Schwangere müssen die Zeche für ihren Schutz selbst bezahlen

Schwangere müssen die Zeche für ihren Schutz selbst bezahlen.
Foto: Camylla Battani

GPA-Rechtsschutzsekretärin Karin Koller fordert, dass Frauen nach der Meldung einer Schwangerschaft ein Gehalt ausbezahlt bekommen, das in allen Fällen den Durchschnitt jener Überstunden mitberücksichtigt, die in den letzten 13 Wochen zuvor geleistet wurden. Die aktuelle Rechtspraxis berechnet Überstunden und Überstundenpauschalen nicht mit ein, was viele Frauen dazu verleitet, ihre Schwangerschaft verspätet zu melden.

Um eine Verbesserung hinsichtlich der Anrechnung von Überstunden als Gehaltsbestandteil für schwangere Beschäftigte zu erreichen, brachte Gerlinde Kandler, die als Vorsitzende des Betriebsrates der Angestellten des Hanusch-Krankenhauses die Interessen von rund 1.600 Angestellten einer besonders betroffenen Branche vertritt, jüngst mit Unterstützung von Karin Koller, Rechtsschutzsekretärin der GPA-Wien, eine entsprechende Klage beim Arbeits- und Sozialgericht ein: „Bei uns sind alle Frauen betroffen, die Nachtdienste machen oder eine Überstundenpauschale beziehen – meist sind das Ärztinnen, Pflegerinnen oder Frauen im medizinisch-technischen Dienst. Sobald sie ihre Schwangerschaft melden, werden sie nur mehr im Rahmen der Normalarbeitszeit von 40 Stunden pro Woche zum Dienst eingeteilt. Das ist ein guter Schutz, aber ein unwillkommener Gehaltsverlust.“

Aktuell verlieren Angestellte mit der Meldung einer Schwangerschaft beim Dienstgeber alle Gehaltspauschalen, weil sie aufgrund des Mutterschutzgesetzes keine Überstunden mehr machen dürfen. Auch Koller sieht dies als „wichtigen Schutz vor ungewollter Mehrarbeit für die werdenden Mütter“, kritisiert aber gleichzeitig, dass diese Gehaltsumstellung vielen Frauen große Einkommensverluste bringt.

Keine Verbesserung für Schwangere

Umso mehr ärgert sich Koller, dass das jüngste Erkenntnis des Obersten Gerichtshofes (OGH) keine Verbesserungen hinsichtlich der Berücksichtigung von Überstundenpauschalen für schwangere Angestellte bringt. Sie fordert, dass das Durchschnittsgehalt vor Bekanntgabe einer Schwangerschaft auch bis zum Mutterschutz in voller Höhe weiterbezahlt wird.

„Viele Frauen melden ihre Schwangerschaft wegen finanzieller Einbußen erst sehr spät.“

Karin Koller

In der Praxis zeige sich, dass die Streichung der zusätzlichen Gehaltsbestandteile dazu führe, dass ein großer Teil der Frauen ihre Schwangerschaft möglichst spät meldet, um keine Gehaltseinbußen zu erleiden. „Dieser Effekt kann nicht im Sinne des Gesetzgebers sein und gehört dringend bereinigt“, argumentiert Koller.

Außerdem brächten die Gehaltseinbußen den betroffenen Frauen später aufgrund der niedrigeren Beitragsgrundlage geringere Pensionen ein. Für Koller ist dies kein zeitgemäßes Signal an den weiblichen Teil der Erwerbstätigen: „Diese Frauen verlieren für die Zeit bis zum Mutterschutz viel Geld, weil die Pauschalen für Überstunden sowie für Wochenenddienste bei der Berechnung der durchschnittlich ausbezahlten Überstunden nicht berücksichtigt werden.“

Dies liegt im Mutterschutzgesetz begründet, das in §14 jene Sachverhalte aufzählt, bei denen Schwangeren der Durchschnittswert der letzten 13 Wochen in voller Höhe weiter ausbezahlt wird – so gibt es bei Änderungen im Betrieb, Kurzarbeit oder einer Verkürzung der Arbeitszeit keine Einbußen bei der Berechnung des Durchschnittsgehaltes. Obwohl nicht explizit festgeschrieben ist, dass dies für Überstundenpauschalen und Wochenenddienste nicht gilt, wird die Regelung von der Rechtsprechung so ausgelegt: Fallen diese Gehaltsbestandteile durch den Eintritt einer Schwangerschaft weg, werden diese bei der Berechnung des weiteren Gehaltes auch nicht berücksichtigt.

