Frauen tragen uns seit März durch die Krise, versorgen Junge, Alte und Kranke – und erhalten deutlich weniger Corona-Hilfen als Männer, kritisiert Anna Hehenberger, Ökonomin am Momentum Institut.
KOMPETENZ: Laut einer Studie des Momentum Instituts, an der Sie federführend beteiligt waren, gehen sechs von zehn Euro der staatlichen Corona-Hilfen an UnternehmerInnen, Bauern und Kunstschaffende. Jedoch zahlen vor allem ArbeitnehmerInnen, Selbständige und KonsumentInnen dafür. Wie lässt sich das erklären?
Anna Hehenberger: Die meisten hoch dotierten Mittel – die Umsatzersätze, die Fixkostenzuschüsse und die Steuererleichterungen – sind alles Hilfen, die vor allem Unternehmen stark entlasten. Wenn man sich ansieht, was an ArbeitnehmerInnen geht, sind die zwei größten Brocken die Einkommenssteuersenkung und die Kurzarbeit. Das heißt, auf Unternehmensseite haben wir mehrere Maßnahmen, die in die Milliarden gehen, und auf ArbeitnehmerInnenseite genau zwei Maßnahmen, die in die Milliarden gehen.
„Die ungleiche Verteilung der Hilfen kommt auch daher, dass die Regierung übersieht, dass die Wirtschaft nicht nur aus Unternehmen besteht, sondern auch aus ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen.“
Anna Hehenberger
Diese ungleiche Verteilung der Hilfen kommt auch daher, dass die Regierung übersieht, dass die Wirtschaft nicht nur aus Unternehmen besteht, sondern auch aus ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen. Es gibt viele Unternehmen, die ihre Waren und Dienstleistungen nur verkaufen können, wenn sich die KonsumentInnen das auch leisten können. Dass viele Menschen derzeit aber deutlich weniger Einkommen zur Verfügung haben, also weniger konsumieren können, berücksichtigt die Regierung in ihren Maßnahmen nur wenig. Nehmen wir beispielsweise die Einmalzahlung, die Arbeitslose unlängst erhalten haben. 50 Prozent der Arbeitslosen müssen mit 930 Euro pro Monat auskommen – wenn die nun ein- oder zweimal eine Zahlung bekommen, werden sie sich davon nicht gleich einen neuen Kühlschrank kaufen. Es wäre also wirtschaftlich viel schlauer, Menschen in den unteren Einkommensschichten stärker zu unterstützen, weil dadurch viel mehr in den Wirtschaftskreislauf zurückfließt.
KOMPETENZ: Und auf Seite der ArbeitnehmerInnen?
Anna Hehenberger: Wenn man sich ansieht, wer die Hilfen bezahlt: Der Großteil der Steuereinnahmen kommt von Steuern auf Arbeit und Konsum und mit diesem Steuergeld wird sehr stark Unternehmen geholfen. Unternehmenseigentum haben aber die wenigsten Menschen. Das heißt, es wird sehr viel öffentliches Geld in Unternehmen gepumpt, die eher im Eigentum von reicheren Menschen sind, und gleichzeitig sind aber die Steuereinnahmen von Unternehmensgewinnen – zum Beispiel Körperschaftssteuer oder auf Einnahmen aus Vermögen – extrem gering. Hierzulande ist das Vermögen extrem ungleich verteilt, ein Prozent besitzt in etwa 39 Prozent des Vermögens – hier müssen wir ansetzen, denn gerade die Vermögenden können einen größeren Beitrag zur Finanzierung der Krisenkosten leisten!
KOMPETENZ: Warum macht die Regierung das Gegenteil?
„Das Interesse ist, die Privatwirtschaft, so wie sie jetzt ist, zu stützen, anstatt wirklich alle Menschen gut durch die Krise zu bringen.“
Anna Hehenberger
Anna Hehenberger: Da die Wirtschaft für die Regierung vor allem aus Unternehmen besteht, sind sie der Meinung, dass hauptsächlich Unternehmen Arbeitsplätze schaffen können und müssen. Aber gerade die relevanten Berufe, die uns durch die Krise getragen haben, das Krankenhaus-Personal, LehrerInnen, PädagogInnen und so weiter, sind nicht von Unternehmen organisiert, sondern staatlich, also von uns allen. Die Regierung zielt mit ihren Maßnahmen oft an stark Betroffenen vorbei, wenn sie diese Bereiche außen vor lässt. Das Interesse ist, die Privatwirtschaft, so wie sie jetzt ist, zu stützen, anstatt wirklich alle Menschen gut durch die Krise zu bringen und mutige Impulse für ein soziales und ökologisches Wirtschaften in der Zukunft zu setzen.
