Bei BALANCE wird Nachtarbeit voll bezahlt

Foto: Nurith Wagner-Strauss

Der Sozialbereich ist ein notorisch unterdotierter, das wirkt sich auch auf die Arbeitsbedingungen und Gehälter der hier Beschäftigten aus. Clemens Fessler zeigt als Betriebsratsvorsitzender bei BALANCE Leben ohne Barrieren, was man mit konsequenter Interessensvertretung und Unterstützung eines engagierten Betriebsratsteams für die Belegschaft dennoch erreichen kann. Bei BALANCE werden zum Beispiel inzwischen auch in der Nacht geleistete Arbeitsstunden voll bezahlt.

Erst dieser Tage konnten nach intensiven und langen Verhandlungen die Kollektivvertragsverhandlungen für die Beschäftigten im privaten Pflege-, Gesundheits- und Sozialbereich abgeschlossen werden: Sie können sich um ein Plus von 9,2 Prozent bei den Gehältern freuen. Der neue Mindestlohn für Fachsozialbetreuer:innen in der Behindertenarbeit (VG6) liegt nun bei 2687€ (brutto bei Vollzeit). Etwas verbessert wurde auch die Abgeltung der Nachtbereitschaft. Dass dies bei den KV-Verhandlungen überhaupt zur Sprache kam, war auch ein bisschen Clemens Fessler zu verdanken. Er hatte das Thema im Verbund mit anderen Betriebsrät:innen in die Verhandlungen eingebracht.

Bisher wurden Betreuer:innen etwa in Wohngemeinschaften für Menschen mit Beeinträchtigungen, die auch in der Nacht Unterstützung brauchen, für ihre Anwesenheit und Bereitschaft laut Kollektivvertrag nur zu 50 Prozent bezahlt – im Fall von dokumentierten Einsätzen gab es für diese jeweils eine volle Bezahlung für jeweils eine halbe Stunde. Laut aktueller KV-Einigung werden nun für alle in diesem Bereich Beschäftigten grundsätzlich zwei dieser Nachtstunden voll bezahlt. Bei BALANCE gilt allerdings eine noch bessere Regelung: Hier bekommen die Mitarbeiter:innen den gesamten Nachtdienst zwischen 22 Uhr abends und sechs Uhr morgens voll bezahlt. „Erreichen konnte ich das mit Unterstützung des Arbeitsinspektorats und der Gewerkschaft“, erzählt Fessler.

„Bei BALANCE gilt allerdings eine noch bessere Regelung: Hier bekommen die Mitarbeiter:innen den gesamten Nachtdienst zwischen 22 Uhr abends und sechs Uhr morgens voll bezahlt.“

Clemens Fessler

Für ihn sind Regelungen wie diese, dass eben Arbeitnehmer:innen nicht selbstverständlich wie in anderen Branchen Nachtarbeitszeiten voll bezahlt erhalten, auch Ausdruck der Marginalisierung der Menschen, die hier betreut werden: Der Menschen mit Behinderungen. Bei BALANCE unterstützen sich rund 300 Beschäftigte um die 370 Personen mit Beeinträchtigungen – einerseits im Rahmen von betreutem Wohnen sowohl in Wohngemeinschaften als auch in Wohnverbünden, wo Betroffene jeweils in einer eigenen Garconniere leben und von einem Stützpunkt aus begleitet werden, andererseits aber auch in Form von mobiler Begleitung oder Tagesstruktur. Früher verstand man darunter die sogenannten Behindertenwerkstätten, heute gehe es hier zwar auch noch um Beschäftigung, im Vordergrund stehe aber das Soziale, das Hinausgehen, die Förderung von Inklusion, erzählt Fessler.

Vom Zivildiener zum Behindertenbetreuer

Er selbst lernte diesen Arbeitsbereich im Zug seines Zivildiensts bei der Lebenshilfe Vorarlberg kennen. Nach Abschluss seines Studiums der Geschichte und Bildungswissenschaften, während dem er bereits als Studienassistent, aber auch als Erlebnispädagoge mit Schüler:innen gearbeitet hatte, war er zunächst als Medienpädagoge für die Universität Wien und als Safer Internet-Trainer tätig. 2011 wechselte er dann zu seinem jetzigen Arbeitgeber BALANCE, wo er viele Jahre als Behindertenbetreuer in einer Wohngemeinschaft eingesetzt war.

„Mir hat immer schon die Arbeit mit Menschen gefallen“, betont Fessler. Und genau das schätzt er auch an seiner derzeitigen Tätigkeit als freigestellter Betriebsrat. Die Strukturen, die der Arbeitgeber für die betreuten Kund:innen und Klient:innen vorsehe, versuchen er und sein Team analog auch für die Belegschaft zu adaptieren. Betreute Personen haben zum Beispiel bei BALANCE die Möglichkeit, eine „persönliche Lagebesprechung“ mit Personen, die für ihr Leben bedeutsam sind, zu erhalten. In solch einem Gespräch wird ausgelotet, welche Schritte es braucht, um ein persönlich gestecktes Ziel zu erreichen. „Die Menschen werden dabei unterstützt, eigene Entscheidungen zu treffen“, so Fessler.

