Längerer Vaterschaftsurlaub, Verbesserungen für LeiharbeiterInnen und die Bekämpfung von Scheinselbständigkeit – die sozialistische Regierung Portugals hat viel vor.
Das portugiesische Parlament hat am 10. Februar eine umfassende Änderung des Arbeitsrechts auf den Weg gebracht. Die Novelle basiert auf der „Agenda für menschenwürdige Arbeit“ der International Labour Organization (ILO). Damit einher gehen wesentlich Verbesserungen für Lohnabhängige. Vor allem prekären Beschäftigungsformen soll ein Riegel vorgeschoben und die Gleichberechtigung von Männern und Frauen am Arbeitsmarkt gefördert werden. Gewerkschaften begrüßen die Einigung, die größte Gewerkschaft des Landes, die kommunistische CGTP-IN, jedoch kritisiert, die angekündigten Reformen, gingen nicht weit genug.
Die Änderung in der portugiesischen Arbeitsgesetzgebung sollen mit April dieses Jahres in Kraft treten und beinhalten insgesamt 70 Maßnahmen. Zentrale Anliegen sind eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Privat-, Familien- und Berufsleben. Hierzu zählen die Verlängerung des Vaterschaftsurlaubs von 20 auf 28 Tage, das Recht auf Telearbeit für Personen mit Kindern mit Behinderung oder chronischen oder onkologischen Erkrankungen. Außerdem sind Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt und solche zur Förderung einer echten Aufteilung der familiären Pflichten vorgesehen. Teilen sich Mutter und Vater ihren Elternurlaub zu gleichen Teilen, wird dies steuerlich begünstigt. Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen, haben künftig Anspruch auf drei Tage Urlaub.
Verbesserungen für PraktikantInnen und Plattform-ArbeiterInnen
Teil des Programms ist auch die stärkere Regulierung der Leiharbeit und Formen prekärer Beschäftigung. So soll der missbräuchliche Einsatz von Leiharbeit stärker bekämpft, die Dauer von Zeitarbeitsverträgen begrenzt und der Einsatz von Outsourcing für ein Jahr nach einer Massenentlassung oder einem Arbeitsplatzabbau untersagt werden. Unternehmen, Geschäftsführer:innen und Manager:innen, die bereits wegen arbeitsrechtlichen Verstößen verurteilt wurden, sollen von Leiharbeitsangeboten ausgeschlossen werden. BerufspraktikantInnen müssen für ihre Tätigkeit mindestens 80 Prozent des nationalen Mindestlohns erhalten.
Außerdem kündigte die sozialistische Regierung unter António Costa bereits an, dass noch in diesem Jahr ein Pilotprojekt zur Vier-Tage-Woche starten soll, auf freiwilliger Basis und ohne Einkommensverluste.
Verbessern soll sich zudem der (oftmals unsichere) Status von Beschäftigten in der sogenannten Plattformökonomie. Sogenannte Plattform-Unternehmen stellen in der Regel nur die „Plattform“ einer Dienstleistung zur Verfügung, zum Beispiel eine Software, eine App oder eine Homepage, die eigentliche Tätigkeit wird von Personen erledigt, die nicht beim Unternehmen beschäftigt sind. Klassische Beispiele hierfür sind etwa Essenszustelldienste wie Mjam oder Lieferando oder Transportdienste wie Uber. Beschäftigungsverhältnisse in der Plattformökonomie sind oftmals besonders prekär, vielfach handelt es sich um Formen von „Scheinselbständigkeit“. Die Änderungen im portugiesischen Arbeitsgesetz sehen nun vor, dass die Beschäftigten digitaler Plattformen als ArbeitnehmerInnen betrachtet werden müssen und dieselben Rechte bekommen wie regulär Beschäftigte. Zudem werden ihre Arbeitsbedingungen und ihre Bezahlung künftig Teil von Kollektivvertragsverhandlungen sein.
Gewerkschaft ortet Verbesserungsbedarf
Trotz vielfältiger Verbesserungen lösen die angekündigten Reformen „nicht die Probleme der Prekarität, der Deregulierung der Arbeitszeiten, der Angriffe auf Tarifverhandlungen und der Zerstörung der Rechte und Freiheiten der Gewerkschaften“, kritisiert indes die Gewerkschaft CGTP-IN in einer Pressemitteilung. Auf die Forderungen der kommunistischen Gewerkschaft, Arbeitszeiten arbeitnehmerInnenfreundlicher zu regulieren oder die Arbeitszeit auf 35 Wochenstunden zu kürzen, sei die Regierung nicht eingegangen, ärgert man sich aufseiten der CGTP-IN. „Die Regierung verpasst damit eine Chance, auf die Probleme von Millionen von Arbeitnehmern zu reagieren“, die in den letzten Jahrzehnten zunehmend unter Ausbeutung und prekären Beschäftigungsformen zu leiden haben.
Von gewerkschaftlicher Seite wolle man nun mobilisieren und Kampfmaßnahmen vorbereiten. Denn „unser Handeln und unser Kampf und nicht die jetzt verabschiedete „Agenda“ werden über die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen entscheiden“, bekräftigt die größte Gewerkschaft des Landes. Was das bedeutet war in den vergangenen Wochen auf Portugals Straßen zu sehen: Tausende Menschen forderten bei Protesten höhere Löhne und eine staatliche Regulierung der Lebensmittelpreise, die im Februar um teils 20 Prozent im Vergleich zum Februar des Vormonats anstiegen. Zudem ist Portugal eines der ärmsten Länder Westeuropas, der Mindestlohn beträgt 760 Euro pro Monat.
„Agenda für menschenwürdige Arbeit“
Der Gesetzesänderung deutlich wohlgesonnener ist die sozialdemokratische Gewerkschaft UGT. Viele Änderungen entsprechen dem, was die UGT ohnehin seit Jahrzehnten gefordert habe. „Irritiert“ zeigte man sich angesichts der ablehnenden Haltung der ArbeitgeberInnenverbände. Damit würden ArbeitgeberInnenverbände das Vertrauen in den sozialen Dialog schädigen, kritisiert die UGT in einer verabschiedeten Resolution.
Agenda für menschenwürdige Arbeit
Die „Agende für menschenwürdige Arbeit“ ist eine von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ausgearbeitete Strategie zur fairen Gestaltung der Globalisierung, zur Reduktion von Armut und mit dem Ziel, eine gerechte, inklusive und nachhaltige Entwicklung zu verwirklichen. Sie wurde 1999 mit Regierungen, Lohnabhängigen und ArbeitgeberInnen konsensual erarbeitet. Konkret zielt sie auf die Umsetzung der Kernarbeitsnormen der ILO (Vereinigungsfreiheit, Diskriminierungsverbot, Beseitigung der Kinder- und Zwangsarbeit), auf menschenwürdige Beschäftigungsmöglichkeiten mit ausreichendem Einkommen, die Stärkung der sozialen Sicherheit und des Dialogs zwischen den Sozialpartnern ab.