„Und der lange Winter, der kommt ja erst“

Foto: Nurith Wagner-Strauss

Die Sofortmaßnahmen der Regierung gegen die Teuerung zeigten kaum Wirkung, kritisiert Politikwissenschafterin Barbara Blaha im Interview. Derzeit können über ein Drittel der Haushalte die Kosten des täglichen Lebens nicht mehr aufbringen – die Situation ist „brandgefährlich“.

KOMPETENZ: Ein Bekannter war letztens bei mir zu einer „Krisensitzung“, nachdem er seine Strom- und Gasrechnung bekommen hat. „So schlimm wird’s schon nicht werden“, habe ich ihm geantwortet. War das zu optimistisch?

Barbara Blaha: Ich bekomme in letzter Zeit öfter Anrufe von Leuten, die mich fragen, wie sie mit ihrer Gasrechnung umgehen sollten. Ich verweise dann auf die Sozialberatungsstellen der Sozialhilfeorganisationen oder die SchuldnerInnenberatung. Aber das ist das Thema: Die Frage, wie wir mit den steigenden Energiepreisen umgehen, beantworten wir momentan damit, dass jedeR individuell die Krot schlucken soll. Aber in Österreich gibt es viele Haushalte, die keine Ersparnisse haben, die diese Krot nicht schlucken können. Für einkommensschwächere Haushalte bräuchten wir nachhaltige Lösungen, Einmalzahlungen reichen nicht.

KOMPETENZ: Wenn Sie sagen „einkommensschwächere Haushalte“: Wer ist von den hohen Energiepreisen betroffen?

Barbara Blaha: Es geht nicht nur um die allerärmsten Haushalte. Genau das ist das Brandgefährliche an dieser Teuerungswelle: Es betrifft eben nicht nur eine kleine Gruppe, der man sehr einfach helfen könnte. Das Problem reicht bis weit in die Mittelschicht hinein. Laut Fiskalrat können über ein Drittel der Haushalte die Kosten des täglichen Lebens nicht mehr aufbringen. Das sind alarmierende Zahlen. Derzeit gibt es einen Run auf Sozialmärkte, einen Run auf Sozialberatungen. Und der lange Winter, der kommt ja erst.

Fotos: Nurith Wagner-Strauss

KOMPETENZ: Was sind die Gründe für die Teuerung?

Barbara Blaha: Insgesamt haben wir mir drei Faktoren zu kämpfen. Erstens die Lieferkettenprobleme. Bis heute sind wir mitten in der Corona-Pandemie und China schließt immer wieder ganze Städte und Häfen. Wir leben in einer verzahnten und globalisierten Welt; wenn irgendwo ein Halbleiter fehlt, dann kann nicht weiter gebaut werden. Kommt es hier zu einer Verknappung, steigen die Preise.

Der zweite Grund ist, dass durch den Ukraine-Krieg die Energiekosten steigen. Das hat damit zu tun, dass Gas ein Spekulationsobjekt ist und der Markt annimmt, es könnte vielleicht knapp werden. Der Anstieg des Gaspreises hat mit dem Marktmechanismus zu tun, nicht so sehr mit einer tatsächlichen Knappheit. Russland liefert ja nach wie vor Gas.
Und drittens haben wir das Problem, dass der Strompreis an den Gaspreis gekoppelt ist. Wir produzieren in Österreich den meisten Strom aus erneuerbaren Energiequellen, aber wir müssen noch ein klein wenig Gas zukaufen, um den Strombedarf gänzlich zu decken. Das Problem ist, dass jede Kilowattstunde Strom um den teuersten Preis verkauft wird – das ist das Gas. Die Energieerzeuger in Österreich sind nun in einer komfortablen Situation, weil sie Strom zu sehr günstigen Preisen aus Sonne, Wasser oder Wind herstellen und sehr teuer weiterkaufen können. Die Differenz stecken sie sich ein.

