
FOTO: APA/HELMUT FOHRINGER
Kika/Leiner, KTM, Palmers – in den vergangenen Monaten prägten große Insolvenzen die Schlagzeilen. Was bedeutet das für die Beschäftigten? Mit welchen Herausforderungen waren sie konfrontiert, was konnte die Gewerkschaft GPA für sie erreichen?
Von einem Tag auf den anderen steht die Zukunft auf dem Spiel: Wenn der Arbeitgeber Insolvenz anmeldet, bedeutet das für die Beschäftigten existenzielle Unsicherheit. Was passiert mit den ausstehenden Gehältern? Gibt es Chancen auf Weiterbeschäftigung? In einer solchen Krise ist die Gewerkschaft eine wichtige Stütze. Sie kämpft für die Rechte der Betroffenen, sichert Ansprüche und setzt sich für Arbeitsstiftungen ein.
Ende November des Vorjahres meldete der KTM-Konzern in Mattighofen Insolvenz an, betroffen sind rund 3.700 Beschäftigte. „Unsere wichtigste Botschaft an die Beschäftigten im Moment der Insolvenz war: Unterschreibt nichts und lasst euch nicht zu einer vorzeitigen Beendigung eures Arbeitsverhältnisses drängen!“ berichtet der Geschäftsführer der GPA OÖ, Wolfgang Gerstmayer.
Bei allen Betriebsversammlungen war die Gewerkschaft GPA gemeinsam mit der Arbeiterkammer vor Ort. Gerstmayer: „Wir haben die Mitarbeiter:innen begleitet und insbesondere die Dienstverträge genau analysiert, um zu verhindern, dass Beschäftigte ihre Ansprüche verlieren.“ Auch das AMS war mit an Bord, ebenso die Gewerkschaft PRO-GE. „Durch diese Zusammenarbeit können wir die Menschen wirklich rundum und engmaschig betreuen.“
„Unsere wichtigste Botschaft an die Beschäftigten im Moment der Insolvenz war: Unterschreibt nichts und lasst euch nicht zu einer vorzeitigen Beendigung eures Arbeitsverhältnisses drängen!“
Wolfgang Gerstmayer
Geschäftsführer der GPA Oberösterrreich
Obwohl KTM ursprünglich angekündigt hatte, die ausstehenden Gehälter und Ansprüche begleichen zu können, musste der Insolvenz-Entgelt-Fonds (IEF) einspringen. „Industrielle – darunter KTM-Chef Stefan Pierer – fordern von der Politik eine Senkung der Lohnnebenkosten, können aber im Ernstfall die Gehälter nicht zahlen“, kritisiert die Vorsitzende der Gewerkschaft GPA, Barbara Teiber, „Ohne den Insolvenzfonds, der genau aus diesen Lohnnebenkosten finanziert wird, hätten die Beschäftigten monatelang kein Gehalt bekommen.“ Nach langer Unsicherheit haben die Gläubiger dem Sanierungsplan schließlich zugestimmt, sodass KTM die Produktion wieder aufnehmen kann. Dennoch wurden 550 Beschäftigte beim Frühwarnsystem des AMS gemeldet. Eine Arbeitsstiftung wurde eingerichtet. Diese richtet sich speziell an die Arbeitnehmer:innen des KTM-Konzerns, „aber sie steht auch jenen offen, die von Folgeinsolvenzen betroffen sind“, hebt Gerstmayer hervor.
Arbeitsstiftung
Auch Michael Pieber, Geschäftsführer der GPA Niederösterreich, macht sich entschlossen für Arbeitsstiftungen stark. Als das Traditionsmöbelhaus kika/Leiner mit Stammsitz in St. Pölten im November 2024 zum zweiten mal Insolvenz anmelden musste und eine Sanierung nicht möglich war, kam es zum Konkurs. 1.350 Beschäftigte in ganz Österreich – davon 600 in NÖ – verlieren ihren Arbeitsplatz. Pieber: „Wir wussten, dass wir unbedingt eine Arbeitsstiftung brauchen, denn das ist die beste Unterstützung für die Betroffenen, um wieder eine berufliche Perspektive zu finden.“
Um eine drohende Langzeitarbeitslosigkeit, besonders bei älteren Arbeitnehmer:innen abzuwenden, ist es wichtig, den Beschäftigen Schulungen, Unterstützung und Weiterbildung anzubieten. „Eine Arbeitsstiftung ist ein Gamechanger! Denn von der Computerschulung bis hin zum Berufswechsel ist dort alles möglich. Wichtig ist, dass das Angebot der Stiftung zu den Menschen passt“, ist Pieber überzeugt.
