Als Vorsitzende des Jugendvertrauensrates vertritt Pauline Althier 150 Lehrlinge beim Chemieunternehmen Sandoz / Novartis in Tirol. Aktuell ist sie besorgt über die Auslagerung des Trainingszentrums des Betriebes, was die Situation der Lehrlinge nach zwei ohnehin schwierigen Jahren stark verändern wird. Sie fordert eine bessere Betreuung von jungen Menschen im Betrieb.
Lehrlinge, findet Pauline Althier, brauchen in der Arbeitswelt Unterstützung. Sei es durch eine/n AusbildnerIn im Betrieb, sei es durch den Jugendvertrauensrat, Lehrlinge sollten nicht sich selbst überlassen bleiben und brauchen Ansprechpersonen, wenn sie Hilfe benötigen. Darum will sie als Jugendvertrauensrätin die Stimme ihrer KollegInnen sein, gerade jetzt, wo in ihrem Betrieb vieles im Umbruch befindet.
Als sie 2019 zum ersten Mal zum Jugendvertrauensrat bei Sandoz kandidierte, ahnte sie nicht, welche Probleme bald auf die Lehrlinge zukommen würden: Lernen im Homeoffice, eingeschränkte Praxisübungen im Betrieb, kaum soziale Kontakte, alles ist seit zwei Jahren anders. Während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 bereitete sie gerade die Abschlussprüfung ihrer ersten Lehrausbildung als Pharmatechnologin vor, die sie trotz der widrigen Umstände gleich beim ersten Mal im Jahr 2021 bestand.
Im letzten Sommer hat sie nun eine zweite Ausbildung zur Labortechnikerin begonnen. Damit nicht genug, bereitet sie auch die Matura vor. Drei der vier Prüfungen hat sie bereits erfolgreich absolviert, die letzte Prüfung wird sie im kommenden Mai ablegen.
Auslagerung des Trainingszentrums
Der Betrieb Sandoz gehört zur Novartis-Gruppe. Das Werk in Kundl ist spezialisiert auf biotechnologisch hergestellte Arzneimittel und Antibiotika, seit letztem Jahr werden hier auch Impfstoffe auf mRNA-Basis produziert. Die zweite Niederlassung des Unternehmens in Tirol befindet sich in unmittelbarer Nähe in Schaftenau, in dem Althier arbeitet.
Althier wurde letztes Jahr als Jugendvertrauensrätin wiedergewählt. Sie ist nun erneut Vorsitzende des JVR, der rund 150 Lehrlinge aus verschiedenen Lehrberufen im Betrieb vertritt. Der Jugendvertrauensrat umfasst fünf aktive und fünf passive Mitglieder. „Für uns macht das kaum einen Unterschied, ob aktiv oder passiv. Wir sind immer zu zehnt im Team und entscheiden gemeinsam“, erzählt Althier.
Aktuell beschäftigt sie und ihr Team eine große Veränderung bei der Lehrausbildung im Betrieb: Sandoz lagert sein Trainingszentrum aus. Neben der Berufsschule und der Praxis im Betrieb erhalten die Lehrlinge noch weitere spezifische Kurse direkt im Unternehmen. Diese Kurse werden von den AusbildnerInnen im Betrieb gestaltet und unterrichtet, sie sind integraler Teil der Lehrausbildung.
Geänderte Bedingungen für Lehrlinge
Von der Auslagerung dieser Kurse ist die Ausbildung der Lehrlinge ganz unmittelbar betroffen: Schon ab 1. März werden die Kurse im Wifi Tirol stattfinden. Das Wifi hat dafür ein eigenes Institut gegründet, das außer den Lehrlingen auch andere Weiterbildungsmaßnahmen übernimmt. Die Firmenleitung bewirbt diese Auslagerung als Bildungsoffensive für Fachkräfte in der Region: Damit werden die Kurse auch externen Firmen wie z.B. mittelständischen Unternehmen, die keine eigenen Trainingscenter haben, zugänglich, so die Argumentation von Sandoz.
„Unsere AusbildnerInnen gehen nun ins Wifi und werden dort als TrainerInnen tätig sein. Wer wird dann im Betrieb den Lehrlingen zur Seite stehen?“
Pauline Althier
Als Jugendvertrauensrätin ist Althier allerdings sehr besorgt über diese Entwicklung, denn: „Unsere AusbildnerInnen gehen nun ins Wifi und werden dort als TrainerInnen tätig sein. Wer wird dann im Betrieb den Lehrlingen zur Seite stehen?“ AusbildnerInnen, führt Althier aus, sind mehr als nur Lehrpersonen. „Sie sind unsere direkten AnsprechpartnerInnen. Sie unterstützen uns, lösen Konflikte, helfen, wo gerade Hilfe nötig ist. Wer wird diese Rolle nun im Betrieb übernehmen?“
Auch auf die Arbeit des JVR wird das unmittelbare Auswirkungen haben: „Die Entscheidung kam sehr plötzlich und wir wurden als JVR leider nicht daran beteiligt. Als Vertretung der Lehrlinge fehlt uns dann ebenfalls der direkte Ansprechpartner, mit dem wir über unsere Bedürfnisse oder Probleme im Betrieb sprechen können. Unsere Möglichkeiten zur Mitsprache bei der Gestaltung der Ausbildung werden verringert. Letztlich wird damit unsere Rolle als JVR geschwächt.“
Zwei Jahre Pandemie
Als sie das erste Mal zum JVR kandidierte, war Althier im zweiten Lehrjahr: „Ich fand es inspirierend, nicht nur für sich selbst stark zu sein, sondern auch für andere. Nämlich für diejenigen, die Hilfe benötigen und aber keinen Ansprechpartner finden und daher ein Sprachrohr brauchen. Jemand, der für sie und ihre Rechte aufsteht!“
