Gerti Werl und Markus Schadler sind ein eingespieltes Betriebsrats-Team. Seit einer Fusionierung werden sie von Mustafa Durmus von der GPA Steiermark betreut. Eine Geschichte über moderne Arbeitnehmer: innen-Vertretung, die nicht nur Vertrauen schafft sondern auch Positionen geschickt vertritt.
Wolfgang Graupp steht früh auf, denn er muss um acht Uhr in der Arbeit sein. Von seinem Heimatort Gnas muss er 15 Kilometer nach Feldbach in seine Stammwerkstätte, die von der LNW Lebenshilfe NetzWerk GmbH geführt wird, fahren. Dort hilft er im Garten, unterstützt die Assistent:innen und kann durch seine Erfahrung auch als Springer eingesetzt werden, wenn jemand in anderen Gruppen ausfällt. Der 30-Jährige mag es auch, in der großen Betriebsküche mitzuwirken. „Hier in der Arbeit bin ich am liebsten und habe außerdem Abwechslung in meinen Jobs“, erzählt Graupp. Wie andere Klient:innen befüllt auch der Gnaser die bekannten „Jolly“-Farbmalkästen mit Wasserfarben. Graupp hat vorübergehend auch eine andere Arbeitsstelle ausprobiert, nach acht Monaten in der Fachhochschul-Kantine Bad Gleichenberg wollte er wieder zurück nach Feldbach. „Der Stress war mir zu viel“, sagt er.
Lösungen anbieten und finden
Die LNW Lebenshilfe NetzWerk GmbH hat ein breites Angebot. „Für schwerstbehinderte Menschen bieten wir Tagesstruktur in den Werkstätten und Wohnformen wie betreutes Wohnen in Voll- und Teilzeit an“, erklärt Gerti Werl, Betriebsratsvorsitzende der LNW Lebenshilfe NetzWerk GmbH in Feldbach. Außerdem werden auch mobile Dienste, wie Wohnassistenz, Familien-Entlastungsdienst, Frühförderung, Schul- und Freizeitassistenz sowie Kindergartenassistenz angeboten. Auch NEBA-Leistungen (Netzwerk Berufliche Assistenz) zählen zu den Angeboten der LNW. Die MitarbeiterInnen der Lebenshilfe sind zum Großteil weiblich, drei Viertel der Beschäftigten arbeiten in Teilzeit.
„Ich bin jemand, der sehr gerne seine Meinung sagt, wenn mir mal etwas gegen den Strich geht.“
Gerti Werl
Auch gerne gegen den Strich
Betriebsratsvorsitzende Gerti Werl, ausgebildete Sozialbetreuerin, setzt sich gerne für ihre Mitmenschen ein, auch wenn das nicht immer friktionsfrei möglich ist: „Ich bin jemand, der sehr gerne seine Meinung sagt, wenn mir mal etwas gegen den Strich geht. Das habe ich einfach mein Leben lang konsequent so gemacht“, berichtet die 57-jährige gebürtige Niederösterreicherin, die im burgenländischen Gerersdorf bei Güssing lebt. Werl pendelt rund 45 Kilometer in ihre Arbeit nach Feldbach.
„Als ich vor 17 Jahren in der Lebenshilfe begonnen habe, hat mir die Arbeit so gut gefallen, dass ich mir vorgenommen habe, es mit aller Ruhe anzugehen: einfach meine Arbeit machen, keine Schwierigkeiten haben“, darüber muss Werl noch heute schmunzeln. Es sollte damals anders kommen: ihre Diskussionsfreudigkeit fiel naturgemäß auch den KollegInnen auf und so kam es, wie es kommen sollte: Gerti Werl wurde gefragt und kandidierte als einfache Kandidatin auf der Betriebsrats-Liste. Mit kurzen Unterbrechungen ist sie nun seit 10 Jahren Betriebsratsvorsitzende der LNW Lebenshilfe Netzwerk GmbH, arbeitete mit „Leib und Seele“ weiterhin als Sozialpädagogin in einer Teilfreistellung – seit einem Jahr ist sie ganz für ihren Betriebsratsvorsitzenden-Job freigestellt und betreut dabei 440 Mitarbeiter:innen.
Mit Hilfe der GPA zum Großprojekt fusioniert
Zu einer großen Herausforderung sollte die Zusammenlegung der beiden ehemaligen Lebenshilfen Bad Radkersburg und Feldbach im Jahr 2017 werden: Beide Betriebe verfügten über eigene Betriebsrats-Gremien und es galten unterschiedliche Betriebsvereinbarungen. Innerhalb eines Jahres mussten viele Komponenten vereint werden. „Dabei mussten wir uns ja auch erst einmal kennenlernen“, berichtet Gerti Werl über schwierige Zeiten und neue Kolleg:innen. Auch der Betriebsratsvorsitz war zu klären. Genau zu diesem Zeitpunkt übernahm Mustafa Durmus von der GPA die strategische Beratung der Betriebsrät:innen – der Grazer bewies durchaus Verhandlungsgeschick.
