Journalist:innen und NGOs werden immer öfter mit Klagen und langen Prozessen überzogen, um sie mundtot zu machen. Die EU will nun ein neues Gesetz zum Schutz der Betroffenen auf den Weg bringen.
Wer den Reichen oder Mächtigen allzu gründlich auf den Zahn fühlt, der riskiert sog. SLAPP-Klagen. Es handelt sich dabei um Einschüchterungsklagen, betroffen sind in erster Linie Journalist:innen und NGO’s, aber auch politisch aktive Bürger:innen. Manchmal kommt es zu wahren Prozesslawinen, die die Beklagten schlimmstenfalls in den finanziellen Ruin treiben.
Genau das ist nämlich das Ziel: mächtige Politiker:innen, vermögende Personen oder Konzerne, die es sich leisten können, streben langwierige Prozesse an und wollen auf diesem Weg Investigativjournalist:innen bzw. die Zivilgesellschaft kleinkriegen. Letztere verfügen nicht über die entsprechenden Mittel für Anwält:innen/Rechtsbeistände und hohe Prozesskosten. Selbst wenn keine Aussicht auf Erfolg der Klage besteht, so bindet sie große Ressourcen. Ein ungleicher Kampf, David gegen Goliath.
Das Europäische Parlament hat Mitte Juli nun über einen Vorschlag für eine Richtlinie gegen diese Art von Klagen abgestimmt, die die Beklagten besser schützen soll. Als nächstes können die Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten über den Gesetzestext beginnen.
Was genau sind SLAPP-Klagen?
Die Abkürzung „SLAPP“ steht für „Strategic Lawsuits against Public Participation“, in Anspielung auf das englische Wort ‚slap‘ für schlagen und Ohrfeigen. Die deutsche Bezeichnung lautet „Strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung“. SLAPP-Klagen sind, vereinfacht gesagt, ganz oder teilweise unbegründete Verfahren. „Sie wollen in erster Linie die Beteiligung der Öffentlichkeit verhindern“, erklärt die Internationale Sekretärin der GPA, Sophia Reisecker, „Im Interesse der Zivilgesellschaft und der Transparenz im öffentlichen Leben muss ihnen daher unbedingt ein Riegel vorgeschoben werden.“ Da SLAPP-Klagen auch von Parteien aus Drittländern angestrebt werden, schützen Gegenmaßnahmen die europäische Demokratie zugleich vor externen Bedrohungen. Um diese Abwehr von Klagen von außen geht es in der Richtlinie.
Klagen in Europa und Österreich
Als international bekannt gewordene Beispiele wären die skandalösen Fälle in Malta zu nennen. Caruana Galizia, die Investigativjournalistin, die 2017 durch eine Autobombe ermordet wurde, war zum Zeitpunkt ihres Todes mit mehreren SLAPP-Fällen konfrontiert. In Griechenland wurden Medienunternehmen und Journalist:innen, die staatliche Überwachung untersuchen, von einem engen Berater des Premierministers Kyriakos Mitsotakis verklagt. Die Regierungen in Ungarn und Polen haben ebenfalls zugelassen, dass SLAPP-Klagen immer häufiger werden, um regierungskritische Medien zu schließen.
In Österreich wurde kürzlich die Klage gegen die NGO ‚SOS Balkanroute‘ und deren Gründer Petar Rosandic abgewiesen. Geklagt hatte das in Wien ansässige Internationale Zentrum für Migrationspolitik (ICMPD) wegen des Wortes „Guantanamo“, das Rosandic für die Internierungsanstalt innerhalb des bosnischen Flüchtlingslagers Lipa verwendete. Der Richter sah diese Wortwahl aber durch die Freiheit auf Meinungsäußerung gedeckt.
Noch weiteres Beispiel aus Österreich: Unter der Regierung von Sebastian Kurz kam es zu einer Klagewelle gegen die Wochenzeitung ‚Falter‘ und ihren Chefredakteur Florian Klenk, nachdem der Falter Daten zur Buchhaltung der ÖVP erhalten hatte. Obwohl die Redaktion die Prozesse gewonnen hatte, ging die ÖVP trotz klarer Gerichtsurteile in die Revision. Für die kleine Redaktion des Falter war dieser Konflikt zeitintensiv – und damit unterm Strich sehr wohl ein Problem.
