Soziale Isolation ist ungesund

Michael Häupl war von 1995 bis 2018 Bürgermeister der Stadt Wien. Seit 2020 ist er Präsident der Volkshilfe Wien.
Foto: Nurith Wagner-Strauss

Der ehemalige Wiener Bürgermeister Michael Häupl fordert als Präsident der Volkshilfe Wien kräftige Lohnabschlüsse zur Abfederung der Inflation und will die psychische Gesundheit und das soziale Leben in den gesellschaftlichen Mittelpunkt rücken. Förderungen auf Diesel und Kerosin müssten sofort abgeschafft werden, um die Energiewende zu schaffen.

KOMPETENZ: Wie geht es Ihnen in der Rolle als Polit-Pensionist?

HÄUPL: Wenn man so lange aktiv gestalten durfte, ist es manchmal schon schwierig, einfach nur zuzusehen – das hängt mit meinem Temperament zusammen. Ich engagiere mich daher ehrenamtlich bei der Volkshilfe Wien und will erreichen, dass soziale Problemlagen bei der Gestaltung unserer Lebenswelt stärker berücksichtigt werden.

KOMPETENZ: Was besorgt Sie?

HÄUPL: Die psychische Gesundheit muss in den Vordergrund unserer Bemühungen rücken, ihr Einfluss auf die gesamte Lebensgestaltung wurde jahrzehntelang grob unterschätzt. Soziale Isolation ist ungesund. Die steigende Anzahl von Ein-Personen-Haushalten ist beispielsweise unproblematisch, solange die Bewohner:innen soziale Kontakte haben, die sie erfüllen und in eine Gemeinschaft einbinden.

Die junge Generation, die besonders stark unter den Einschränkungen der Pandemie gelitten hat, muss in unseren Fokus rücken, ein erfülltes soziales Leben und der Austausch mit Gleichaltrigen ist für diese Gruppe essentiell. Es braucht hier spezifische Gesprächsangebote und Kontaktmöglichkeiten, so wie es auf Senior:innen zugeschnittene Besuchsdienste gibt.

Preissteigerungen führen zu Armut

Die größte Belastung für die Menschen ist aktuell die hohe Inflation mit galoppierenden Teuerungen in allen Lebensbereichen. Die Armut nimmt zu, in vielen Gesprächen erlebe ich tagtäglich, dass viele Leute mit ihrem Einkommen nicht mehr auskommen und am Ende des Monats nicht mehr wissen, wie sie Essen für sich und ihre Kinder kaufen sollen. Die politische Antwort darauf können nur spürbare Gehaltssteigerungen bei den anstehenden Lohnverhandlungen sein.

KOMPETENZ: Heizen hohe Lohnabschlüsse die Inflation nicht noch weiter an?

HÄUPL: Wir befinden uns in einer Preis-Lohn-Spirale und zwar genau in dieser Reihenfolge. Die Teuerungen waren im letzten Jahr enorm, darauf muss über die Kollektivverträge reagiert werden. Hier dürfen die Arbeitnehmer:innen-Vertreter keinesfalls nachgeben, das ist das wichtigste Thema, das wir aktuell in Österreich und der gesamten EU auf dem Tisch haben.

KOMPETENZ: Sollten die Löhne per Gesetz angehoben werden?

HÄUPL: Auf keinen Fall, denn Gesetze können von den politisch Mächtigen wieder verändert werden, während sich die hohe realpolitische Wirkkraft der Sozialpartner in der Ausgestaltung der Kollektivverträge jedes Jahr aufs Neue abbildet.

KOMPETENZ: Wie wollen Sie Menschen helfen, die unter den Preissteigerungen leiden?

HÄUPL: In Wien gibt es ab diesem Schuljahr ein beitragsfreies Mittagessen für alle Kinder in der Nachmittagsbetreuung der Horte und Ganztagsschulen – ein gutes Modell. Auch die Volkshilfe-Idee einer Kinder-Grundsicherung von etwa 200 zusätzlichen Euro pro Monat würde helfen, die Kinderarmut zu bekämpfen, der bundeweit rund 300.000 Minderjährige ausgesetzt sind.

Als Volkshilfe Wien reagieren wir darauf mit der nachdrücklichen Forderung nach Energiepreisregelungen, Energiehilfen und einer Mietpreisbremse. Diese sollte auf drei Jahre befristet sein um die Investitionskraft der gemeinnützigen Wohnbaugesellschaften nicht zu schwächen.

Armut frisst die Demokratie

KOMPETENZ: Sind die sozialen Gräben durch die Teuerungen größer geworden?

HÄUPL: Das Gefälle zwischen Arm und Reich ist durch die Corona-Pandemie und die anhaltend hohe Inflation verschärft geworden.

Ich möchte, dass wir uns in der öffentlichen und politischen Diskussion wieder mehr über Inhalte unterhalten. Um die Soziale Sicherheit im Land zu bewahren, müssen wir schauen, dass es in unserer Gesellschaft einigermaßen gerecht zugeht. Dazu gehört auch wechselseitiger Respekt, man muss aufeinander zugehen und miteinander reden. Da bin ich sehr wachsam, denn die Armut frisst unsere Demokratie.

