Mit Mut und Willen zur Veränderung

Foto: privat

Die Tirolerin und Betriebsratsvorsitzende Sonja Föger-Kalchschmied fordert ein gesellschaftliches Umdenken für die Entlohnung von Frauen und den Wert sozialer Dienstleistungen.

„Ich will Dinge verändern“, sagt Sonja Föger-Kalchschmied, Betriebsrats-Vorsitzende in der Lebenshilfe Tirol. Vor ihrer Freistellung hat die gebürtige Reuttenerin in der mobilen Begleitung gearbeitet, ihren Beruf auch gerne ausgeübt: „Menschen mit Behinderung sind viel direkter, offener und haben eine enorme Lebensfreude“. Das Ziel der mobilen Begleitung ist die Unterstützung hin zu einem möglichst selbstbestimmten Leben. „Wir begleiten die Menschen im privaten Wohnumfeld und in ihrer Freizeit, da müssen Nähe und Distanz ständig in Balance gehalten werden – wir unterstützen, aber wir fordern auch auf, die Komfortzone zu verlassen.“ Eine bereichernde und psychisch wie physisch herausfordernde Aufgabe, die Föger-Kalchschmied in Teilzeit ausgeübt hat. Wie so viele Frauen.

„Menschen mit Behinderung sind viel direkter, offener und haben eine enorme Lebensfreude“

Sonja Föger-Kalchschmied

Nicht genug für ein gutes Leben

Rund 70 Prozent der Lebenshilfe MitarbeiterInnen sind weiblich. Eine Vollzeit-Beschäftigung in diesem Sektor ist körperlich und mental oft kaum zu bewältigen. Die Arbeit wirkt über den Dienstschluss hinaus nach: „Es ist oft sehr schwer, abzuschalten“, weiß die Betriebsrats-Vorsitzende. Menschen mit Behinderung werden von der Lebenshilfe Tirol, einer gemeinnützigen GmbH, in vielen Bereichen unterstützt. Diese reichen vom begleiteten Wohnen in Vollzeit über vielfältige Projekte im Bereich Arbeit, mobiler Begleitung, Frühförderung, Freizeit-und Familienentlastung bis hin zu Arbeitsassistenz, Jobcoaching und Beratung. Föger-Kalchschmied: „Wir arbeiten inklusiv, uns ist es wichtig, dass jeder bzw. jede seinen Platz im Leben findet“. Der Beruf ist fordernd, die Dienstpläne stehen oft nur zwei Wochen im Voraus fest. Die Planung eines Familienalltags ist dann mehr als schwierig, wie in allen pflegenden Berufen ist enorme Flexibilität gefragt. Doch anhand der Bezahlung spiegelt sich all der Einsatz nicht wider. „Jene, die in Teilzeit arbeiten müssen, weil es in manchen Arbeitsbereichen nahezu keine Vollzeitstellen gibt, haben mitunter Probleme, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Erschwerend kommt hinzu, dass die Lebenserhaltungskosten in Tirol sehr hoch sind, es ist zu wenig, um gut leben zu können.“

„Jene, die in Teilzeit arbeiten müssen, weil es in manchen Arbeitsbereichen nahezu keine Vollzeitstellen gibt, haben mitunter Probleme, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Sonja Föger-Kalchschmied

Die Auswirkungen dieser Schieflage: Viele gut ausgebildete MitarbeiterInnen verlassen den Gesundheits- und Sozialbereich. „Das war für mich die Motivation, in den Betriebsrat zu gehen, denn Jammern und Lamentieren alleine bringt uns nicht weiter“, erzählt Sonja Föger-Kalchschmied, die vor mittlerweile siebeneinhalb Jahren Mitglied im Betriebsratsgremium wurde. Um mehr bewirken zu können, gründete sie eine eigene Liste, die in der folgenden Wahl gewann. Föger-Kalchschmied wurde Betriebsrats-Vorsitzende und vertritt nun rund 1.600 MitarbeiterInnen in ganz Tirol. Außerdem ist sie Tiroler Vertreterin für Gesundheit und Soziales im Bundesausschuss der GPA .

Inmitten von Berufung und großen Herausforderungen

Zwar arbeiten in den sozialen Dienstleistungen vor allem Frauen, bei den BetriebsrätInnen sind sie jedoch deutlich unterrepräsentiert. Das liegt auch an der Mehrfachbelastung, die viele Frauen an ihre Grenzen bringt. Wer sich im Betriebsrat einbringt, muss neben der Arbeit einiges an zusätzlicher Zeit aufbringen. „Und meiner Meinung nach, sollten sich Betriebsräte auch in der Gewerkschaft engagieren“, findet Föger-Kalchschmied. Was wiederum zu mehreren Abendterminen pro Woche führen kann. Vor allem jüngere Frauen mit Kindern haben dafür schlichtweg keine Zeit.

