Der ÖVP-Wirtschaftsbund spricht sich für verschärfte Regeln in der Arbeitslosenversicherung und bei der Notstandshilfe aus. Für viele Menschen würde das direkt in die Armut führen.
Mit strengeren Zumutbarkeitsbestimmungen, einem degressiven Arbeitslosengeld und einer zeitlichen Begrenzung des Anspruchs auf Notstandshilfe soll Langzeitarbeitslosigkeit bekämpft und dem Fachkräftemangel entgegengesteuert werden. Angesichts von Rekordarbeitslosigkeit und einem ohnehin viel zu geringen Arbeitslosengeld sind das unsoziale und völlig unakzeptable Forderungen. Auch die Idee eines Teilkrankenstands findet sich in den Überlegungen des Wirtschaftsbunds.
Die bislang bekanntgewordenen Punkte des Witschaftsbund-Plans
- Degressives Arbeitslosengeld: Mit der Dauer der Arbeitslosigkeit soll die Höhe des Arbeitslosengeldanspruches abnehmen. Derzeit liegt die Nettoersatzrate bei 55 Prozent. Bei der ins Spiel gebrachten degressiven Gestaltung soll die Ersatzrate zu Beginn der Arbeitslosigkeit auch höher angesetzt werden, im Zeitverlauf aber absinken und insgesamt aufkommensneutral bleiben. Damit steht im Raum, dass Arbeitslose mit weniger als 40 Prozent ihres letzten Nettogehalts auskommen müssten.
- Die Notstandshilfe, die derzeit nach dem Arbeitslosengeldbezug zeitlich unbegrenzt zusteht, soll auslaufen können. Danach würden Langzeitarbeitslose in die nach oben hin gedeckelte Sozialhilfe bzw. Mindestsicherung absinken. Damit müsste Vermögenswerte bis auf einen Freibetrag verwertet werden, bevor überhaupt eine Geldleistung bezogen werden kann.
- Bei der Stellenvermittlung sollen zumutbare Wegzeiten auf eineinhalb Stunden ausgedehnt werden (von derzeit einer Stunde). Für Langzeitarbeitslose sollen sogar Wegzeiten ohne zeitliche Beschränkung zumutbar sein. Damit müssten Langzeitarbeitslose die Vermittlung im gesamten Bundesgebiet akzeptieren.
- Während der Arbeitslosigkeit soll der Zuverdienst (derzeit bis zur Höhe der Geringfügigkeitsgrenze möglich) verboten werden.
- Für Menschen in Beschäftigung schlägt der Wirtschaftsbund erneut einen Teilkrankenstand vor. Bei Erkrankung soll eine möglicherweise noch verwertbare Rest-Arbeitsfähigkeit verwertet werden, anstatt vermehrt die Prävention zu forcieren oder den Erfolg der Rekonvaleszenz zu festigen.
Schikanen statt Chancen
Von Arbeitsminister Martin Kocher wurde der Wirtschaftsbund-Plan, als einer von vielen Vorschlägen im Vorfeld einer Diskussion zum Arbeitslosengeld bzw. zur Notstandshilfe bezeichnet und als solcher noch nicht kommentiert. Der Minister hat jedoch schon früher seine Einschätzung zum Ausdruck gebracht, dass das Arbeitslosengeld besonders bei Langzeitarbeitslosen zu hoch sei und dadurch zu wenig Anreize zur Aufnahme einer Berufstätigkeit bestünden. Eine Sichtweise, die davon ausgeht, dass Arbeitslose tatsächlich die Wahl hätten zwischen der Möglichkeit einen Job anzunehmen, oder länger arbeitslos zu bleiben. Das ist eine Konstellation, die schon in „normalen“ Zeiten nicht gegeben ist. In der der derzeitigen, pandemiebedingten Krisensituation am Arbeitsmarkt, in der statistisch gesehen mehr als fünf BewerberInnen auf eine offene Stelle kommen und in der Prognosen skizzieren, dass die Arbeitslosigkeit erst 2025 wieder auf Vor-Corona-Niveau absinken wird, ist dieser Vorschlag umso zynischer. Dennoch wird gerade jetzt das Bild von Arbeitslosen in der sozialen Hängematte beschworen bzw. von solchen, die durch Pfusch- und Schwarzarbeit noch zusätzlichen volkswirtschaftlichen Schaden anrichten.
