29. Februar, Tag der prekären Arbeit

Prekär Beschäftigte können von ihrer Arbeit nur schwer oder gar nicht ihren Lebensunterhalt bestreiten und genießen mangelnden sozialen Schutz. So geht es häufig den 24-Stunden-Betreuer:innen, aber auch vielen Haushaltshilfen oder Au pairs.
Foto: Adobe Stock

Der 29. Februar ist der Ehrentag von Santa Precaria, der „Schutzheiligen“ der prekär und atypisch Beschäftigten. Aus diesem Anlass hat die Gewerkschaft GPA zu einem Film über prekäre Arbeit ins Kino geladen.

Der Film „Wie im echten Leben“ (Frankreich 2021) zeigt die harte Realität einer Gruppe von Putzfrauen an der französischen Nordküste. „Santa Precaria ist nicht zufällig eine Frau“, erklärt Birgit Eyrich, stv. Vorsitzende der IG Flex in der Gewerkschaft GPA, die Hintergründe dieses ungewöhnlichen „Feiertages“, der nur alle vier Jahre stattfindet. „Sie ist eine Teilzeitheilige“, fügt Eyrich hinzu, „so wie prekär Beschäftigte auch sehr oft nur Teilzeit oder geringfügig Beschäftigte sind. Und eben sehr oft Frauen.“

Neben der IG Flex, der Interessensgemeinschaft für flexible, atypische und prekär Beschäftigte, engagiert sich auch die IG Social, die Interessengemeinschaft für Menschen in Gesundheits- und Sozialberufen, in der gewerkschaftlichen Organisierung von Betroffenen. „Der Film, den wir zeigen, führt die Situation dieser Frauen sehr drastisch vor Augen“, erklärt Henrike Kovacic, Frauensprecherin der IG Social. „Der Kinoabend dient natürlich auch der Vernetzung und wir möchten den Kolleg:innen unsere Arbeit vorstellen.“

Putzen zum Mindestlohn

Der frz. Film „Wie im echten Leben“ (2021) erzählt die Geschichte einer Gruppe von Putzfrauen, die ihren Lebensunterhalt unter äußerst harten Bedingungen verdienen müssen. In der Hauptrolle spielt die Schauspielerin Juliette Binoche die Schriftstellerin Marianne, die in die Hafenstadt Caen zieht, um dort undercover für ein Buch über die Arbeitsbedingungen in der Reinigungsbranche zu recherchieren.

Dazu nimmt Marianne einen Job in der Putzkolonne des Fährhafens an. So erlebt sie die wirtschaftliche Situation ihrer Arbeitskolleg:innen hautnah mit: befristete Arbeitsverträge, niedrige Löhne, körperlich anstrengende und z.T. erniedrigende Tätigkeiten, Schichtarbeit, keine Aufstiegschancen – kurz: eine einzige Schufterei. Diese Frauen kommen finanziell gerade so über die Runden und müssen teilweise mehrere Jobs nebeneinander machen, um finanziell überleben zu können bzw. um ihre Familien durchzubringen.

„Der Film führt sehr deutlich vor Augen, was solche prekären Arbeitsbedingungen mit den Menschen machen“, schildert Kovacic ihre Eindrücke. „Immerhin ein Gutes daran ist die großartige Solidarität, die diese Frauen zusammenschweißt.“

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Prekäre Arbeit

Was genau ist unter prekärer Arbeit zu verstehen? Das „klassische“ Arbeitsverhältnis wäre eine unbefristete Vollzeitstelle mit voller sozialer Absicherung. Davon abweichende Beschäftigungsformen werden auch oft als „atypisch“ bezeichnet. Dazu gehören Teilzeit und geringfügige Beschäftigte, befristete Arbeitsverträge oder Arbeitskräfteüberlassung (Zeitarbeit), freie Dienstverträge, neue Selbständige – die oft Scheinselbständige sind – oder auch Arbeitsformen wie Crowdwork, Plattformarbeit, usw.

„Atypische Beschäftigungsformen können oft als prekär eingestuft werden“

Birgit Eyrich

Atypische Beschäftigungsformen haben in den letzten Jahren in Österreich stark zugenommen: Im Jahr 2021 waren rund 1,3 Millionen unselbständig Erwerbstätige in ihrer Haupttätigkeit atypisch beschäftigt, 2,4 Millionen hatten ein Normalarbeitsverhältnis (einschließlich Lehrlinge). Der Anteil der atypisch Beschäftigten entsprach 2021 somit 35,3 Prozent der unselbständig Erwerbstätigen.

„Atypische Beschäftigungsformen können oft als prekär eingestuft werden“, präzisiert Birgit Eyrich, „sie müssen es aber nicht sein. Auch Vollzeitarbeit kann unter bestimmten Bedingungen prekär sein.“ Wesentlich ist, dass die Beschäftigten von ihrer Arbeit nur schwer oder gar nicht ihren Lebensunterhalt bestreiten können, mangelnden sozialen Schutz genießen und kaum Möglichkeiten zur Mitbestimmung haben.

