Die Arbeitsbedingungen in Kindergärten sind für die Beschäftigten
nicht mehr zumutbar. Diesen Herbst gingen nun tausende Betroffene auf die Straße.
Es ist ein unerträgliches Maß erreicht“, sagt Stephanie Veigl. Sie ist in der GPA für die Beschäftigten in Kindergärten zuständig. PädagogInnen, AssistentInnen und BetreuerInnen würden seit Jahren auf ihre unzumutbaren Arbeitsbedingungen hinweisen. Doch es passiere nichts. Die Coronakrise habe den Druck auf die österreichweit rund 63.000 Beschäftigten – 73 Prozent von ihnen arbeiten für private Träger, 27 Prozent in Einrichtungen der öffentlichen Hand – noch weiter erhöht. Wenn man mit PädagogInnen und AssistentInnen spricht, weiß man auch warum: einerseits muss mehr auf Hygiene geachtet werden, es sind Türklinken, Tischflächen, Toiletten noch öfter als sonst zu desinfizieren. Andererseits werden die Kinder nun bereits an der Türe entgegengenommen. Nun ziehen nicht mehr die Eltern ihre Kinder beim Bringen und Abholen an und aus, auch das muss nun vom Personal der Kindergärten und -gruppen übernommen werden. Mehr Beschäftigte gibt es aber nicht, im Gegenteil.
„Wir wollen endlich die 1,2 Milliarden Euro sehen, die vor 4 Jahren schon paktiert waren.“
Barbara Teiber
Der Druck ergibt sich nämlich nicht nur durch zusätzliche Arbeit. MitarbeiterInnen fehlen an allen Ecken und Enden und jene, die in der Gruppe stehen, möchten eigentlich pädagogische Arbeit leisten. De facto schaffen sie es aber gerade einmal, die Kinder zu betreuen und dafür zu sorgen, dass sich niemand verletzt. GPA-Vorsitzende Barbara Teiber ist es daher auch wichtig, darauf hinzuweisen: „Ein Kindergarten ist eine Bildungseinrichtung und keine Betreuungseinrichtung.“ Viel zu oft müssten Beschäftigte in Kindergärten hören, „ihr spielt ja nur den ganzen Tag“. Dem sei aber nicht so.
Damit in den Kindergärten aber auch pädagogisch gearbeitet werden kann, braucht es mehr Personal und insgesamt bessere Rahmenbedingungen, wie Veigl betont. Zentral sind da die Gruppengröße und der Erwachsenen-Kind-Schlüssel. Die GPA tritt dafür ein, dass künftig in eine Kindergartengruppe nur mehr 18 bis 20 Mädchen und Buben gehen. Bei unter Dreijährigen sollten es überhaupt nur acht bis zehn Kinder sein.
Kinder würden hier die bestmögliche Förderung verdienen – und die Eltern müssten sich auf eine gute Betreuung verlassen können, sagt Veigl. Gleichzeitig müssen aber eben auch die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten passen. Lange haben sie gezögert, ihre Arbeit niederzulegen und darauf lautstark hinzuweisen. Diesen Herbst aber schlossen PädagogInnen, AssistenInnen und BetreuerInnen sowohl der privaten als auch öffentlicher Kinderbildungseinrichtungen die Gruppen und gingen auf die Straße. Einmal laut zu sein, war das Ziel, und dieses wurde erreicht. „Es war wichtig, dass einmal im öffentlichen Raum sichtbar gemacht wurde, welche Missstände es da gibt“, so Veigl.
„Ich kann gar nicht so schlecht arbeiten, wie ich bezahlt werde“, hatte eine Protesteilnehmerin in Plakatform mitgebracht. Hier gilt es auf alle Fälle anzusetzen, betont auch Veigl. Die Bezahlung müsse nicht nur besser, sondern österreichweit einheitlich werden. Derzeit gibt es diesbezüglich einen Fleckerlteppich zwischen Bundesländern und Trägern. Das ist auch in Bezug auf die Rahmenbedingungen so, etwa die Gruppengrößen, der Erwachsenen-Kind-Schlüssel oder die Abgeltung von Vorbereitungszeit. Ein Bundesrahmengesetz und ein einheitlicher Kollektivvertrag wären hier Lösungsansätze. Zur Anwendung kommen könnte etwa der bereits existierende Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft, der aber noch nicht von allen Trägern angewandt werde.
Insgesamt braucht es mehr Mittel der öffentlichen Hand für die Elementarpädagogik. „Wir wollen endlich die 1,2 Milliarden sehen, die vor 4 Jahren schon paktiert waren“, fordert die GPA-Vorsitzende Barbara Teiber. Die damalige SPÖ-ÖVP-Regierung hatte 2016 unter Kanzler Christian Kern und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem ersten Geburtstag für jedes Kind und mehr finanzielle Mittel für den Ausbau des Bereichs Elementarpädagogik geplant. Kein Wunder, dass nicht nur die Beschäftigten, sondern auch viele Eltern empört reagierten als im Zuge der Chat-Affäre bekannt wurde, dass Sebastian Kurz das hintertrieben hatte. Und warum? Er gönnte dem SPÖ-Kanzler diesen inhaltlichen Erfolg nicht. Politik also auf dem Rücken von Millionen Kindern, Eltern und Beschäftigten.