Durmus ist studierter Jurist und arbeitet seit acht Jahren als Rechtsschutz- und Regionalsekretär der GPA Steiermark. Damit ist er u.a. für den Sozialbereich und somit auch für die LNW Lebenshilfe NetzWerk GmbH zuständig. „Ich habe vorher in Kanzleien gearbeitet und verschiedene Praktika gemacht, aber bei der Gewerkschaft habe ich einen Job, der auch Sinn gibt.“ Durmus erzählt über den „höheren Zweck“, den er und seine KollegInnen verfolgen, „So bieten wir mit den jährlich verhandelten Kollektivverträgen Lösungen für tausende Menschen an“. Ein Betriebszusammenschluss ist kein leichtes Unterfangen. Schließlich muss bei Betriebsübergängen auch die Unsicherheit der Mitarbeiter:innen berücksichtigt werden – da die Geschäftsführerin von Feldbach die neue Chefin wurde, fürchtete sich die Belegschaft von Bad Radkersburg vor einer Benachteiligung.
„In diesem Zeitraum (der Zusammenlegung der Lebenshilfen Bad Radkersburg und Feldbach) sind viele Belegschaftsmitglieder in die GPA eingetreten“
Mustafa Durmus
Zukunftsängste aus dem Weg zu räumen, hatte damit oberste Priorität. Um Vertrauen aufzubauen, brauchte es viele Gespräche. Gemeinsam mit der GPA ist das den Betriebsratsvorsitzenden sehr gut gelungen. „In diesem Zeitraum sind viele Belegschaftsmitglieder in die GPA eingetreten“, freut sich GPA Sekretär Mustafa Durmus. Betriebsratsvorsitzende Gerti Werl: „Wir wollten uns nicht auseinanderdividieren lassen, aber wir mussten natürlich beide Betriebsvereinbarungen integrieren“. Dabei wollte die Geschäftsführung vor allem die ihr angenehmsten Punkte in die neue Vereinbarungen einarbeiten.
Dagegen wehrte sich die Belegschaft und schlug alternative Punkte vor. Neben Inhalten, die unbedingt Platz in der Betriebsvereinbarung haben sollten, wurden zusätzliche Punkte aufgeführt, die Arbeitgeber:innen gemeinhin nicht gerne erfüllen. Doch zur Überraschung aller, wurde einer davon nicht gestrichen. Die sogenannte Einsprungs-Prämie für Mitarbeiter:innen, wenn sie kurzfristig einen Dienst übernehmen – fand sich dann in der neuen Betriebsvereinbarung wieder. Inzwischen ist eine Form dieser Prämie sogar Teil des Kollektivvertrages geworden.
Sieben Jahre später ist diese Fusion erfolgreich abgeschlossen, doch es gibt auch immer noch Herausforderungen. Die Betriebsratsvorsitzende: „Wir sind selbstorganisiert, damit gibt es keine Leitung vor Ort“. Sämtliche organisatorischen Belange werden verstreut über die ganze Südoststeiermark erledigt, weshalb die Teams zumeist auf sich alleine gestellt sind. Der Nebeneffekt: die Beschäftigten fühlen sich auch für Vorgänge verantwortlich, die nicht in ihrem Einflussbereich liegen. „Dadurch müssen wir oft Missverständnisse aus dem Weg räumen“, weiß der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Markus Schadler. Der 36-Jährige, früher als Informatiker tätig, kam als Fach-und Soziabetreuer über den zweiten Bildungsweg im März 2016 zur Lebenshilfe. Er ist auch in der Wohnassistenz tätig.
Moderne Betreuung, alte Berufskrankheiten
Allgemein hat sich das Selbstbild der Arbeitnehmer:innen in der Behindertenbetreuung verändert, die früheren freien Dienstnehmer:innen – mit großteils auch anderen zusätzlichen Jobs -, gibt es heute nicht mehr. „Waren es vor 30 Jahren vielfach Menschen, die den Betreuungsjob fast ausschließlich als Berufung gesehen haben“, erklärt Schadler, „so wollen die jungen Betreuer:innen heute natürlich anständig von ihrem Gehalt leben“.
„Waren es vor 30 Jahren vielfach Menschen, die den Betreuungsjob fast ausschließlich als Berufung gesehen haben, so wollen die jungen Betreuer:innen heute natürlich anständig von ihrem Gehalt leben.“
Markus Schadler
Doch an ausreichendem Lohn für professionelle gute Arbeit mangelt es nun auch bereits Jahrzehnte. Und immer mehr der Teil- und Vollzeitkräfte erkranken u.a. wegen des Personalnotstandes an einem Burnout. Ein Grund, weshalb die Betriebsrät:innen überdurchschnittlich häufig mit Arbeitszeitthemen konfrontiert sind. Eine der wiederkehrenden Fragen betrifft den Durchrechnungszeitraum oder wie Mehrstunden abgebaut oder bezahlt werden. Themen wie Pausenregelungen, Nachtarbeit und Nachtbereitschaften ebenso. „Vieles können wir gleich beantworten, aber wenn ich mir nicht sicher bin oder es komplexer wird, frage ich Mustafa Durmus“, erklärt Gerti Werl und nennt den GPA-Sekretär ihr „willkommenes Backup“. Sollte es zu gröberen Meinungsverschiedenheiten mit den Arbeitgeber:innen kommen, so könnte Durmus rechtlich, etwa mit dem Verfassen einer Intervention helfen. Der GPA-Experte: „Eine Intervention ist mit einem Anwaltsbrief vergleichbar, wir legen unsere Rechtsmeinung dar – wenn es dann zu keiner Einigung kommt, ist der nächste Schritt das Arbeitsgericht“. Da es einen funktionierenden Draht zur Geschäftsführung gibt, findet dieses Rechtsmittel kaum Anwendung. Gemeinhin kommt es zu einem Kompromiss. „Wir vertreten schon immer wieder andere Meinungen als die Geschäftsführung, aber das klärt sich meist rasch“, weiß Betriebsratsvorsitzende Werl, die mit Unterbrechungen seit 10 Jahren den Vorsitz inne hat.