„Meiner Meinung nach, sollten sich Betriebsräte auch in der Gewerkschaft engagieren.“

Sonja Föger-Kalchschmied

Wird ein Betriebsrat freigestellt, so wird er nur für die Arbeitszeit bezahlt, die er vorher im regulären Job gearbeitet hat: wer vorher in Teilzeit ist, bekommt auch als Betriebsrat nicht das Geld für eine Vollzeit-Stelle – selbst, wenn damit eine Vollzeit-Tätigkeit verbunden ist. Und die meisten Frauen im Gesundheit-und Sozialbereich arbeiten in Teilzeit. „Es ist aber wichtig, dass sich mehr Frauen als Betriebsrätinnen engagieren. Sie setzen andere, wichtige Akzente in der Arbeitswelt, deshalb ist es mir ein Anliegen auch mehr Frauen für die Betriebsratstätigkeit zu begeistern“, so Sonja Föger-Kalchschmied. Doch es ist keine leichte Aufgabe- bei Verhandlungen kann dann der Ton schon etwas rauer werden. „ Zu Beginn war es nicht leicht, mich da zu behaupten“, erinnert sich Sonja Föger-Kalchschmied. „Ich habe lernen müssen, gewisse Dinge nicht persönlich zu nehmen. Ich glaube, Männer halten dieses rohe Gehabe etwas besser aus und zeigen ihre Betroffenheit meist nicht.“ Wer Verbesserungen durchsetzen will, braucht einen langen Atem und muss Konflikte aushalten können. Auch sonst ist dieses Amt durchaus fordernd, die Betriebsrats-Vorsitzende ist viel unterwegs, denn es sind 130 Lebenshilfe-Tirol-Standorte zu betreuen. „Umso wichtiger ist es, ein gutes Team um sich zu haben.“

Die Politik schaut weg

Auch mit der Gewerkschaft GPA arbeitet Föger-Kalchschmied eng zusammen. „Wir waren in den letzten Jahren sehr aktiv und haben gemeinsame Aktionen gesetzt. Vor der Corona-Pandemie haben wir erstmals in Tirol gestreikt – es hieß, so etwas wäre im Sozialbereich nicht möglich, doch die Menschen in Tirol haben uns verstanden.“ Denn wer nichts fordert, kriegt nichts – das gilt besonders in der Arbeitswelt.
Zuletzt wurde Mitte November am Innsbrucker Franziskaner Platz demonstriert: „Wenn von der Politik aus nichts passiert, steuern wir auf ein immenses Problem zu, denn der Fachkräftemangel in unserer Branche wird immer größer“, erklärt die Betriebsrats-Vorsitzende. Die Arbeitszeit muss auf 35 Stunden verkürzt, die Gehälter erhöht, die Arbeitsbedingungen verbessert und die Kinderbetreuungsmöglichkeiten am Land ausgebaut werden. Ein wichtiges Anliegen ist es auch, den Gender-Pay-Gap endlich zu verringern.

Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit

„Wenn wir so weiter machen, werden wir die Gleichbezahlung der Frauen in 150 Jahren erreichen“, gibt sich Föger-Kalchschmied zwar keineswegs geschlagen, aber von dem „ewig grüßt das Murmeltier“-Effekt, wie sie ihn nennt, ziemlich genervt. „Es gibt zwar immer wieder die Equal-Pay-Day-Veranstaltungen, aber so richtig berühren tut es niemanden. Die Maßnahmen reichen nicht und gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit, das ist auch zu ungenau – es sollte gleiche Bezahlung für gleichwertige Arbeit geben.“
Die Betriebsrats-Vorsitzende wünscht sich eine andere Bemessung der Wertigkeit von Arbeit. „Wird die Bezahlung im Sozialbereich deutlich erhöht, werden auch mehr Männer in dieser Sparte tätig sein“, ist sich Föger-Kalchschmied gewiss. Schon heute wird die Arbeit von Frauen, die etwa in der Elementarpädagogik in Skandinavien arbeiten, weitaus höher bewertet. „Dort haben sie gesellschaftlich wirklich etwas verändert und wir müssen den Willen haben, auch unser gesamtes System zu verändern.“ Und den Mut.
Die Arbeitsbedingungen für Frauen zu verbessern, das ist Föger-Kalchschmieds ureigenstes Anliegen. Denn je mehr Frauen verdienen, desto höher ist ihre Pension im Alter. „Die Altersarmut darf nicht die Endstation sein.“

Ein Berg an positiver Energie

In großen Veränderungen übte sich Sonja Föger-Kalchschmied bereits als 14-Jährige. Damals ist sie von Reutte (die Gemeinde liegt im Tiroler Außerfern) nach Innsbruck übersiedelt, besuchte dort die höhere Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe. Und blieb viele Jahre in der Hauptstadt – studierte Psychologie, schloss mit einem Bakkalaureat ab und arbeitete in verschiedenen Berufen. In der mobilen Betreuung bei der Lebenshilfe Tirol stieg Föger-Kalchschmied in eine Leitungsfunktion auf: „Ich habe die Arbeit von allen Seiten kennen gelernt, das hilft mir jetzt als Betriebsrats-Vorsitzende sehr“.

Die bekennende Naturliebhaberin lebt heute in Telfs, ist „ein sehr geselliger Mensch mit einem tollen Freundeskreis“ und hat das Glück, direkt am Waldrand zu wohnen: „Gleich hinterm Haus gehen Wanderwege los. Da gibt es ein paar richtig tolle Hütten, wo ich ein Frühstück oder Mittagessen genieße.“ Die 52-Jährige steigt gerne auch mal auf höhere Berge, liebt „Bergtouren, wie auf die hohe Munde, meinen Hausberg – das gibt viel Kraft“. Neben dem Bergsteigen und Wandern, fährt die Tirolerin mit dem Mountainbike, schwimmt und ackert in ihrem Garten, der ihr „positive Energie“ schenkt. Positives und konstruktives Feedback und Rückhalt bekommt Sonja Föger-Kalchschmied auch von ihrem Ehemann: „Wir ticken sehr ähnlich“.

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