Kommissionsvorschlag
Der ursprüngliche Vorschlag für eine Richtlinie, den die Kommission anfangs vorstellte, wurde zunächst von NGOs als „bahnbrechend“ gepriesen. Gerichte sollten Verfahren frühzeitig abweisen können, wenn ein Fall offenkundig unbegründet ist. Betroffene hätten außerdem das Recht auf eine volle Entschädigung für den erlittenen materiellen oder immateriellen Schaden.
Der nach mehreren Verhandlungsrunden überarbeitete Vorschlag, über den schließlich im Juli im EU-Parlament abgestimmt wurde, hat schon deutlich weniger Biss. Die Frage der Sanktionen blieb z.B. ungelöst. „Wenn wir SLAPP-Klagen nachhaltig verhindern wollen, ist das aber eine der Kernfragen“, kritisiert Sophia Reisecker. „SLAPP-Klagen stellen letztlich einen Rechtsmissbrauch dar. Sie wollen abschreckend wirken, indem sie engagierte Bürger:innen oder Journalist:innen einschüchtern, daher sind sie in demokratischen Rechtsstaaten inakzeptabel. Journalist:innen und unabhängige Medienschaffende sind am stärksten bedroht. Als Säule der Demokratie muss der unabhängige Journalismus unbedingt geschützt werden!“
Rechte der Beklagten schützen
Reisecker hat als Mitglied des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) im Vorjahr an dessen Stellungnahme zur geplanten Richtlinie mitgearbeitet. „Als Vertretung der Arbeitnehmer:innen im EWSA plädieren wir für eine Erweiterung der Maßnahmen“, sagt Reisecker. Eine frühzeitige Klage-Abweisung in Fällen von offensichtlich unbegründeten Klagen wäre zielführend, oder auch zeitliche Beschränkungen für Verfahren. Sinnvoll wären beschleunigte Verfahren und eine Bestimmung, wonach die Klage nur durch den Kläger selbst finanziert werden darf. „In Summe gäbe es ausreichend Möglichkeiten, um dieses Phänomen in den Griff zu kriegen“, so Reisecker weiter.
Da die Gesetzgebung in Brüssel für die neue Richtlinie noch mehrere Jahre benötigen wird, sollten auch nationale Rechtsvorschriften, die SLAPP-Klagen verhindern können, verstärkt in den Fokus rücken und wirksamer genutzt werden, schlägt der EWSA vor.
Der Hauptzweck von Anti-SLAPP-Mechanismen besteht nicht darin, ein ordnungsgemäßes Verfahren zu gewährleisten, denn das muss im Einklang mit den nationalen Verfahren stattfinden. „Es müssen die Rechte von Betroffenen geschützt werden, die nicht über angemessene rechtliche und finanzielle Mittel verfügen“, betont Reisecker. Die Beklagten, die sich zumeist in einer schwächeren Position befinden als die Kläger, brauchen Mechanismen, mit denen sie sich gegen unbegründete Ansprüche verteidigen können. „Wir fordern daher zentralisierte Anlaufstellen und einen Schadenersatzanspruch für Opfer. Gleichzeitig benötigen wir ein EU-Register für SLAPP-Klagen, um diese künftig schneller zu erkennen.“
Wenn nichts gegen derartige Einschüchterungen unternommen wird, kann es zu einer Monopolisierung der Medien kommen, wo nur die großen Medienkonzerne in der Lage sind, sich gegen solche Phänomen zu wehren, während kleinere Medien oder unabhängige Blogger:innen etc. aus dem Rennen fallen. „Das ist aber mit den Idealen der demokratischen Rechtsstaatlichkeit unvereinbar“, warnt Reisecker, „Es ist daher höchste Zeit für einen Rechtsrahmen, der solche Klagen in Zukunft unterbindet. Nur so kann die Pressefreiheit in Europa langfristig geschützt werden.“