Inflation: Löhne erhöhen, Übergewinne besteuern!

„Wir frieren nicht für Profite!“ Demonstration des Deutschen Gewerkschaftsbund in Thüringen gegen die Preisexplosion und für eine Besteuerung der Übergewinne.
Foto: Bodo Schackow / dpa / picturedesk.com

Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) hat nachgerechnet: in der EU geben GeringverdienerInnen mittlerweile einen Monatslohn für ihre jährlichen Energiekosten aus! Europa muss dringend Maßnahmen gegen die exorbitant steigenden Energiepreise setzen. Denn die Krise wird von den übermäßigen Profiten angetrieben, nicht von den Löhnen.

Europaweit finden inzwischen Proteste und Arbeitskämpfe gegen die Preiserhöhungen statt. Nicht nur bei den Lebensmitteln und Waren des täglichen Bedarfs schnellen die Preise in die Höhe, vor allem die Kosten für Strom und Gas machen den Menschen nun, kurz vor dem Winter, enorme Sorgen.

Während die Vertreter der Industrie die Beschäftigten zu überreden versuchen, sinkende Lebensstandards zu akzeptieren und den Gürtel enger zu schnallen, halten die europäischen Gewerkschaften dagegen: Nicht die Löhne und Gehälter sind die Ursache der Inflation! Die ArbeitnehmerInnen sind vielmehr die Opfer der aktuellen Krise, der Wert ihrer Löhne und Gehälter sinkt, während die Preise für den täglichen Einkauf, Miete und Energie immer weiter steigen.

Krise der Lebenshaltungskosten

Der Europäische Gewerkschaftsbund EGB zeigte sich während des EnergieministerInnen-Treffens im September in Brüssel äußerst besorgt über die Krise der Lebenshaltungskosten in ganz Europa. Denn diese neuerliche Krise verstärkt bestehende Ungleichheiten. Schlecht bezahlte ArbeitnehmerInnen und schutzbedürftige Personen trifft es am härtesten.

Die durchschnittliche jährliche Energierechnung, so hat eine Analyse im Auftrag des EGB ergeben, beträgt für GeringverdienerInnen in 16 der 27 EU-Staaten mehr als einen Monatslohn. Konkret bedeutet das, dass ArbeitnehmerInnen, die den Mindestlohn verdienen, den Gegenwert eines Monatslohns – oder mehr – zurücklegen müssen, um zu Hause das Licht und die Heizung eingeschaltet zu lassen. 2021 war das in acht Mitgliedsstaaten der Fall.

„Wenn die Strom- und Gasrechnung mehr als einen Monatslohn ausmacht, dann gibt es keinen cleveren Spartrick mehr, der helfen könnte. Diese Preise sind heute für Millionen von Menschen einfach unerschwinglich.“

Esther Lynch

Französische oder deutsche GeringverdienerInnen müssen z.B. 30 bzw. 33 Tage arbeiten, um ihre Jahresrechnung für Strom und Gas bezahlen zu können. Am schlimmsten betroffen sind ArbeitnehmerInnen in Griechenland und Estland mit jeweils 54 Tagen, sowie Tschechien mit 65 Tagen, was de facto bereits zwei Monatslöhnen entspricht.

Die Zahl der Tage, die ein/e ArbeitnehmerIn mit Mindestlohn arbeiten muss, um ihre Energierechnung zu bezahlen, ist im Vergleich zum Vorjahr in einigen Ländern dramatisch angestiegen: in Estland um 26 Tage, in den Niederlanden um 20 Tage, in Tschechien sind es 17 Tage mehr, in Lettland 16.

„Wenn die Strom- und Gasrechnung mehr als einen Monatslohn ausmacht, dann gibt es keinen cleveren Spartrick mehr, der helfen könnte. Diese Preise sind heute für Millionen von Menschen einfach unerschwinglich,“ kritisiert die stellvertretende EGB-Generalsekretärin Esther Lynch die Kostenexplosion.

Bereits vor Beginn der Lebenshaltungskrise hatten rund 9,5 Millionen Erwerbstätige in Europa Schwierigkeiten, ihre Energierechnung zu bezahlen. Bis Juli dieses Jahres sind die Kosten für Gas und Strom im Vergleich zum Vorjahr europaweit um 38 Prozent gestiegen, und das Ende der Preissteigerungen ist derzeit noch nicht absehbar.

Heizen oder kochen?

In vier Ländern – in der Slowakei, Griechenland, Tschechien und Italien – beträgt die durchschnittliche jährliche Energierechnung jetzt auch mehr als einen Monatslohn für eine/n ArbeitnehmerIn mit einem Durchschnittsgehalt. Damit ist die Lebenshaltungskostenkrise endgültig in der Mittelschicht angekommen. „Hinter diesen Zahlen stehen echte Menschen“, kritisiert Lynch die Lage, „die immer schwierigere Entscheidungen treffen müssen, ob sie es sich leisten können, die Heizung anzustellen oder warme Mahlzeiten für ihre Kinder zu kochen.“

Diese Daten beziehen sich auf die Energiekosten im Juli 2022, zum Zeitpunkt als der EGB die Analyse erstellen ließ. Die Krise, mit der die ArbeitnehmerInnen konfrontiert sind, ist jedoch seither schlimmer geworden und verschärft sich, denn nicht nur die Kosten für Energie steigen weiter, auch andere grundlegende Konsumgüter, v.a. Lebensmittel, wurden in der Zwischenzeit weiterhin teurer.