Degressives Arbeitslosengeld wirkt nicht
Die vermeintliche Produktion von mehr Arbeitsanreizen durch ein degressives Arbeitslosengeldes bestätigt sich in der Praxis nicht. Eine Untersuchung des Wifo hat 49-Jährige, die 2017 nach 39 Wochen Arbeitslosengeld in die deutlich niedrigere Notstandhilfe wechselten, mit 50-Jährigen, die weiterhin Arbeitslosengeld erhielten, verglichen. Es zeigte sich, dass weniger Geld vom AMS kaum merkbare Unterschiede bei der Beschäftigungsaufnahme mit sich brachte. Auch ein Vergleich hinsichtlich der Häufigkeit von Sanktionen wie Bezugssperren zeigte laut Wifo, dass sich dadurch keine signifikanten Unterschiede bei der Bezugsdauer ergeben. Festgestellt wurde jedoch ein Zusammenhang zwischen der Dauer der Arbeitslosigkeit und der Intensität der Betreuung durch das AMS. So waren Arbeitslose, die in Wien nach drei bis vier Monaten in die Beratungszone wechseln, um 25 Tage kürzer arbeitslos gemeldet, als solche mit wenig Betreuung.
Das Argument vom zu hohen Arbeitslosengeld stimmt nicht
Die Forderung nach einer notwendigen Erhöhung des Arbeitslosengeldes mit einer Nettoersatzrate von derzeit 55 Prozent auf 70 Prozent wird von Regierungs- und Arbeitgeberseite oftmals mit dem Vergleich zu anderen EU-Staaten als ungerechtfertigt zurückgewiesen. Tatsächlich zeigt ein Vergleich, dass in einer Reihe dieser Staaten zum Teil deutlich höhere Ersatzraten bestehen. Bei einer Dauer der Arbeitslosigkeit von 24 Monaten beträgt die Ersatzrate in Spanien 54 Prozent, in Frankreich 64 Prozent, in Belgien 65 Prozent und in Dänemark 83 Prozent.
Deutlicher Anstieg des Armutsrisikos absehbar
Die Auswirkungen einer Umgestaltung des Arbeitslosengeldes und der Notstandshilfe wurden im Auftrag der türkis-blauen Bundesregierung (konkret des Sozialministeriums) in einer Studie des Wifo berechnet (Zugrunde gelegt wurde dabei die Auswirkungen im Jahr 2018 für Arbeitslose von 2016). Politisch angedacht war, das Arbeitslosengeld und die Notstandshilfe zu einer Leistung zusammenzuführen, deren Höhe deutlicher als derzeit über die Zeit sinkt und deren mögliche Bezugsdauer stärker als bisher an die vorherigen Versicherungszeiten gekoppelt ist. Anstatt wie derzeit 20 bis 52 Wochen Arbeitslosengeld und danach Notstandshilfe (im Durchschnitt 51 Prozent des Einkommens davor beziehen zu können, hätte es im Wesentlichen 6 bis 24 Monate eines laufend absinkendes Arbeitslosengeld vorgesehen. Nur für Langzeitversicherte ab einem Alter von 50 Jahren sein, wäre ein unbegrenzter Arbeitslosengeldanspruch vorgesehen gewesen. Ein solches Szenario hätte dazu geführt, dass ein Drittel der Arbeitslosen aus 2016 im Jahr 2018 keine Unterstützung des AMS erhalten hätten, Personen mit maximal Pflichtschulabschluss wären es 42 Prozent gewesen, mit gesundheitlichen Einschränkungen oder Behinderung 48 Prozent, von den über 55-Jährigen hätten 28 Prozent das Arbeitslosengeldes verloren.
Schon jetzt zeigt sich, dass die Armutsquote mit der Dauer der Arbeitslosigkeit zunimmt. Sie beträgt bei einer Arbeitslosigkeit von 1-5 Monaten 19 Prozent, bei 6-11 Monaten 32 Prozent und bei ganzjähriger Arbeitslosigkeit 52 Prozent. (Referenzjahr 2019). Mehr als jede/r zweite ganzjährig Arbeitslose ist also armutsgefährdet! Krisenbedingt ist die Langzeitarbeitslosigkeit massiv gestiegen, mehr als 190.000 Menschen, vor allem Ältere und geringer Qualifizierte, waren Ende März 2021 davon betroffen. Die Degression beim Arbeitslosengeld würde bei diesen voll zuschlagen.