Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit sinkt seit einigen Jahren leicht und kontinuierlich, sagt WIFO-Ökonom Stefan Angel im Gespräch mit der KOMPETENZ. Die Stundenproduktivität steige dennoch weiter. Eine generelle Arbeitszeitreduktion bei vollem Lohnausgleich könnte sich aber leicht auf das BIP auswirken.
KOMPETENZ: Wie hat sich die Covid-Pandemie auf die Arbeitszeiten ausgewirkt?
Stefan Angel: Die Kurzarbeit hat die Durchschnittswochenarbeitszeiten kurzfristig gesenkt, aber allgemein gab es durch die Covid-Pandemie, was den langfristigen Verlauf der Arbeitszeitverkürzung betrifft, keinen großen Ausreißer. Der langfristige Trend zeigt, dass die durchschnittliche Arbeitszeit langsam nach unten geht.
KOMPETENZ: Gibt es dazu auch konkrete Daten?
Stefan Angel: Laut Statistik Austria lag die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit 2004 für unselbständig Tätige bei 38 Stunden, 2020 bei rund 36 Stunden. Inkludiert sind hier aber auch die Teilzeitbeschäftigten. Bei Selbständigen ist die Differenz noch größer – sie arbeiteten 2004 im Schnitt 52 bis 53 Stunden in der Woche, 2020 waren es 45 Stunden.
KOMPETENZ: Welchen Effekt hat dieser leichte Rückgang bei der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit auf die wirtschaftliche Situation Österreichs?
Stefan Angel: Wir sehen im langjährigen Vergleich nach wie vor eine langfristige Erhöhung der Stundenproduktivität. Leichte Rückgänge gab es 2009 und 2021. Auch 2023 wird ein Rückgang erwartet, 2024 wird die Stundenproduktivität aber wieder wachsen. Die Produktivität pro Stunde, also wie viel Erwerbstätige in Österreich in einer Stunde erwirtschaften, steigt also mittelfristig weiterhin kontinuierlich. Und es gibt weiterhin ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts.
KOMPETENZ: Liegt der Grund dafür in der zunehmenden Arbeitsverdichtung?
Stefan Angel: Da ist immer die Frage, wie man Arbeitsverdichtung definiert. Die Stundenproduktivität steigt, wenn man sich den Wert im Schnitt aller Branchen, über Männer und Frauen ansieht. Es gibt aber Unterschiede nach Branchen. Bei persönlichen Dienstleistungen ist es kaum möglich, die Stundenproduktivität noch weiter zu steigern. Ein Friseur, eine Friseurin kann nicht immer noch mehr Haarschnitte in der Stunde machen, da kam es in den letzten 30 Jahren zu keinen nennenswerten beziehungsweise geringeren Steigerungen. Aber in der Produktion ist die Produktivität durch den technischen Fortschritt höher. Das kann man auch mit dem Begriff Arbeitsverdichtung beschreiben: Es wird in einer Stunde mehr erwirtschaftet, was aber nicht zwangsläufig bedeutet, dass Menschen mehr Stress haben. Produktivitätstreiber ist vor allem der technologische Fortschritt.
KOMPETENZ: Wie sehen nun nach dem Auslaufen aller Covid-Präventionsmaßnahmen die Arbeitszeiten aus?
Stefan Angel: 2022 arbeiteten Erwerbstätige im Schnitt 30 Stunden pro Woche – gerechnet über alle Branchen, Männer und Frauen, Vollzeit- und Teilzeiterwerbstätige. Sieht man sich nur die Vollzeitbeschäftigten an, waren es bei Männern im Durchschnitt des Jahres 35,8 Wochenstunden, bei Frauen 33,6 Stunden. Miteingerechnet sind hier auch Urlaube und Krankenstände.
KOMPETENZ: Würde nun die gesetzlich vorgegebene Wochenarbeitszeit von derzeit 40 Stunden reduziert, wie würde sich das auf die wirtschaftliche Situation Österreichs auswirken?