„Wir müssen die Soziale Sicherheit schützen um Wohlstand und Frieden zu bewahren.“

Michael Häupl

KOMPETENZ: Wie kann der Umstieg auf erneuerbare Energien gelingen?

HÄUPL: Klimaschutz und Soziales hängen sehr eng zusammen, also müssen Staat und Private zusammenhelfen: es braucht schlaue Fördersysteme aber auch die Bereitschaft der Menschen selbst etwas beizutragen.

Volkshilfe Wien Präsident Michael Häupl fordert im KOMPETENZ-Interview kräftige Lohnerhöhungen und möchte die Energiewende mit der sozialen Frage verknüpfen.
Fotos: Nurith Wagner-Strauss

Ein zentraler Hebel ist der öffentliche Verkehr, der österreichweit als schnelle und kostengünstige Alternative zum Auto existieren sollte. Um Pendler zum Umstieg auf die Öffis zu motivieren, braucht es konkrete Angebote. Gerade in den Bereichen Energie und Mobilität gibt es in einer Kommune zahlreiche Möglichkeiten für ökologisch sinnvolle Lösungen, die auf die soziale Frage Rücksicht nehmen und trotzdem nahe an den Menschen und effizient sind.  Auch dem Autobahn-100er kann ich einiges abgewinnen.

„Die Energiewende muss eng mit der sozialen Frage verknüpft werden.“

Michael Häupl

Wir brauchen aber auch Antworten darauf, wie Mindestpensionist:innen mit Gasheizung die Umstellung finanzieren sollen. Das Sparen von Energie ist dabei ganz zentral, hier gibt es Förderungssysteme für Elektrogeräte, die einen sparsamen Verbrauch haben. Unzeitgemäße Förderungen für fossile Rohstoffe wie Diesel und Kerosin gehören sofort abgeschafft!

KOMPETENZ: Braucht es Veränderungen am Arbeitsmarkt?

HÄUPL: Wir brauchen eine Arbeitsmarktpolitik, die mehr Menschen für wichtige Berufe wie die Pflege begeistert. Arbeitszeitflexibilisierungen und die 32-Stunden Woche sollten in jenen Branchen umgesetzt werden, wo dadurch die Produktivität und die Arbeitszufriedenheit steigt. Das geht nicht überall und sofort. In einigen Branchen können wir froh sein, wenn in absehbarer Zeit die 35 Stunden Woche erreichbar wird.

Im Sozialbereich sollten sich die Beschäftigten auf ihre Kernaufgaben konzentrieren können, zeitaufwendige Dokumentationen sollten elektronisch abgewickelt werden.

KOMPETENZ: Sollen Klimakleber strafrechtlich verfolgt werden?

HÄUPL: Auf keinen Fall, man soll politische Fragen nicht zu den Gerichten tragen, das wäre Unfug. In der Sache haben die Aktivisten recht, durch ihr Auftreten stoßen sie jedoch den Mittelstand ab und nehmen die sozial Schwächeren nicht mit, die ganz besonders unter einem Zeitverlust am Arbeitsweg leiden. Sie verärgern gerade jene Leute, die ihre Bündnispartner sein sollten, weil sie diese behindern.

KOMPETENZ: Wie ginge es besser?

HÄUPL: Wenn man gute Ideen hat, muss man sich vernetzen und Geduld haben. Ich wurde in der ÖKOPAX-Friedens- und Umweltbewegung der 80er Jahre sozialisiert, radikale Denkansätze, die unsere Gesellschaft verändern sollen, sind Teil meiner politischen Leidenschaft. Ich habe aber gelernt, dass starke Ideen besser mit großen Bündnispartner:innen, beispielsweise den Gewerkschaften, umsetzbar sind – ganz nach dem Motto „gemeinsam sind wir unausstehlich“. Wenn man harte Bretter bohren will, muss man Allianzen bilden können, um für die eigene politische Position eine demokratische Mehrheit zu finden.

„Unser Leben sollte in allen Belangen von Demokratie durchflutet sein.“

Michael Häupl

KOMPETENZ: Gefährdet Herbert Kickl unsere Demokratie?

HÄUPL: Kickl steht so weit am rechten politischen Rand, wie kein FPÖ-Obmann vor ihm, zudem halte ich ihn für durchaus intelligent. In dieser Mischung ist er jedenfalls sehr ernst zu nehmen, Beschwichtigungen sind hier fehl am Platz. Man sollte die inhaltliche Auseinandersetzung mit Kickl daher in aller Härte suchen und austragen und ihn nicht unterschätzen.

KOMPETENZ: Sind Frauen im Arbeitsleben gleichberechtigt?

HÄUPL: Zunächst muss es den gleichen Lohn für gleiche Arbeit geben. Mich stört die gläserne Decke für weibliche Führungskräfte. Ich denke, dass durch das Angebot durchgängiger Kinderbetreuung jede Frau in diesem Land die Entscheidungsfreiheit haben sollte, wie sie ihr Leben gestaltet. Wien zeigt vor, wie Chancengleichheit geht: in den städtischen Kindergärten gibt es nur neun Schließtage pro Jahr, rund 80 Prozent der erwerbsfähigen Frauen gehen einer Beschäftigung nach. Da muss im ländlichen Raum noch einiges passieren.

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