Derzeit lohnt der wirtschaftspolitische Blick in die USA, betont Philipp Heimberger, Ökonom am Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Höhere Steuern für Unternehmen und gezielte Investitionen sollte sich auch Österreich zum Vorbild nehmen.
KOMPETENZ: Abseits von richtig oder falsch: Macht die Regierung in Sachen Wirtschaftskrise derzeit das, was Sie von ihr erwartet hätten?
Philipp Heimberger: Man kann sicher über einige Komponenten der Corona-Hilfspakete streiten. Da hätte mit Sicherheit einiges mehr für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer drin sein können. Aber im Grunde war es richtig, das Möglichste zu tun, um Haushalte und Unternehmen zu stützen, weil es ansonsten einen viel stärkeren Wirtschaftseinbruch gegeben hätte. Das hat zwar zu einem Budgetdefizit geführt und zum Anstieg der Staatsschuldenquote – aber ich denke, diese Situation muss man entdramatisieren. Aus ökonomischer Sicht können wir uns das locker leisten. Wegen der Ausgaben von diesem und letztem Jahr als Antwort auf die Corona-Krise sind die Ausgabenkapazitäten in naher Zukunft nicht eingeschränkt. Ganz im Gegenteil: hätten wir weniger oder nichts getan, um die Wirtschaft zu stützen, dann hätten wir noch viel größere Probleme am Arbeitsmarkt bekommen.
KOMPETENZ: Als Staat künftig noch mehr auszugeben, weil man sich im vergangenen Jahr verschuldet hat, wirkt erstmal überraschend. Wenn ich privat knapp bei Kasse bin, würde ich ja auch erstmal auf teure Restaurantbesuche verzichten, große Anschaffungen eher aufschieben…
Philipp Heimberger: Staatsfinanzen funktionieren anders als private Haushalte. „Den Gürtel enger schnallen“ wäre jetzt kontraproduktiv. Das Schlimmste, was man jetzt budgetpolitisch machen könnte, wäre, verfrüht auf Sparpakete zu setzen. Die Erholung ist gerade erst in Gang gekommen. Wenn der Staat letztes Jahr bestimmte Maßnahmen nicht ergriffen hätte – zum Beispiel die temporäre Erhöhung des Arbeitslosengeldes – dann hätte sich das negativ auf die Gesamtwirtschaft ausgewirkt, weil der Konsum eingebrochen wäre. Das hätte wiederum negative Auswirkungen auf den Staatshaushalt. Es ist wichtig, dass ein Staat eine gute und stabile Einnahmenbasis hat.
KOMPETENZ: Aktuell versucht die Regierung genau das Gegenteil, von dem was Sie sagen. Nämlich einerseits die Leistungen von Arbeitslosen zu kürzen und andererseits die Körperschaftssteuer von 25 auf 21 Prozent zu kürzen…
Philipp Heimberger: Man muss sich derzeit die Frage stellen: Welche Prioritäten muss man budgetpolitisch setzen? Aus meiner Sicht wäre eine Senkung der Körperschaftssteuer absolut die falsche Priorität. Man weiß, eine Reduktion von 25 auf 21 Prozent wird im Budget ungefähr 1,5 Milliarden Euro kosten. Mit diesem Geld könnte man viele sinnvolle Sachen machen – wie zum Beispiel Tausende neue Kindergartenplätze schaffen oder das Personal in Pflegeheimen massiv aufstocken. Ich habe unlängst mit einem Kollegen eine Studie veröffentlicht, die zeigt, dass von einer Unternehmenssteuersenkung auch keine substantiellen positiven Wachstumseffekte zu erwarten wären. Die Senkung hilft ein paar wenigen, großen Unternehmen besonders, aber insgesamt halte ich es für die völlig falsche Priorität.
Genau so macht es volkswirtschaftlich wenig Sinn, zu sagen, wir drehen jetzt die Daumenschrauben bei den Arbeitslosen an, weil das das Problem nicht löst. Man weiß ja, dass man aktuell immer noch zu wenig offene Stellen für alle Arbeitslosen hat. Wenn man jetzt wirklich groß vorankommen will, muss man neue Jobs schaffen, am besten in jenen Sektoren, die als besonders wichtig für die Zukunft gelten. Das heißt, der Staat wird da und dort Geld in die Hand nehmen müssen, vor allem für Investitionsprogramme, um die Arbeitslosigkeit abzubauen.