Stefan Angel: Die Studienlage dazu ist nicht sehr umfangreich, es gibt aber eine aktuelle Untersuchung eines WIFO-Kollegen. Arbeitnehmer:innen werden im Rahmen des Mikrozensus, das ist die Arbeitskräfteerhebung unter mehr als 20.000 Menschen pro Quartal, befragt, wie viele Stunden sie am liebsten arbeiten würden und darauf basierend wurde eine Simulation erstellt, welche Auswirkungen sich daraus ergeben würden. Unselbständig Beschäftigte wollten demnach 2020 gerne im Schnitt eine Stunde weniger pro Woche arbeiten, bei Selbständigen waren es vier Stunden. BIP und Beschäftigung hängen zusammen – es ist also immer die Frage, ob eine Arbeitszeitreduktion mit einem vollem Lohnausgleich einher geht oder nicht. Bei vollem Lohnausgleich würde das BIP um weniger als ein Prozent zurückgehen.
KOMPETENZ: Wie gravierend wären die Auswirkungen eines solchen Rückgangs des BIP?
Stefan Angel: Höhere Lohnkosten machen Produkte teurer und das verschlechtert die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes etwas. Andererseits würde die Arbeitslosigkeit damit zurückgehen. Und man kann statt einem Lohnausgleich auch mit Freizeitoptionen arbeiten. Unterm Strich kommen wir außerdem in allen Modellen immer nur auf einen Wert von unter einem Prozent, die das BIP sinkt.
KOMPETENZ: Aktuell klagen einige Branchen über Arbeitskräftemangel. Würde die Suche nach Fachkräften nicht noch schwieriger, wenn die Arbeitszeit verkürzt wird?
Stefan Angel: Da hängt es auch immer wieder von der Branche ab, in der die Arbeitszeit verkürzt wird. Im Branchen, in denen es keinen Fachkräftemangel gibt, sehe ich kein Problem. Aber sogar in Branchen, die derzeit Arbeitskräfte suchen, kann es sein, dass mehr Menschen hier wieder arbeiten wollen, wenn es nicht nur 40-Stunden-Verträge gibt. Kürzere Wochenarbeitszeiten können also sogar ein Anreiz sein. Dort, wo dies nicht der Fall ist und auch durch Technologie die Arbeit fehlender Fachkräfte nicht kompensiert werden kann, können sich Güter verknappen und Preise können steigen.
Andererseits steigt so der Druck auf Unternehmen, in Forschung und Innovation zu investieren. Und da gibt es auch schon Beispiele, etwa vom Installateur, der Roboter einsetzt, oder es gibt im Photovoltaik-Bereich eine App, die den Aufbau einer solchen Anlage Schritt für Schritt erklärt, sodass hier auch Mitarbeiter:innen eingesetzt werden können, die keine lange Ausbildung haben. Mögliche negative Effekte einer Arbeitszeitreduktion können also durch Innovation ausgeglichen werden.
KOMPETENZ: Inwiefern könnten Arbeitgeber:innen aber auch von einer Arbeitszeitverkürzung profitieren?
Stefan Angel: Es ist da ja immer die Frage, inwiefern Mitarbeiter:innen produktiver sind, wenn sie kürzer in der Arbeit sind. Es gibt Studien, die das untermauern. Es gibt aber auch Studien, die zeigen, dass eine kürzere Arbeitszeit sich positiv auf die Gesundheit auswirkt beziehungsweise sich viele Überstunden negativ auswirken, was wiederum zu Krankenständen führt. Und diesen Effekt gibt es auch in die andere Richtung. Unternehmen könnten also durch weniger Krankenstände Einsparungen erzielen.
Zur Person
Stefan Angel, geb. 1983, ist Ökonom am Wirtschaftsforschungsinstitut. Seit 2021 ist er Mitglied der Forschungsgruppe „Arbeitsmarktökonomie, Einkommen und soziale Sicherheit“ des WIFO. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen bei den Themen Arbeitszeit, Einkommensverteilung und Armut, Verschuldung, Wohnen sowie bei der Evaluierung von Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik.