Martina Simon leitet einen Kindergarten der Volkshilfe in Korneuburg, in dem ein- bis dreijährige Kinder betreut werden. Im Interview mit der KOMPETENZ schildert sie, wie sie die Coronakrise bisher erlebt hat und was sie sich für die Zukunft wünscht.
KOMPETENZ: Wie hat das Coronavirus Ihren Arbeitsalltag verändert?
Martina Simon: Ganz am Anfang war es sehr schrecklich, weil einfach totale Panik war. Einige KollegInnen sind durch Sonderurlaube ausgefallen, durch Dienstfreistellungen auf Grund des Alters oder von Vorerkrankungen. Das war eine sehr emotionale Situation, es gab sehr viel Angst im Team und viel Unverständnis. Für mich als Leitung war es auch eine schwere Situation, mit der Einschränkung des Personals umzugehen, aber auch mit der Angst der Eltern. Das Hauptproblem war, dass Regierung Erlässe veröffentlicht hat, aber die konkreten Informationen zu deren Umsetzung kamen immer zeitverzögert. Das hat für viel Verunsicherung gesorgt.
KOMPETENZ: Hat die Regierung bei der Ausarbeitung der Corona-Schutzmaßnahmen in der Arbeitswelt auch die Arbeit der KindergartenpädagogInnen ausreichend mitbedacht?
Martina Simon: Meiner Meinung nach nicht. Es wurde über den Schutz von ÄrztInnen, Krankenschwestern, Beschäftigten im Supermarkt gesprochen, aber nicht über uns. Es hat immer nur geheißen, Kinder erkranken nicht, sind aber Überträger. Die Vorgaben wie Hände zu desinfizieren oder die Maskenpflicht für Eltern kam relativ spät.
„Richtlinien, dass man Handschuhe und Desinfektionsmittel benutzen soll, gibt es, sie sind aber schwer umzusetzen, wenn man mit Kleinkindern arbeitet.“
Martina Simon
KOMPETENZ: Wie hat Ihr Arbeitgeber dafür gesorgt, dass Sie und Ihre KollegInnen sich geschützt fühlen?
Martina Simon: Er war sehr bemüht. Die Informationen seitens der Regierung kamen langsam, da konnte der Arbeitgeber nichts dafür. Aber die Sonderurlaubsvereinbarungen wurden in kürzester Zeit ausgearbeitet. Auch Desinfektionsmittel wurden rasch besorgt.
KOMPETENZ: Haben Sie und ihre Team Sorge, sich mit dem Virus anzustecken?
Martina Simon: Die Sorgen waren anfangs enorm. Der Alltag im Kinderhaus war geprägt durch einerseits sehr verzweifelte KollegInnen und andererseits durch verunsicherte Eltern. Wir betreuen sehr kleine Kinder, die Körperkontakt brauchen, die sich zum Beispiel noch nicht selbst die Nase putzen können. Richtlinien, dass man Handschuhe und Desinfektionsmittel benutzen soll, gibt es, sie sind aber schwer umzusetzen, wenn man mit Kleinkindern arbeitet. Da kann man sich nicht vor jedem Naseputzen Gummihandschuhe anziehen. Für Eltern besteht derzeit eine Maskenpflicht.
KOMPETENZ: Haben sich diese Sorgen inzwischen gelegt?
Martina Simon: Ja, inzwischen ist Angst vor einer Ansteckung gebannt, leider allerdings auch bei manchen Eltern. Es ist für uns harte Arbeit, darauf hinzuweisen, dass die Eltern Maske tragen und Abstand halten sollen. Gerade Eltern kleiner Kinder sehnen sich nach Sozialkontakten mit Gleichgesinnten, aber ein gewohntes Kaffeeplauscherl in der Garderobe ist derzeit eben nicht möglich.
„Es besteht aber Verunsicherung, ob es nicht langfristig durch die insgesamt niedrigere Kinderzahl, da ja Kinder abgemeldet wurden, zu einem Abbau von Stellen für ElementarpädagogInnen kommen wird.“
Martina Simon
KOMPETENZ: In manchen Kinderbetreuungseinrichtungen kamen in der zweiten März-Hälfte gar keine Kinder. Wie war das bei Ihnen?