Hast du schon einmal überlegt selbst einen Betriebsrat zu gründen?
Wenn es bei dir im Betrieb mindestens 5 Beschäftigte gibt, kann eine Betriebsratswahl stattfinden. Dein Chef/deine Chefin, darf die Wahl nicht behindern. Als Betriebsrätin/Betriebsrat hast du einen besonderen Kündigungsschutz und du kannst einen Teil deiner Arbeitszeit für die Betriebsratstätigkeit verwenden. Wir unterstützen und begleiten dich und deine KollegInnen bei der Durchführung der Betriebsratswahl.
Du möchtest mit uns darüber reden? Dann wende dich an unsere Beratung in deinem Bundesland. Alle Kontakte findest du hier: https://www.gpa.at/kontakt
Nächste Generation wird aufgebaut
Mit dem 1. Dezember 2023 ist Gerti Werl in Altersteilzeit gegangen. Für die nächste Betriebsrats-Wahl, die in viereinhalb Jahren stattfindet, wird ihr Stellvertreter Markus Schadler als Nachfolger aufgebaut. „Ich habe kein Problem damit, einen Schritt zurückzutreten“, macht Gerti Werl deutlich. „Ich muss nicht unbedingt Vorsitzende sein, denn meine Meinung sage ich ja sowieso – egal ob als Vorsitzende oder einfache Betriebsrätin“.
Die Betriebsratsvorsitzende musste schon wegen einer schweren Erkrankung ein Jahr aussetzen, Markus Schadler übernahm auch ihre Aufgaben, obwohl er erst recht kurz im Betriebsrats-Gremium tätig war. Gerti Werl: „Ich bin dann zurückgekommen und er ist dann wieder auf die Seite gerückt, das ist auch nicht selbstverständlich.“ Die Zusammenarbeit bleibt. Nun finden etwa die Gespräche mit der Geschäftsführung zu dritt statt. Zur Vorbereitung auf seine Aufgaben besuchte Markus Schadler das GPA Förderprogramm BR: Next, das Betriebsrät:innen bis 35 Jahre unter die Fittiche nimmt. „Junge Betriebsrät:innen werden dabei gezielt von uns gefördert. Sie sollen dabei auch eine Gewerkschaft von innen kennenlernen“, erklärt Mustafa Durmus. Markus Schadler selbst kam erst als er von der IT in die Sozialbranche wechselte, mit dem Thema Betriebsrat in Berührung. „Ich brauche einen Job, in dem ich ganz aufgehe, aber ich musste auch lernen was Work-Life-Balance bedeutet.“
Befreiung durch Motorsäge
Während sich Markus Schadler noch einige Jahre vorbereiten kann, geht Gerti Werl auch in anderen Belangen ebenfalls „mit Leib und Seele“ zur Tat. Vor gut 30 Jahren hat sie im Südburgenland ein 1700 Quadratmeter großes Grundstück mit einem alten Bauernhof erworben. In Gerersdorf bei Güssing leben neben Werl, ihrem Ehemann und einem Sohn – sie hat drei erwachsene Kinder, – heute u.a. Esel, Schafe, Hühner und Bienen. Dazu wird ein Gemüsegarten bestellt. Ein neues Werkzeug, um zu entspannen, hat Werl auch jüngst geschenkt bekommen: „Ich besitze jetzt eine Akku-Motorsäge“, lacht die Landwirtin aus Leidenschaft. „Es ist so befreiend mit der Motorsäge auszurücken, um etwas umzuschneiden.“ Manchmal kappt sie einen Busch gleich, wenn sie von der Arbeit heimkommt.
Denn die Arbeitnehmer:innen in der Behindertenbetreuung sollten einerseits mitfühlend und unterstützend sein und andererseits aber auch um ihre Arbeitsverhältnisse kämpfen. Zwar sind im Vergleich zu früher behinderte Menschen in der Öffentlichkeit präsenter. Doch sowohl ihre Betreuung als auch sie selber sollten nicht auf Almosen angewiesen sein. Auch Wolfgang Graupp ist ein wichtiger Bestandteil der LNW Lebenshilfe NetzWerk GmbH. „Er ist wichtig für uns, wir brauchen ihn“.