in der EU funktioniert und was sich dagegen tun ließe.

Damit nicht genug wird Gabriel Zucman, Wirtschaftswissenschafter und Experte für Steuerfragen und Vermögensungleichheit, diese Beobachtungsstelle leiten. Der Franzose Zucman hat sich nicht nur in wissenschaftlichen Kreisen einen Namen gemacht. Sein Buch ‚Steueroasen. Wo der Wohlstand der Nationen versteckt wird’ machte ihn 2014 sehr rasch auch einem breiteren Publikum bekannt. Zusammen mit Emmanuel Saez veröffentlichte er letztes Jahr außerdem noch ‚Der Triumph der Ungerechtigkeit. Steuern und Ungleichheit im 21. Jahrhundert’ (Hier geht es zur Buchbesprechung auf Kompetenz Online).

Auch die Gewerkschaften begrüßen die Einrichtung der neuen Steuerbeobachtungsstelle: „Jährlich entgehen den EU-Mitgliedsländern Beträge in Milliardenhöhe durch Steuerflucht“, erklärt Sophia Reisecker, Internationale Sekretärin in der GPA. „Steuervermeidung, Steuerflucht und Geldwäsche sind seit Jahren immer wieder Gegenstand von Enthüllungen. Die Einrichtung dieser Beobachtungsstelle ist daher ein großer Schritt nach vorn!“

Gabriel Zucman

Gabriel Zucman, gerade mal 34 Jahre alt, gilt als eine Art Wunderkind seines Fachs. Er gehört zum Kreis der Ökonomen um Thomas Piketty, bei dem er auch dissertiert hat, und lehrt derzeit an der Eliteuniversität Berkeley in Kalifornien. Während der Vorwahlen des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfes beriet er die Demokraten Bernie Sanders und Elizabeth Warren.

In seinem sehr gut lesbaren Buch über Steueroasen rechnet Zucman vor, wieviel Geld den Volkswirtschaften durch Steuertricks entgeht. Mittels Gesetzeslücken, internen Verrechnungstricks, Briefkastenfirmen, usw., verschieben multinationale Konzerne, aber auch vermögende Privatpersonen, ihren Reichtum im großen Stil in Steueroasen.

Zucman stellt vor allem die Schweiz und Luxemburg an den Pranger. Deren Banken helfen den großen Konzernen, ihre Gewinne an den nationalen Finanzämtern vorbei in Offshore-Konten unterzubringen. Mit Hilfe von Tochtergesellschaften an exotischeren Orten wie Singapur oder den Bahamas werden die Finanzströme verschleiert und Briefkastenfirmen vorgeschoben.

Für Zucman bilden die Steueroasen den Kern der europäischen Krise: Denn Europa beraubt sich solcherart selbst, den Mitgliedstaaten entgehen Steuereinnahmen in Milliardenhöhe. Es muss der EU daher ein zentrales Anliegen sein, die in der EU erarbeiteten, aber illegal in Steuerparadiesen versteckten Gewinne zurückzuholen und der Steuerflucht einen Riegel vorzuschieben. Für Deutschland z.B. kommt Zucman auf ein illegales Offshore-Vermögen von etwa 400 Milliarden Euro – eine enorme Menge Geld, das eigentlich den BürgerInnen gehört.

Die EU-Beobachtungsstelle

Steuerhinterziehung und Steuerflucht sind für Zucman keine unabwendbaren Übel, gegen die wir machtlos sind. Er präsentiert in seinen Büchern folglich nicht nur Zahlen, sondern schlägt auch Lösungen vor. Dabei wird es aber, so warnt er vorweg, nicht ohne Zwang, Kontrolle und notfalls Sanktionen abgehen.

Welche Möglichkeiten stehen Zucman nun als Leiter der europäischen Beobachtungsstelle im Kampf gegen Steuerflucht offen? Es ist vorgesehen, dass das Mandat der Institution über eine reine Politikberatung hinausgehen soll. Zucman und sein Team werden ein öffentliches Register mit Daten und Analysen zu Steuervermeidung und Steuerflucht zusammenzustellen. Darauf aufbauend werden sie Empfehlungen aussprechen, wie verhindert werden kann, dass Gewinne und Vermögen in Steueroasen verschoben werden.

Die Analysen und Daten werden öffentlich zugänglich sein, und überdies in verständlicher Sprache aufbereitet werden. Somit werden der Zivilgesellschaft, den Medien und anderen interessierten Gruppen endlich fundierte Daten zur Verfügung stehen. „Auch das sehen wir als einen ganz wesentlichen Punkt an, wir alle können mit diesen Daten arbeiten und daraus Forderungen ableiten“, betont Sophia Reisecker.

Die Steuerbeobachtungsstelle wird außerdem Kontakte mit internationalen Organisationen und nationalen Verwaltungen pflegen, und so die Entwicklung gemeinsamer EU-Regeln voranbringen. Reisecker: „Die Diskussion über gerechtere Steuersysteme kann in den nächsten Jahren intensiver und breiter geführt werden.“

Das EU Parlament

Eine Schwachstelle des europäischen Binnenmarkts mit seinen 27 Steuersystemen ist der daraus resultierende interne Steuerwettbewerb. Die Mitgliedsländer wollen nicht auf ihre nationale Steuersouveränität verzichten – entsprechend schwierig sind Änderungen durchzusetzen. „Das haben Multis leider zu ihrem Vorteil zu nutzen gewusst“, sagt EU-Abgeordnete und Gewerkschafterin Evelyn Regner. Sie arbeitet in Brüssel seit Jahren in den Ausschüssen des EU-Parlaments zur Aufdeckung von Steuerbetrug und -vermeidung. Regner ist überzeugt, „dass wir den Kampf für Steuergerechtigkeit nur auf europäischer und internationaler Ebene gewinnen können.“

Die nun neu geschaffene Beobachtungsstelle resultiert aus einer 2019 von den europäischen SozialdemokratInnen zusammen mit den Grünen und Liberalen im Europäischen Parlament an die von der Leyen-Kommission gerichtete Forderung.

Nicht zuletzt weil die EU unter der finanziellen Last der Covid-Krise leidet und es sich nicht leisten kann, die Summen, um die es hier geht, in Steueroasen liegen zu lassen, kommt der neuen Beobachtungsstelle eine wichtige Aufgabe zu: „Eine europäische Beobachtungsstelle für Steuern sendet ein klares Signal: Steuerflucht ist ein europäisches Problem, das wir gemeinsam in Angriff nehmen müssen“, sagt Sophia Reisecker.

‚Missing Profits’

In einem gemeinsamen Forschungsprojekt schätzen Wissenschaftler der Universität Berkeley – darunter Zucman – und der Universität Kopenhagen, dass weltweit knapp 40 Prozent der Gewinne von Multis in Steuerparadiese fließen. Im Jahr 2017 waren das über 700 Milliarden Dollar.

Auf der Webseite dieses Forschungsprojekts, Missing Profits, kann man mittels einer interaktiven Karte sehen, wieviel Steuern ein Land verliert bzw. eine Steueroase gewinnt: Deutschland z.B. verliert 26 Prozent seiner Unternehmenssteuern in Steueroasen, Frankreich verliert 22 Prozent, Schweden 17 Prozent. Luxemburg hingegen gewinnt 58 Prozent. Österreich verliert immerhin auch 11 Prozent.

Studien zufolge entgehen den EU-Staaten insgesamt jährlich 170 Milliarden Euro an Steuern, und zwar eben ausgerechnet durch Steueroasen innerhalb der EU selbst. Dazu zählen neben Luxemburg auch die Niederlande, Irland, Zypern und Malta. Für eine gerechtere Besteuerung bräuchte es eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Gewinnsteuer. Doch solche Vorhaben sind bisher an den Eigeninteressen einiger EU-Staaten gescheitert.

Was unterscheidet nun Zucmans Ansatz von anderen? „Er übt nicht bloß Kritik, sondern bringt konkrete Vorschläge, was gegen die Steuerhinterziehung unternommen werden kann. Und er denkt progressiv und steht auf Seiten der europäischen BürgerInnen“, resümiert Sophia Reisecker. Europa kann es sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht länger leisten, auf die Milliarden in den Steueroasen zu verzichten. Denn, so Reisecker weiter, „wir dürfen auf keinen Fall zulassen, dass die ArbeitnehmerInnen die Kosten der Corona-Krise schultern müssen. Die Gewinne in den Steueroasen gehören den Beschäftigten, jenen Menschen, die sie erwirtschaftet haben – und nicht den Konzernen und Superreichen!“

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