Martina Simon: Es sind durchgängig Kinder gekommen. Anfangs waren es zwei bis drei pro Gruppe. Was allerdings schon passiert ist, ist, dass Eltern ihre Kinder nicht nur vorübergehend zu Hause gelassen haben, sondern ganz vom Kindergarten abgemeldet haben, etwa weil sie selber arbeitslos geworden sind. Ab der zweiten Mai-Hälfte ist die Anzahl der Kinder wieder stark angestiegen, mit Juni arbeiten wir wieder mit der vollen Besetzung und den Öffnungszeiten wie vor dem Ausbruch des Coronavirus. Es besteht aber Verunsicherung, ob es nicht langfristig durch die insgesamt niedrigere Kinderzahl, da ja Kinder abgemeldet wurden, zu einem Abbau von Stellen für ElementarpädagogInnen kommen wird.
KOMPETENZ: Ihr Arbeitgeber hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, das Kurzarbeitsmodell in Anspruch zu nehmen. Wie wurde das von den MitarbeiterInnen aufgenommen?
Martina Simon: Wir haben das alle als sehr positiv gesehen. So haben alle den Arbeitsplatz behalten, obwohl weniger Kinder (in anderen Kinderhäusern der Volkshilfe gar keine) zu betreuen waren. Aus finanzieller und sozialer Sicht war es allerdings für manche ein Drama. In der Kinderbetreuung gibt es nicht so gute Gehälter wie in anderen Bereichen, wenn man da zehn bis 20 Prozent weniger Entlohnung bekommt, ist das stark spürbar. Erfreulich war Anfang April die Nachricht vom rückwirkenden Abschluss unseres Kollektivvertrags, der eine Gefahrenzulage in Folge des hohen Ansteckungsrisikos vorsieht. Hier war das Engagement des Betriebsrats auch sehr wichtig.
„Erfreulich war Anfang April die Nachricht vom rückwirkenden Abschluss unseres Kollektivvertrags, der eine Gefahrenzulage in Folge des hohen Ansteckungsrisikos vorsieht.“
Martina Simon
KOMPETENZ: Wirft hier die Coronakrise ein Schlaglicht auf ein grundsätzliches Problem, nämlich zu wenig Wertschätzung für diese Arbeit?
Martina Simon: Sozialberufe werden schon wertgeschätzt, durch die Familien, aber auch durch die Gesellschaft. Aber die Bezahlung müsste besser sein. Viele Menschen, die im Sozialbereich arbeiten, tun das aus Überzeugung, aus einer Leidenschaft – und das Gehalt ist da zunächst zweitranging. Aber man muss halt schon auch davon leben können. Da braucht es eine bessere Finanzierung auch durch die öffentliche Hand.
KOMPETENZ: Sie arbeiten in einem privat geführten Kindergarten. Nun fallen Elternbeiträge weg, damit steht die Finanzierung auf noch wackeligeren Beinen. Sollte die öffentliche Hand die finanzielle Lücke, die hier entsteht, abdecken?
Martina Simon: Ja. Ich wünsche mir, dass die öffentliche Hand den Einnahmenentgang kompensiert. Als Mitglied des Betriebsrats weiß ich, dass unser Betrieb alles dafür tun wird, dass eine personellen Einschnitte vorgenommen werden müssen. Stunden zu reduzieren ist für die meisten KollegInnen im pädagogischen Bereich auch keine Lösung, weil sie meist Teilzeit beschäftigt und daher finanziell ohnehin schon am Limit sind. Natürlich sind die Sorgen angesichts einer ungewissen Zukunft aber für meine KollegInnen und mich sehr belastend.
KOMPETENZ: Was braucht es langfristig – abseits der aktuellen Krise – an Verbesserungen für ElementarpädagogInnen?
Martina Simon: Wir haben jetzt gesehen, wie gut man mit einer Gruppe von fünf Kindern arbeiten kann. Es wäre auch pädagogisch sinnvoll, die Gruppengrößen zu verkleinern. Es ist nicht sinnvoll, 15 Kleinkinder gemeinsam zu betreuen. Oder 25 Kinder bei den Drei- bis Sechsjährigen. Man kann dann als BetreuerIn das einzelne Kind nicht mehr wahrnehmen und beobachten, man schaut nur dorthin, wo es Konflikte oder Probleme gibt. Aber auch das ist natürlich eine finanzielle Frage. Der Personalschlüssel passt grundsätzlich, aber die Gruppengrößen sind ein Problem.
Martina Simon, geb. 1973 in Korneuburg, Ausbildung zur Kindergartenpädagogin und Horterzieherin, seit 1992 im Beruf tätig. Derzeit Leiterin des dreigruppigen Kinderhauses der Volkshilfe in Korneuburg, das Kinder zwischen einem Jahr und drei Jahren betreut. Sie gehört zudem dem Betriebsrat an.