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Wünsche der Beschäftigten zählen

Genau diesen personenzentrierten Zugang bietet der Betriebsrat in Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung auch den Mitarbeiter:innen. Gebe es etwa den Wunsch, in einen anderen Tätigkeitsbereich zu wechseln oder etwas an der Arbeitszeit zu verändern, werde Pflegeurlaub benötigt oder gebe es den Wunsch nach Eltern- oder Altersteilzeit, dann werde versucht, dem zu entsprechen. Er selbst arbeitet zum Beispiel derzeit 33 Wochenstunden und seine Frau, die ebenfalls in der Behindertenbetreuung tätig sei, 25 Wochenstunden. So seien Arbeit und das Da-Sein für die beiden Töchter, fünf und acht Jahre alt, auch gut miteinander zu vereinbaren. Stolz ist Fessler auch auf die Möglichkeit eines Sabbaticals – dazu wurde eine Betriebsvereinbarung geschlossen.

Wo dem Arbeitgeber aber oft die Hände gebunden seien: Wenn es um eine bessere Bezahlung geht. „Der Arbeitgeber ist zwar privat, aber in Wirklichkeit völlig vom Fördergeber, also der öffentlichen Hand abhängig. Es handelt sich hier nicht wirklich um einen freien Markt.“ Immer noch liege die Sozialwirtschaft mit ihren Löhnen rund 20 Prozent unter dem Medianeinkommen, beklagt Fessler.

Fotos: Nurith Wagner-Strauss

Er sieht hier zudem systemische Fehler. Beispiel: Der in der Pflegereform vorgesehene Pflegezuschuss. Dieser komme nun Beschäftigten zu, die pflegerische Tätigkeiten ausüben – allerdings nur, wenn sie eine bestimmte Ausbildung absolviert haben. Andere Mitarbeiter:innen, die ebenfalls pflegerische Aufgaben übernehmen, gingen dagegen leer aus. „Der Zuschuss wird an die Ausbildung gekoppelt, nicht an die Tätigkeit. Der Kollektivvertrag dagegen ist mit der Tätigkeit verknüpft – wenn er auch an die Ausbildung anknüpfen würde, würden die meisten Kolleg:innen besser verdienen. Im Grund sollten die meisten Mitarbeiter:innen 200 bis 300 Euro mehr im Monat verdienen.“

„Im Grund sollten die meisten Mitarbeiter:innen 200 bis 300 Euro mehr im Monat verdienen.“

Clemens Fessler

Bei BALANCE arbeiten sowohl universitär ausgebildete Menschen wie Sozialpädagog:innen, Psycholog:innen oder Psychotherapeut:innen als auch diplomierte Pflegepersonen, Pflegeassistent:innen und Reinigungskräfte. Sie alle hätten sich für den Beruf entschieden, um für Menschen da zu sein. Es handle sich um eine „sinnstiftende Tätigkeit“, das motiviere viele – aber das dürfe auch nicht von Arbeitgeber:innenseite ausgereizt werden. Bei BALANCE gelinge hier viel im Sinn der Mitarbeiter:innen – siehe Abgeltung der Nachtdienste. Letztlich gehe es aber immer um das zur Verfügung stehende Budget. Hier wünscht sich Fessler mehr Mittel von der öffentlichen Hand.

„Wir möchten die Menschen aber so unterstützen können, dass sie in der Gesellschaft ihren Platz finden, dass sie ihre Grenzen immer wieder überwinden und nicht nur die medizinische Betreuung im Vordergrund steht, sondern ihnen ein abwechslungsreiches Leben ermöglicht wird. Und das ist bei Personalknappheit sehr schwierig.“

Clemens Fessler

Denn worunter alle Beschäftigten in der Sozialwirtschaft leiden, sei die knappe Personaldecke. Das führe zu ständigen Engpässen im Fall von Krankenständen und Urlauben. Das wiederum sei gerade in einem Arbeitsbereich, in dem Mitarbeiter:innen auch immer wieder mit Gewalt seitens etwa psychisch kranker Klient:innen konfrontiert seien beziehungsweise eine gute Betreuung auch Zeit für den einzelnen Menschen brauche, für die Beschäftigten sehr belastend. „Wir möchten die Menschen aber so unterstützen können, dass sie in der Gesellschaft ihren Platz finden, dass sie ihre Grenzen immer wieder überwinden und nicht nur die medizinische Betreuung im Vordergrund steht, sondern ihnen ein abwechslungsreiches Leben ermöglicht wird. Und das ist bei Personalknappheit sehr schwierig.“

Persönlich findet Fessler seinen Ausgleich einerseits im Klettern, andererseits beim Kartenspiel. Sein Metier ist das Fantasy-Kartenspiel Magic: The Gathering, das mit Gleichgesinnten in Klubs gespielt werde, wie er erzählt.

Zur Person:
Clemens Fessler, geb. 1982 in Vorarlberg, studierte Geschichte und Bildungswissenschaft an der Universität Wien. Seit 2011 bei BALANCE Leben ohne Barrieren beschäftigt, zunächst als Betreuer in einer Wohngemeinschaft für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderungen. Seit 2012 Mitglied des Betriebsrats, seit 2014 Betriebsratsvorsitzender. Fessler lebt mit seiner Familie in Wien.

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