Die Jugendgewerkschafterin Susanne Hofer und der Sozialwissenschafter Bernhard Heinzlmaier debattierten über die Jugend unter dem Eindruck der Coronakrise.
Die Widersprüche würden drückender, die Jugendlichen kämen mit der neuen Situation aber „ganz gut“ zurecht, sagte der Sozialwissenschaftler und Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier. Weil sie „bereits vor Corona dieselben Probleme hatten wie jetzt“. Bei der jüngsten Diskussion der GPA unter dem Titel „Junge Menschen in der Coronakrise – Die verlorene Generation?“ ging es um die Perspektiven der Lehrlinge, die Probleme des neoliberalen Systems und die Rolle, die Gewerkschaften in der Umgestaltung unserer Gesellschaft spielen könnten.
Gemeinsam mit der Vorsitzenden der ÖGB-Gewerkschaftsjugend Susanne Hofer diskutierte der Sozialwissenschafter im Rahmen des GPA-Webinar-Reihe „Leben und Arbeiten in Zeiten von Corona.“
„Die Finanzkrise von 2007 zerstörte die Lebensentwürfe vieler junger Menschen und traf dabei jene besonders hart, die am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn standen. Den heute unter 25-jährigen droht nun durch die Corona-Pandemie ein ähnliches Schicksal,“ hieß es in einer Ankündigung der Veranstaltung. Wer aber ist „die Jugend“ und wie betrifft die Krise die unterschiedlichen Lebensentwürfe Jugendlicher?
Denn, so stellte Heinzlmaier, mit Verweis auf den französischen Soziologen Pierre Bourdieu, gleich zu Beginn fest: „Wenn man von der Jugend spricht, dann ist das schon Manipulation.“ Die gibt es nämlich gar nicht als homogene Einheit. Während das obere Drittel der Gesellschaft, und damit auch die Jugendlichen, mit den Maßnahmen der Regierung übereinstimmen würden, herrsche „weiter unten“ erstmals in der Geschichte eine „ausgewachsene Repräsentationskrise der Politik.“ Menschen fühlten sich nicht gehört, es dominiere die Skepsis gegenüber den Corona-Bekämpfungsmaßnahmen. Öffentlich diskutiert würden ausschließlich die „Probleme der Priviligierten“. Die Spaltung der Gesellschaft hätte sich vertieft, so der düstere Befund des Jugendforschers.
Fehlende Lehrstellen sind eine Katastrophe
Susanne Hofer zufolge hätten „alle arbeitenden Jugendlichen“ durch die Krise „ein riesengroßes Problem“ bekommen. Studierende, die meist geringfügig oder Teilzeit arbeiten, bekämen keinerlei Unterstützungsleistungen. Es mache sich Perspektivlosigkeit breit. Durch die Coronakrise seien viele Stellen weggebrochen. Insbesondere die fehlenden Lehrstellen, welche die zukünftigen Fachkräfte auffangen sollten „werden uns fehlen und dem Staat in Zukunft auch viel kosten,“ so Hofer. Zwar sei das Angebot an Lehrstellen in Österreich regional sehr unterschiedlich. Aktuell würde es aber über 7000 junge Menschen geben, die sich österreichweit auf viel zu wenige Lehrstellen bewerben würden. „Das ist langfristig eine Katastrophe,“ so Hofer.
Der Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier macht darin die Folgen neoliberaler Politik der letzten Jahrzehnte aus: Jedes Individuum müsse „Unternehmer seiner selbst“ sein, sich zur Ware machen und „sich am Markt anbieten“. In der Coronakrise lasse sich dies in einem Bereich besonders gut beobachten: Bei Spitälern wurde gespart und gekürzt. „Die Politik hat im Gesundheitswesen wie ein neoliberaler Unternehmer agiert.“ Die Gewerkschaften würden zu wenig deutlich machen, wer vom neoliberalen System profitiert, und wer darunter leidet. Stattdessen würde „die Lüge von einer Chancengleichheit“ gepredigt, so Heinzlmaier. An der medizinischen Fakultät in Wien seien rund zehn Prozent weniger Menschen zugelassen worden, deren Eltern keine Matura haben. „Die Eliten bunkern sich in den Universitäten ein,“ so Heinzlmaier. Der offensichtliche Klassenwiderspruch gerate trotzdem zunehmend aus dem Blick. Die Unterprivilegierten hätten keine politische Vertretung mehr.
„Wir haben im letzten Jahr so gekämpft, jungen Menschen eine Stimme zu geben, über die sonst nicht geredet wird.“
Susanne Hofer, ÖGJ-Vorsitzende
Die Vorsitzende der ÖGB-Gewerkschaftsjugend widerspricht vehement: „Wir haben im letzten Jahr so gekämpft, jungen Menschen eine Stimme zu geben, über die sonst nicht geredet wird.“ Tatsächlich was ändern lasse sich aber nur gemeinsam: Die Jugendgewerkschaft sei „nicht die Susanne, sondern alle,“ so Hofer: Beschäftigte, BetriebsrätInnen und JugendvertrauensrätInnen. Für Jugendthemen und für die Geschlechtergerechtigkeit stünden aber alle in der Pflicht: Man dürfe diese Themen nicht ausschließlich den Jugendlichen und den Frauen überlassen. „Alle GewerkschafterInnen sollen sich hier zuständig fühlen,“ mahnt Hofer.
Potential in der Betriebsratsarbeit
Heinzlmaier spart nicht mit Kritik an den Gewerkschaften: Bei ihnen habe sich der „Habitus der Bürokratie“ eingeschlichen. Stattdessen gehörten sie an die Seite außerparlamentarischer Bewegungen – „auf die Straße!“ Menschen müssten erkennen lernen, dass sie ein „Machtfaktor“ seien, findet Heinzlmaier.
Susanne Hofer, selbst Betriebsrätin im sozialen Bereich, sieht vor allem in der Betriebsarbeit viel Potential: „Die Menschen sehen, wir sind die einzigen in dem Land, die sich dafür einsetzen, dass es ihnen gut geht“ – Sie erkennen, Ziele erreicht man nur gemeinsam. In der Gewerkschaftsarbeit kann es gelingen ein Mehr an Mitbestimmung zu praktizieren, und zu zeigen: „Wir sind eine coole Bewegung, die viel umsetzt.“ Gewerkschaft müsse gelebt werden „wie sie gedacht war: Von der Basis an die Spitze.“
Im Konkreten heißt das, für Jugendliche müsse kurzfristig eine Ausbildungsgarantie her. Ist man als junger Mensch arbeitslos, leide man Jahre später noch darunter. Langfristig sei das Bildungssystem gefragt. Susanne Hofer wünscht sich ein Schulsystem, „das an den Potentialen der jungen Menschen orientiert ist“. Alle bräuchten am Ende ihrer Ausbildung, metaphorisch gesprochen „einen vollgefüllten Werkzeugkoffer mit passendem Werkzeug, das sie in 30 Jahren auch noch anwenden können.“