„Eine Arbeitsstiftung ist ein Gamechanger! Denn von der Computerschulung bis hin zum Berufswechsel ist dort alles möglich. Wichtig ist, dass das Angebot der Stiftung zu den Menschen passt.“
Michael Pieber
Geschäftsführer der GPA Niederösterreich
Eine Stiftung, so betont auch Barbara Teiber, ist keine nachträgliche Investition. Vielmehr haben die Menschen jahrelang Beiträge eingezahlt, um im Ernstfall Unterstützung zu erhalten. „Die Beschäftigten haben über Jahre – manche sogar jahrzehntelang – Sozialabgaben geleistet. Jetzt ist der Moment gekommen, in dem sie ihre Rechte in Anspruch nehmen können. Vor allem für ältere Arbeitnehmer:innen ist Weiterbildung essenziell, um Langzeitarbeitslosigkeit zu verhindern.“
Landesstiftung in NÖ gefordert
Die Gewerkschaft GPA fordert in Niederösterreich schon seit Jahren eine permanente Arbeitsstiftung des Landes. Doch die Landesregierung war nicht bereit, dafür finanzielle Mittel bereitzustellen, kritisiert Michael Pieber: „Deshalb sind wir an die Öffentlichkeit gegangen und haben eine Petition gestartet – mit Erfolg: Wir konnten über 3.000 Unterschriften sammeln.“
Neben Kika/Leiner geriet auch Palmers, ein weiteres österreichisches Traditionsunternehmen, in die Insolvenz. Mit über 500 Beschäftigten in mehr als 100 Filialen hat das Unternehmen ein Sanierungsverfahren in Eigenverwaltung eingeleitet. „Leider werden österreichweit 36 Filialen geschlossen. Wir werden gemeinsam mit dem Betriebsrat die Beschäftigten bestmöglich unterstützen, um eine sozial verträgliche Lösung bzw. Möglichkeiten der Weiterbeschäftigung im Unternehmen zu finden“, betont Pieber.
„Ein bestehender Betriebsrat sorgt dafür, dass alle Beschäftigten direkten Zugang zu Informationen haben.“
Günther Muhrer
GPA-Sekretär in Kärnten
Vorsitzende Teiber plädiert für permanente Stiftungen in allen Bundesländern, nach dem Vorbild des waff in Wien: „Der waff kümmert sich darum, den Betroffenen nach einer Insolvenz ein passendes Angebot für den beruflichen Neustart zu machen. Man hilft dort den Menschen, rasch wieder eine Beschäftigung zu finden und es werden gleichzeitig dringend benötigte Fachkräfte ausgebildet. Der waff ist ein Sicherheitsnetz, das die Menschen auffängt!“
Veränderungen im Handel
Sind Handelsunternehmen besonders von Insolvenzen betroffen? Günther Muhrer, GPA-Sekretär in Kärnten, betreut in seiner Region den Handel und beobachtet eine Strukturbereinigung: „Wir haben zahlreiche Shoppingcenter, doch der Trend geht immer stärker in Richtung Onlinehandel, das gefährdet Jobs“, berichtet Muhrer aus der Praxis. „Wir zeigen den Beschäftigten auch alternative Perspektiven am Arbeitsmarkt auf.“ Aus Sicht von Muhrer ist ein fest verankerter Betriebsrat in Krisenzeiten entscheidend. Ein solcher sollte nicht erst kurz vor einer Insolvenz gegründet werden, dann ist es meist zu spät. „Ein bestehender Betriebsrat sorgt dafür, dass alle Beschäftigten direkten Zugang zu Informationen haben, besser in den Prozess eingebunden sind und eine Vertrauensbasis besteht. Wer gut informiert ist, hat in schwierigen Zeiten weniger Angst“, betont Muhrer. In Kärnten gibt es übrigens eine offene Arbeitsstiftung des Landes, die Betroffene im Falle eines Arbeitsplatzverlustes unterstützt.