„Hinter diesen Zahlen stehen echte Menschen, die immer schwierigere Entscheidungen treffen müssen, ob sie es sich leisten können, die Heizung anzustellen oder warme Mahlzeiten für ihre Kinder zu kochen.“

Esther Lynch

Die Lohnerhöhungen können diese Teuerungen nicht kompensieren. Der Wert der Löhne der am schlechtesten bezahlten ArbeitnehmerInnen in Europa ist in diesem Jahr um bis zu 19 Prozent gesunken ist, das stellt einen traurigen Negativrekord dar. Obwohl der gesetzliche Mindestlohn in den 21 EU-Ländern, in denen es einen gibt (Österreich gehört nicht dazu) im letzten Jahr gestiegen ist, hat die hohe Inflationsrate die Lohnsteigerung zunichte gemacht: der reale Wert der gesetzlichen Mindestlöhne ist um durchschnittlich 4,8 Prozent gesunken! „Millionen von ArbeitnehmerInnen hatten bereits vor dieser Krise Mühe, ihre Rechnungen zu bezahlen“, kritisiert Esther Lynch, „Jetzt werden sie aufgefordert, explodierende Energiekosten mit Löhnen zu bezahlen, die an Wert verlieren.“

EGB: 6-Punkte-Plan

Arbeitgeber, Regierungen und die EU sind daher aufgefordert, dringend Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise der Lebenshaltungskosten zur ergreifen, fordert der EGB. Dazu gehören Lohnerhöhungen und Hilfe für Menschen in Not, eine Obergrenze bei Preisen, sowie die Besteuerung und Umverteilung der Gewinne und Vermögen. Der EGB legte daher einen Sechs-Punkte-Plan vor, um die Krise der Lebenshaltungskosten zu bewältigen:

An erster Stelle dieses Plans stehen substanzielle Lohnerhöhungen, die den Anstieg der Lebenshaltungskosten decken. Dazu gehören Anteile an Produktivitätsgewinnen sowie Maßnahmen, die den sozialen Dialog fördern.

Für Menschen, die Schwierigkeiten haben, ihre Energierechnungen zu bezahlen, Essen auf den Tisch zu bringen und die Miete zu zahlen, muss es dringend Förderungen geben, fordert der EGB. Das Recht auf Nahrung und ein warmes Zuhause sind Menschenrechte und müssen geschützt werden. Von Menschen in Armut kann nicht erwartet werden, dass sie unerschwingliche Rechnungen bezahlen. Gefordert wird auch ein Verbot von Energiesperren durch den Energieversorger (Punkt 2).

Auch Preisobergrenzen, insbesondere für die Kosten von Energierechnungen, sind notwendig geworden, ebenso eine Steuer für übermäßige Gewinne von Energieunternehmen. Niemand darf auf die Krise spekulieren! Außerdem braucht es Maßnahmen, die die Profitgier stoppen, wie z. B. die Kürzung von Dividenden oder ein Verbot von Spekulationen auf Lebensmittelpreise (Punkt 3).

Die Funktionsweise des EU-Energiemarktes muss unbedingt reformiert werden. Energie ist ein öffentliches Gut ist und es braucht Investitionen, um die eigentlichen Ursachen der Krise anzugehen. Dazu gehören z.B. die zu niedrigen Investition in Grüne Energie und die Folgen der Privatisierungen des Energiesektors (Punkt 4).

Es braucht nationale und europäische Unterstützungsmaßnahmen zum Schutz von Einkommen und Arbeitsplätzen in Industrie, Dienstleistungen und im öffentlichen Sektor, sowie auch einen Platz am Verhandlungstisch für die Gewerkschaften, um Antikrisenmaßnahmen zu entwerfen und umzusetzen (Punkt 5 und 6).

Die Regierungen und die EU können diese Krise nicht aussitzen, hält der EGB in seinen Forderungen fest. Der Preis der Untätigkeit bzw. falsche Reaktionen, wie z. B. Zinserhöhungen, Lohnstopps oder die Rückkehr zur gescheiterten Austeritäts-Agenda wären katastrophal. „Die Politik muss diese Krise in den Griff bekommen, bevor sie im Winter Menschenleben kostet“, warnt Lynch, „Es ist Zeit für faire Lohnerhöhungen, eine Begrenzung der Energiepreise, Steuern auf überschüssige Gewinne und Notzahlungen an die ärmsten Haushalte.“

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