KOMPETENZ: Die Regierung nimmt 6 Milliarden Euro für Sofortmaßnahmen in die Hand, um die Teuerung sozial abzufedern. Reicht das?

Barbara Blaha: Diese sogenannten Sofortmaßnahmen wirken so sofort eigentlich gar nicht. Sie werden zum Großteil im Oktober erst wirksam. Das zentrale Problem ist, dass keine dieser Transfermaßnahmen inflationsdämpfende Wirkung hat. Die Strom- und Gaspreise werden weiterhin hoch bleiben. Die Regierung versucht, die ärgsten sozialen Schwierigkeiten abzufedern, aber sie hat bis jetzt keine einzige Maßnahme getroffen, die direkt auf die Preise wirken würde. Da werden Handfeuerlöscher verteilt – aber eigentlichen bräuchten wir gescheite Brandschutzmaßnahmen.

KOMPETENZ: An was denken Sie hier?

Barbara Blaha: Andere Regierungen in Europa machen das längst, zum Beispiel in Form von Strom- und Gaspreisdeckeln. Eine weitere Möglichkeit wäre eine Sondersteuer: Wir schöpfen die Gewinne von Energiekonzernen ab und verteilen sie zurück an die Haushalte, die diese Gewinne ja zahlen. Dagegen wehrt sich die Regierung mit Händen und Füßen.

KOMPETENZ: Gerade jene Unternehmen, die für eine solche Gewinnsteuer in Frage kommen würden, wie die VERBUND AG oder die OMV, sind zu großen Teilen in staatlicher Hand. Müsste es hier nicht eine Handhabe geben?

Barbara Blaha: Die Bundesregierung könnte entscheiden, eine zeitlich befristete Sondersteuer einzuführen, auch wenn diese Unternehmen ausschließlich in privater Hand wären. Andere Länder tun das. In Italien beträgt die Sondersteuer 25 Prozent, in Griechenland 90 Prozent.

KOMPETENZ: Mit Blick auf die Kollektivvertragsverhandlungen im Herbst fordern Gewerkschaften, die Lohnerhöhungen müssten mindestens die Inflation ausgleichen. Die Gegenseite warnt vor einer Lohn-Preis-Spirale

Barbara Blaha: … das ist eine Preis-Lohn-Spirale! Zuerst steigen die Preise, dann die Löhne – nicht umgekehrt! Der zweite Punkt ist, dass sich Lohnverhandlungen daran orientieren, wie sich die Inflation in den vergangenen 12 Monaten entwickelt hat – und nicht daran, wie sie sich in den nächsten 12 Monaten entwickeln könnte. Löhne verhandeln wir immer mit Blick in den Rückspiegel. Das heißt, dass die Löhne die Preise nicht anheizen können, weil die ja zurückschauend gebildet werden. Das Gespenst der „Lohn-Preis-Spirale“ wird benutzt, um den ArbeitnehmerInnen den Schneid abzukaufen. Man will ihnen die Löhne nicht einmal so weit erhöhen, wie die Inflation diese entwertet hat. Wenn das den ArbeitnehmerInnen nicht gelingt, dann heißt das ganz konkret, dass die Leute weniger im Börserl haben werden.

KOMPETENZ: Abschließend: Was sage ich jetzt meinem Bekannten, wenn ich ihn das nächste Mal treffe?

Barbara Blaha: Ich würde ihm erstens die Nummern der Sozialberatung geben. Zweitens soll er unbedingt mit seinem Energieunternehmen eine Ratenzahlung ausmachen. Und ansonsten, sagen Sie ihm bitte, dass es politisch möglich wäre, gegen diese hohen Energiepreise vorzugehen, dass es dafür eine ganze Reihe an Vorschlägen gibt – und er bei der nächsten Wahl gut überlegen soll, wer in dieser Krise auf seiner Seite gestanden ist.

Zur Person:

Barbara Blaha, geb. 1983, ist Politikwissenschafterin und Mitbegründerin des Momentum Instituts und des Momentum Kongresses.

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