In Krisenzeiten ist neben dem Betriebsrat auch ein starker Kollektivvertrag von großer Bedeutung: „Die langjährigen Beschäftigten bei kika/Leiner profitieren von langen Kündigungsfristen, sie können nur quartalsweise gekündigt werden“, weiß Pieber, „Das verschafft uns als Gewerkschaft wertvolle Zeit, um sie bestmöglich zu unterstützen.“
„Die Reform des Insolvenzrechts im Jahr 2021 macht es Arbeitgebern zu einfach, sich ihrer Schulden zu entledigen.“
Marcel Gilly
Geschäftsführer der GPA Vorarlberg
Industrie: Folgeinsolvenzen
Was Wolfgang Gerstmayer in Oberösterreich noch Sorgen bereitet sind die Folgeinsolvenzen. Auch die Zulieferbetriebe des KTM-Konzerns sind in Schwierigkeiten gekommen. Schätzungen zufolge könnten insgesamt 1.600 Beschäftigte ihren Arbeitsplatz verlieren. „Darunter sind auch Betriebe ohne Betriebsrat, das erschwert unsere gewerkschaftliche Arbeit erheblich“, so Gerstmayer.
„Ohne Insolvenzentgeltfonds, der aus Lohnnebenkosten finanziert wird, hätten die Beschäftigten kein Gehalt bekommen.“
Vorsitzende der Gewerkschaft GPA
Ähnliches beobachtet auch Marcel Gilly, Geschäftsführer der GPA Vorarlberg. Die Insolvenz und anschließende Sanierung des Motorteileproduzenten Elko König in Rankweil (320 Beschäftigte) hat zahlreiche Zulieferbetriebe hart getroffen. Gilly kritisiert, dass die Reform des Insolvenzrechts im Jahr 2021 es Arbeitgebern zu einfach mache, sich ihrer Schulden zu entledigen. Die Leidtragenden seien oft die Gläubiger, die auf einem Großteil ihrer Forderungen sitzen
bleiben. Die Folgeinsolvenzen und der Verlust von Arbeitsplätzen in der Region treffen letztlich wiederum die Arbeitnehmer:innen.
Gezielt gegensteuern
Müssen wir mit weiteren Insolvenzen rechnen? „Während der Pandemie wurden viele Unternehmen durch staatliche Förderungen gestützt. Jetzt kehren wir zur wirtschaftlichen Dynamik von vor Corona zurück“, erklärt Gerstmayer. Auch Michael Pieber sieht darin eine weitgehend normale Entwicklung: „Die Arbeitswelt ist in Bewegung. Eine aktive Arbeitsmarktpolitik, wie sie die neue Regierung anstrebt, kann hier gezielt gegensteuern.“
GPA-Chefin Barbara Teiber hebt hervor, dass der Arbeitsmarktteil des neuen Regierungsprogramms die richtige Richtung vorgibt: „Die Koalitionsparteien haben mit der besseren Finanzierung des AMS einen wichtigen Schritt gesetzt. Angesichts der Insolvenzen und der angespannten Lage am Arbeitsmarkt ist mehr Geld für Qualifizierung der Schlüssel zu mehr Jobsicherheit!“
Du bist von Insolvenz betroffen? Das gilt für dich:
- Die Insolvenz beendet nicht automatisch dein Arbeitsverhältnis! Du musst also weiterhin wie gewohntzur Arbeit gehen.
- Ganz wichtig: Unterschreibe keine einvernehmliche Auflösung deines Dienstverhältnisses, bevor du nicht mit unseren Expert:innen für Arbeitsrecht gesprochen hast!
- Auch wenn du den Arbeitgeber wechseln willst, lass dich vorher beraten. Bei Insolvenz gelten besondere Bestimmungen, wenn du aus dem Unternehmen austrittst.
- Wenn du Urlaub vereinbart hast, darfst du ihn konsumieren. Wenn du erst jetzt Urlaub nehmen möch- test, musst du das mit dem/der Masseverwalter:in ausmachen.
- Der Insolvenz-Entgelt-Fonds (IEF) stellt sicher, dass die Gehälter der Beschäftigten bei einer Insolvenz weiter bezahlt werden. Deine Ansprüche bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses – z.B. Kündigungsentschädigung, Urlaubsersatzleistung, etc. – sind durch den IEF gesichert!
- Mehr zum Thema Insolvenz gibt es hier