„In den USA redet man beispielsweise derzeit darüber, die Unternehmenssteuern anzuheben, damit die großen Unternehmen ihren Beitrag für Infrastrukturinvestitionsprogramme leisten.“
Philipp Heimberger
KOMPETENZ: Wieso handelt die Regierung dann gerade genau gegenteilig?
Philipp Heimberger: Ich denke, es ist ein Mix aus falschen Ideen und Interessenspolitik. Bei der Körperschaftssteuer wird es ein paar Wirtschaftsvertreterinnen und -vertreter geben, die das halt besonders haben wollen.
Mit falschen Ideen meine ich vor allem das „angebotsseitige Denken“ in der Wirtschaftspolitik. Hier wird argumentiert, man müsse zuvorderst die Rahmenbedingungen für Unternehmen verbessern, indem man beispielsweise die Steuern senkt.
Dieses Paradigma ist international eher auf dem Rückzug. In den USA redet man beispielsweise derzeit darüber, die Unternehmenssteuern anzuheben, damit die großen Unternehmen ihren Beitrag für Infrastrukturinvestitionsprogramme leisten.
Der Wirtschaftsaufschwung, der in den USA deutlich stärker ist als in Europa, ist stark getragen durch die Konjunktur- und Infrastrukturpakete. Außerdem wachsen die Niedrigeinkommen in den USA mit fünf Prozent derzeit deutlich schneller als höhere Einkommen mit 2,5 Prozent Zuwachs. Das ist das erste Mal seit den 1990ern so! Das heißt: Ein starker Boom auf dem Arbeitsmarkt sorgt dafür, dass die Einkommensungleichheit zurückgeht. Aber die Berater der österreichischen Regierung haben hier offenbar einen anderen wirtschaftspolitischen Zugang.
KOMPETENZ: Was bedeutet das für Lohnabhängige?
Philipp Heimberger: Es ist ganz entscheidend, welche Prioritäten die Wirtschaftspolitik bei den Zielen vorgibt. Wirtschaftspolitik ist immer Prioritätensetzung. Es ist ein großer Unterschied, zu sagen, Staatsschuldenabbau ist das priorisierte Ziel; oder zu sagen, wir wollen in Richtung Vollbeschäftigung gehen, dabei behalten wir die Staatsfinanzen jedoch im Auge. Je nach Prioritätensetzung wählt man andere Maßnahmenpakete. Für Lohnabhängige macht das natürlich einen großen Unterschied.
„Es gibt daher gute Gründe darauf zu drängen, den Faktor Arbeit weniger und dafür Kapital stärker zu belasten. Das würde nicht zuletzt unserer Demokratie guttun.“
Philipp Heimberger
KOMPETENZ: Was bräuchte es aus Ihrer Sicht?
Philipp Heimberger: In Österreich ist die Einkommensungleichheit deutlich niedriger als die Vermögensungleichheit. Es gibt daher gute Gründe darauf zu drängen, den Faktor Arbeit weniger und dafür Kapital stärker zu belasten. Das würde nicht zuletzt unserer Demokratie guttun. Ich würde nur davon Abstand nehmen, die Forderung nach einer Vermögenssteuer an die Bewältigung der COVID-Krisenkosten zu koppeln. Das halte ich aus strategischer Sicht für unklug.
KOMPETENZ: Sondern?
Philipp Heimberger: Das Wichtigste wäre eine Investitionsoffensive: Um die Infrastruktur in gesellschaftlich relevanten Bereichen zu verbessern, um die ambitionierten CO2-Reduktionsziele zu erreichen, um den Ausbau des Sozialstaates voranzutreiben. Hier muss man stark die Auseinandersetzung suchen.
Zur Person:
Philipp Heimberger, 32, ist Ökonom am Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Makroökonomie, öffentliche Wirtschaft und internationale Wirtschaft.