Diskriminierende Rechtsauslegung

Der OGH vertritt in seiner Judikatur seit 2017 die Rechtsmeinung, dass bei der Berechnung des Durchschnittsgehaltes nach der Meldung einer Schwangerschaft nur Faktoren berücksichtigt werden, die im Gesetz taxativ, also erschöpfend, aufgezählt sind. „Überstunden, fallen dabei unter den Tisch“, kritisiert Koller und ortet auch eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes: „Was kann unmittelbarer diskriminierend sein, als wenn jemand aufgrund einer Schwangerschaft einen Anspruch verliert? Männliche Arbeitnehmer verlieren im Fall einer Dienstverhinderung oder Krankheit keine Ansprüche.“

„Alle schwangeren ArbeitnehmerInnen mit Überstundenpauschale oder Nachtdiensten sind von diesen Kürzungen betroffen.“

Karin Koller

Koller kritisiert, dass durch die aktuelle Rechtspraxis der Schutzgedanke des Gesetzes unterlaufen würden: „Viele Frauen überlegen, wann sie dem Arbeitgeber sagen, dass sie ein Kind erwarten und melden eine Schwangerschaft möglichst spät.“ Das könne nicht im Interesse der Gemeinschaft sein: „Das Mutterschutzgesetz ist eine wahnsinnig wichtige Errungenschaft, es schützt die werdende Mutter und das ungeborene Leben.“

Die beschriebenen finanziellen Einbußen drohen grundsätzlich allen Frauen in Österreich, die mit Überstundenpauschale bzw. regelmäßigen Überstunden arbeiten und schwanger werden. In bestimmten Berufsgruppen gäbe es aber eine besondere Betroffenheit, weil dort die Überstundenpauschalen längst fixe Bestandteile des üblichen Gehaltes geworden sind: „Diese Jobs sind so konzipiert, dass viele Überstunden geleistet werden.“

Es darf keine Gehaltseinbußen für Schwangere geben

Laut Kandler sei den meisten Frauen in ihrem Betrieb bewusst, dass sie sich mit der Meldung ihrer Schwangerschaft selbst finanziell schaden und einen wesentlichen Teil ihres Gehaltes verlieren: „Deswegen melden viele verspätet und leisten dann trotz Schwangerschaft Überstunden sowie Dienste an Wochenenden oder an Feiertagen. Das kann nicht in unserem Interesse sein!“

Zusätzlicher Druck zu verspäteten Meldungen entsteht im Spitalsbetrieb aufgrund anhaltender Schwierigkeiten, schwangere KollegInnen nach zu besetzen: „Die Frauen dürfen nach Meldung der Schwangerschaft nur mehr administrative Dienste am Stützpunkt verrichten, andere KollegInnen müssen ihre Dienste übernehmen.“

Kandler ist sehr unzufrieden mit der derzeitigen Situation: „Das ist ein Wahnsinn, denn im Grunde gefährden diese Frauen sich selbst und ihr Kind, wenn sie die Schwangerschaft so lange wie möglich geheim halten.“

„Der Wegfall regelmäßig geleisteter Überstunden kommt einer Verkürzung der Arbeitszeit gleich.“

Karin Koller und Gerlinde Kandler

Der Wegfall regelmäßig geleisteter Überstunden, auch im Rahmen einer Pauschale, stellt für die Gewerkschafterinnen eine Verkürzung der Arbeitszeit dar – damit müssten diese bei der Berechnung des weiteren Gehaltes gemäß §14 Mutterschutzgesetz berücksichtigt werden.

Die Klage zielte also einerseits darauf ab, bestehende Überstundenpauschalen nach Meldung einer Schwangerschaft als Gehaltsbestandteil zu erhalten und andererseits einen 13 Wochenschnitt der tatsächlich geleisteten Überstunden zu berücksichtigen. „Angestellte ohne Pauschale oder Teilzeitbeschäftigte mit Mehrstunden bekommen ja auch den Durchschnitt der Überstunden ausbezahlt, die in den vorangegangenen 13 Wochen geleistet wurden. Nach dem Ausfallsprinzip müsste dies auch für Kolleginnen mit einer Überstundenpauschale gelten.“

Aktuelles Urteil zementiert OGH Judikatur ein

Das erstinstanzliche Arbeits- und Sozialgericht folgte der Argumentation der GewerkschafterInnen – im Sinne einer Gleichbehandlung aller ArbeitnehmerInnen – und befand, „dass eine Überstundenpauschale im Falle einer Schwangerschaft weiterhin bezahlt werden müsse und nicht wegfallen dürfe, nur weil die Stunden nicht mehr geleistet werden dürfen.“

Doch der OGH bestätigte in seinem aktuellsten Urteil seine bisherige Rechtsmeinung: Überstundenpauschalen werden im Falle einer Schwangerschaft nicht in die Berechnung des weiteren Gehaltes mit einbezogen. Für Koller ein „Drüberfahren über die Frauen“ und eine eklatante Ungleichbehandlung: „Weil der OGH offenbar bei seiner eigenen Rechtsmeinung bleiben will, ist er unserem Antrag auf Vorlage des Sachverhaltes beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) nicht nachgekommen.“

Gewerkschaft fordert eine Reparatur der Gesetzeslage

Koller fordert von der Politik eine Reparatur dieser ungerechten und diskriminierenden Gesetzeslage, Überstundenpauschalen sowie Nacht- und Wochenenddienste sollten von §14 Mutterschutzgesetz mitumfasst sein: „Aktuell sind Schwangere zwar gut geschützt, die Zeche dafür bezahlen sie aber selbst. Frauen sind ein sehr wichtiger Bestandteil aller Erwerbstätigen, ihre Gleichstellung wird seit Jahrzehnten vernachlässigt.“

Kandler sieht noch eine andere mögliche Lösung, ein höheres Grundgehalt: „Überstundenpauschalen und durchschnittliche Überstunden sind fixe Bestandteil des Lohnes und sollten daher auch nach der Meldung einer Schwangerschaft weiterbezahlt werden.“

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