Mitbestimmung und Gewerkschaft

Daher wäre hier gewerkschaftliche Organisation extrem wichtig. Das betont Henrike Kovacic, die u.a. die Situation der 24-Stunden-Betreuer:innen anspricht: „Die Frauen haben meist nicht nur einen Lebensmittelpunkt in Österreich und sind den Agenturen, die sie als (Schein-) Selbständige vermitteln oft ausgeliefert. Sie arbeiten in Haushalten isoliert und machen viel zu oft unbezahlte Mehrarbeiten, sie verdienen zwei bis drei Euro pro Stunde“, zählt Kovacic eine lange Reihe von Benachteiligungen auf. Kovacic fordert daher neben einem Ausbau des Beratungsangebots eine ordentliche Anstellung dieser Betreuer:innen bei gemeinnützigen Trägern. Das würde nicht nur geregelte Arbeitsverträge und Löhne bedeuten, sondern auch soziale Absicherung, darunter grundlegende Rechte wie bezahlter Krankenstand oder Urlaub.

Ähnlich wie den 24-Stunden-Betreuer:innen ergeht es auch vielen Haushaltshilfen oder Au pairs. „Dazu kommen bei diesen Beschäftigungsformen außerdem große gesundheitliche Risiken wegen überlanger und ungeregelter Arbeitszeiten und eine hohe Gewaltgefährdung durch die Isolation in den Haushalten“, so Kovacic weiter. Eine weitere Gruppe, die von ähnlichen Substandard-Bedingungen betroffen sind, sind die Saisonarbeiter:innen und viele Arbeitende in Lieferdiensten.

„Da in Österreich aber ganz besonders Frauen von prekären Arbeitsbedingungen betroffen sind, ist unsere Schutzheilige bewusst weiblich“

Birgit Eyrich

Frauen besonders betroffen

Bereits 2001 riefen italienische Aktivist:innen ursprünglich „San Precario“ als Schutzpatron ins Leben. „Da in Österreich aber ganz besonders Frauen von prekären Arbeitsbedingungen betroffen sind, ist unsere Schutzheilige bewusst weiblich“, erklärt Eyrich. Frauen können oftmals keine Vollzeitstellen annehmen, da sie neben ihrer Arbeit noch die Care-Arbeit zu Hause erledigen müssen. Dazu kommt, dass viele Frauen in sog. Frauenbranchen mit unterdurchschnittlicher Bezahlung tätig sind. Das Argument, dass Frauen eben die falschen Berufe auswählten und doch besser Ausbildungen im MINT-Bereich absolvieren sollten, lässt Eyrich nicht gelten: „Wer macht dann die Dienstleistungsjobs? Wer schneidet die Haare oder betreut ältere Menschen? Viele Frauen machen das aus Idealismus, und sie haben sich bessere Gehälter verdient!“

Eyrich fordert daher eine Neubewertung von Arbeit, in dem Sinne, als es jede Art von Arbeit ermöglichen muss, von seinem Beruf gut leben zu können. „Wir fordern nicht nur ein existenzsicherndes Arbeitsvolumen – jenseits von Minijobs usw. – und entsprechende Entlohnung. Arbeitnehmer:innen brauchen auch soziale Absicherung oder z.B. Mutterschutz – eben alles, was in gesicherten Vollzeitjobs seit Jahrzehnten selbstverständlich ist“, betont Eyrich. 

Kovacic betont außerdem: „Eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich wäre eine Voraussetzung dafür, dass die unbezahlte Care-Arbeit endlich gerecht zwischen den Geschlechtern verteilt werden kann. Frauen brauchen Planungssicherheit  und Kinderbetreuungsplätze, die ihnen Vollzeitarbeit ermöglichen und effektive bezahlbare Pflegeangebote für Verwandte, für die sie sich verantwortlich fühlen. Dadurch würde auch der Gender-Pension-Gap, der in Österreich bei 40 Prozent liegt, kleiner und Altersarmut vermindert werden.“

Kovacic sieht in der sozialen Arbeit wie z.B. in der Freizeitpädagogik, der Bildung und Erwachsenenbildung oder auch der Flüchtlingshilfe eine zunehmende Prekarisierung um sich greifen, da ein guter Teil des Angebots nur mehr in Form von befristeten Projekten besteht. Diese Projekte sind abhängig von Fördermitteln – und können damit plötzlich gestrichen oder gekürzt werden: „Hier werden Kernkompetenzen des Sozialstaates an private Anbieter ausgegliedert und je nach politischer Stimmungslage bezahlt oder wieder abgeschafft. Ich halte das für eine gefährliche Entwicklung, bei der sowohl das Angebot und damit die Betroffenen, als auch die Beschäftigten, mehr und mehr unter die Räder kommen.“

Interessengemeinschaften: Beratung, Vernetzung, Mitgestaltung

Die IG Flex ist eine branchenübergreifende Interessenvertretung für alle prekär Beschäftigten, freien Dienstnehmer:innen, Zeitarbeitskräfte, neuen Selbständigen, Ein-Personen-Unternehmen usw.

Die IG Social ist die Interessenvertretung für alle, die im Sozial- und Gesundheitsbereich tätig sind. Unsere IG Social-Mitglieder arbeiten u. a. als Angestellte in Pflegeberufen, Sozialarbeiter:innen, Elementarpädagog:innen, Freizeitpädagog:innen, Jugendbetreuer:innen, Behindertenbetreuer:innen u.a.m.

Du fühlst dich angesprochen? Du möchtest dich einbringen? Mehr auf www.gpa.at/interesse oder unter 050301

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