„Ich arbeite in einer Gruppe mit derzeit elf Kindern von einem bis drei Jahren. Es gibt eine Pädagogin und zwei Betreuerinnen. Manche Kinder können noch nicht gehen, fast alle müssen noch gewickelt werden. Wenn wir in den Garten gehen, stehe ich teilweise mit zwei Kinderwägen an der Rutsche oder Schaukel, um zu sichern. In diesem Alter braucht jedes Kind Hilfe. Mindestens eine Betreuerin ist dann immer mit einem Kind drinnen, um es zu wickeln oder umzuziehen. Das ist auch im Gruppenraum so – eigentlich wollen wir pädagogische Arbeit leisten, aber das ist meistens nicht möglich. An manchen Tagen ist man einfach nur froh, wenn man die Kinder wieder heil an ihre Eltern übergibt. Und gleichzeitig schieben einige Eltern immer mehr an Verantwortung an uns ab. Ein Beispiel: Eine Mutter gibt das Kind mit Schnuller in der Gruppe ab und sagt, nehmt ihm den Schnuller weg. Das sind aber Dinge, die zu Hause passieren müssen.“
Jasmin Berger, 37, Kinderbetreuerin in einer Kinderkrippe in der Steiermark
„In der Kita arbeiten wir mit ein- bis dreijährigen Kindern. Theorie und Praxis zeigen, wie wichtig es ist, mit jungen Kindern bedürfnisorientiert zu arbeiten. Einst war die Kita eine Aufbewahrungsanstalt, nun ist beziehungsweise soll sie ein Ort der Bildung, Entwicklung und des Wachsens sein. Der aktuelle Betreuungsschlüssel und die Gruppengrößen ermöglichen es uns aber nicht, den Kindern gerecht zu werden. Eine Herausforderung bedeutet auch die gesellschaftliche Veränderung. Kulturen treffen aufeinander, wodurch viele Kinder die deutsche Sprache nicht kennen und uns kaum verstehen können. Andere benötigen aufgrund von Beeinträchtigungen oder Entwicklungsverzögerungen erhöhte Aufmerksamkeit. Ohne ärztliche Diagnose bekommt man kein zusätzliches Personal und unter drei Jahren wird selten eine solche Diagnose gestellt. Wir müssen immer mehr bewältigen, ohne dass die Rahmenbedingungen – der Betreuungsschlüssel, die Gruppengröße oder die Bezahlung – verändert werden. Gleichzeitig müssen wir aber zu 100 Prozent belastbar sein. Unter dreijährige Kinder benötigen sehr viel Nähe und verstehen noch nicht, was es bedeutet kurz zu warten. ‚Wenn ich dich brauche, dann sofort!’ und dabei kommen mindestens fünf Kinder auf eine Person zugleich.“
Sabrina Brandauer, 25, Elementarpädagogin und Leiterin einer Kindertagesstätte in Kärnten
„Wir haben ein Strukturproblem. Es fehlt an Personal und gleichzeitig sind zu viele Kinder in den Gruppen. Wenn KollegInnen krank werden, muss man immer kompensieren, es gibt kaum SpringerInnen. Dann steht man nicht selten alleine in der Gruppe. Ich habe mir dann immer den Platz im Gruppenraum gesucht, von dem aus ich alles überblicken kann. Gleichzeitig ist man nervös und hofft, dass jetzt kein Kind Hilfe beim Toilettengang braucht. Man kann ja dann die anderen Kinder nicht alleine lassen. Das ist eine absolute Stresssituation. Man möchte eigentlich Zeit haben für die Kinder, möchte zum Beispiel ein Buch vorlesen. Aber man ist nur hin- und hergerissen. Viele KollegInnen können daher nach einigen Jahren nicht mehr. Sie sind überfordert und völlig ausgebrannt.“
Bianca Schatz, 45, mehr als zehn Jahre Assistentin in einem Kindergarten in Oberösterreich,
heute Betriebsrätin
„Unser Haus ist klein, wir haben nur eine Krabbelstube mit zwölf Kindern. Wir sind insgesamt drei Personen, für meine Leitungstätigkeit stehen mir offiziell zwei Stunden in der Woche zur Verfügung. Das reicht natürlich nicht, ich nehme mir oft Arbeit mit nach Hause. Ich arbeite Vollzeit, die zwei Helferinnen je 25 Stunden, wobei derzeit eine Helferin mit fünf Stunden mehr zur Pädagogin aufgestuft wurde. Die Gruppe ist aber von 6.30 Uhr bis 16.30 Uhr geöffnet, Freitag von 6.30 Uhr bis 15.00 Uhr. Um diese Zeiten abzudecken, ist vor allem zu den Randzeiten oft nur eine Person in der Gruppe. Wir brauchen grundsätzlich mehr Personal. Und gleichzeitig sehe ich auch als Leiterin den eklatanten Personalmangel. Viele steigen nach der Ausbildung in der BAFEP nicht mehr in den Beruf ein. Sie sehen, dass der Betreuungsschlüssel nicht passt, dass man immer mehr Kinder bekommt, das Gehalt nicht stimmt. Für uns bedeutet das, dass wir uns oft drei Mal überlegen, ob wir zum Beispiel mit den Kindern in den Garten gehen und sie in der Sandkiste gatschen und matschen lassen. Die Kinder lieben das und sie brauchen es, aber wenn man nur zu zweit ist, fehlen helfende Hände.“
Christina Bruckbauer, 31, Elementarpädagogin und Krabbelstubenleiterin in Oberösterreich