„Ich fand es inspirierend, nicht nur für sich selbst stark zu sein, sondern auch für andere.“
Pauline Althier
Das war noch vor Beginn der Pandemie – seither sind Corona und alles, was diese Krise mit sich brachte, ins Zentrum der Arbeit des JVR gerückt. „Corona war besonders anfangs wirklich heftig!“, erinnert sich Althier. Während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 wurden die Lehrlinge zu ihrem Schutz nach Hause geschickt: „Um die 120 Lehrlinge waren von einem auf den anderen Tag physisch nicht mehr im Unternehmen vor Ort. Nur wenige arbeiteten weiter im Unternehmen. Statt der gewohnten Ausbildung im Betrieb gab es für zwei Monate Distance Learning.“
Die Praxisvermittlung im Betrieb fehlte während dieser zwei Monate, und für die Lehrlinge war das deutlich spürbar in ihrem Lernfortschritt. „Wir haben alle die Ausbildung im Betrieb vermisst, da war einfach eine große Lücke! Ganz besonders hart war es für die Lehrlinge in den Abschlussjahren, die die Lehrabschlussprüfung vorbereiten mussten.“ In der Folge schafften auch nicht alle die Lehrabschlussprüfung gleich beim ersten Mal. „Nicht alle Inhalte bei uns kann man Online unterrichten. Im Labor muss man in Präsenz arbeiten. Der Betrieb hat uns dabei aber gut unterstützt“, betont Althier. „Es wurden zusätzliche Lerneinheiten und Kurse angeboten und Probefachgespräche abgehalten. Außerdem erhielten wir Lehrlinge auch eine Prämie, damit wir fürs Lernen zu Hause Laptop und Kamera anschaffen konnten.“
Während des Verlaufs der Pandemie kam es auch vermehrt zu psychische Probleme bei den Lehrlingen. Dies war besonders den fehlenden sozialen Kontakten und der permanenten Belastung durch die Corona-Pandemie geschuldet. Auch wenn es die Lehrlinge in den letzten zwei Jahren gelernt haben, mit Corona und den geänderten Bedingungen umzugehen, war es schwierig, alle aufzufangen: „Was völlig zu kurz kommt, ist der soziale Aspekt bei der Arbeit. Die meisten von uns kennen nur ihre Abteilung und nicht mehr die Jahrgänge über oder unter ihnen. Das Teambuilding fehlt, wir kennen uns untereinander zu wenig.“
Zukunftspläne
Im kommenden Sommer wird Althier mit ihrer zweiten Lehre sowie auch mit der Matura voraussichtlich fertig. Und wie geht es dann weiter? Sie denkt über ein Studium nach: „Wenn ich mich für ein Fach wie Chemie oder Verfahrenstechnik entscheide, wäre es wahrscheinlich möglich, im Unternehmen zu bleiben und ein duales Studium zu beginnen. Andererseits würden mich auch Fächer wie z.B. Pädagogik interessieren, die Arbeit mit Menschen macht mir Freude.“
Vielleicht vergönnt sie sich aber auch noch eine Verschnaufpause, ehe sie ein Studium aufnimmt. Neben der zweiten Lehrausbildung, der Matura und der Arbeit als Jugendvertrauensrätin, ist sie nämlich außerdem noch Schichtleiterin in ihrem Bereich. „Als ich mit meiner Lehre als Pharmatechnologin fertig war, wurde diese Stelle frei. Ich bin in der Verpackung tätig und betreue dreißig KollegInnen. Wir arbeiten in einer 2-Schicht, da bin ich z.B. für die Dienstpläne zuständig. Das ist schon nochmal einiges mehr an Verantwortung.“
In ihrer Freizeit engagiert sich Althier bei der Gewerkschaft. Sie ist in Tirol Mitglied des GPA Jugendvorstands und kandidiert fürs Präsidium. Außerdem arbeitet sie im Vorstand der ÖGJ, im FSG-Vorstand und im ÖGB Bundesvorstand. Entsprechend verbringt sie auch viel Zeit bei Terminen oder Workshops. „Mir macht das Spaß, das ist einfach wichtig für mich, so verbringe ich meine Freizeit wirklich sehr gern“, versichert sie. Entsprechend könnte sie es sich auch gut vorstellen, später, wenn ihre Zeit als Jugendvertrauensrätin vorbei ist, als Betriebsrätin weiterzumachen.
„Für mich waren die AusbildnerInnen immer enorm wichtig. Wer gute Fachkräfte will, muss seine Lehrlinge gut betreuen!“
Pauline Althier
Bis dahin engagiert sie sich aber noch eine Zeitlang für die Lehrlinge. Sie sieht die Lehre als ein ausgezeichnetes Angebot für junge Menschen, die eine hochwertige Ausbildung absolvieren möchten. Jugendliche brauchen aber mehr als nur Praxis und einen Kurs, betont sie: „Wir brauchen, vor allem anfangs, in der Arbeitswelt Begleitung. Ob AusbildnerIn oder JugendvertrauensrätIn – wichtig ist eine begleitende Hand, jemand der unterstützt und hilft.
Zur Person
Pauline Althier (20) findet trotz Beruf, Ausbildung und Engagement als Jugendvertrauensrätin noch Zeit für Musik: Sie spielt Querflöte und Saxophon, leider ist das momentan wegen Corona in ihrem Musikverein nur eingeschränkt möglich. In ihrer Freizeit trifft sie Freundinnen und unternimmt viel mit ihren Geschwistern und ihrer Familie. Weil momentan Lernen für Prüfungen im Vordergrund steht, wünscht sie sich mehr Zeit für die Familie und auch für ihre Beziehung.