KOMPETENZ: Insgesamt profitieren laut einer Studie des Momentum Instituts von Anfang März Frauen mit einem Anteil von 42 Prozent viel weniger von den Corona-Hilfen als Männer. Warum ist das so?
Anna Hehenberger: Man sollte sich zunächst anschauen, wie es Frauen in dieser Krise überhaupt geht. Frauen sind in vielerlei Hinsicht viel stärker betroffen als Männer. Frauen haben ihre Arbeitszeit im ersten und den darauffolgenden Lockdowns und der damit verbundenen Schließungen von Kinderbetreuungseinrichtungen anteilsmäßig viel stärker reduziert. Auch, weil sie nach wie vor die Hauptverantwortung für die Kinderbetreuung tragen. Daraus ergeben sich unter anderem schlechtere Karrierechancen, deutliche Einkommenseinbußen und insgesamt ein niedrigeres Lebenseinkommen – das ist besonders problematisch, denn schon jetzt landen Frauen viel häufiger in Altersarmut als Männer. Laut einer SORA-Umfrage im Auftrag des Momentum Instituts geben vermehrt Frauen an, dass die Situation seit dem ersten Lockdown für sie sehr belastend ist. Mit dem zweiten Lockdown ist diese Belastung noch einmal deutlich gestiegen. Eine Studie der Donau Uni Krems zeigt, dass Frauen auch psychisch sehr viel stärker unter der derzeitigen Situation leiden, an Depressionen, Angststörungen und Panikattacken.
Und das geht nicht nur arbeitenden Müttern so, sondern Frauen im Allgemeinen: sie arbeiten in jenen Branchen, die von der Pandemie am stärksten betroffen sind, in der Gastronomie, im Handel. Gleichzeitig arbeiten Frauen viel häufiger in Branchen, die systemrelevant – und damit dem Virus viel stärker ausgesetzt – sind. Beispielsweise die Bereiche Pflege, Gesundheit und Bildung. Es ist also so, dass uns Frauen seit März durch die Krise tragen – sie sorgen sich um unsere Alten, um unsere Jungen, um unsere Kranken, verkaufen uns Lebensmittel im Supermarkt und teilen in den Apotheken die Tests aus – und trotzdem erhalten sie nur 42 Prozent der Corona-Hilfen!
KOMPETENZ: Können Sie ein Beispiel geben, wie es dazu kommt?
Anna Hehenberger: Nehmen wir die Kurzarbeit. Frauen stellten 2020 rund 44 Prozent der KurzarbeiterInnen. Dennoch erhalten sie nur 40 Prozent der Kurzarbeitsgelder. Das liegt daran, dass die Kurzarbeitsbezüge nach dem Vorkrisenniveau ausbezahlt werden – und da Frauen in Österreich rund 36 Prozent weniger verdienen als Männer, schlägt sich das auch im KurzarbeiterInnengeld nieder.
KOMPETENZ: Das heißt, die Art und Weise, wie Corona-Hilfen vergeben werden, reproduziert jene Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern, die ohnehin schon bestehen?
Anna Hehenberger: Ja, die Gefahr dafür ist groß. Und sie ergibt sich dadurch, dass Frauen insgesamt viel weniger verdienen und in gesellschaftlich relevanten, aber völlig unterbezahlten Branchen arbeiten. Um das zu ändern, müssen bei der Vergabe von Hilfen Frauen, ihre Beschäftigungsarten und Lebensrealitäten viel stärker mitgedacht werden. Sie stellen die Hälfte der Bevölkerung, sie sind stärker von der Corona-Krise betroffen, sie tragen stärker zu ihrer Bewältigung bei und erhalten trotzdem nur 42 Prozent der Gelder. Das ist eine deutliche Schieflage!
Zur Person:
Anna Hehenberger, 26, studierte Politische Ökonomie an der Kingston University in London und arbeitet als Ökonomin am Momentum Institut.