Lehrlinge kamen während der Pandemie leider oft zu kurz. Umso wichtiger ist es, dass sich ein Jugendvertrauensrat in einem verantwortungsbewussten Betrieb um sie annimmt und ihre Interessen wahrt. Leon Hartl hat das im Alleingang geschafft.
Als Leon Hartl vor eineinhalb Jahren kandidierte, gab es bei der Wiener Städtischen Versicherung in Oberösterreich keinen Jugendvertrauensrat (JVR). Er ergriff die Chance, um sich für die Anliegen seiner KollegInnen stark zu machen. „Im Betrieb sollten junge Menschen die anderen Jugendlichen vertreten. Sie können deren Probleme einfach viel besser verstehen als jemand, der schon seit dreißig Jahren im Unternehmen ist.“ Hartl will bei Konflikten und Diskussionen, sei es im Betrieb, sei es in der Berufsschule, den Lehrlingen eine Stimme geben. „Es braucht einfach jemanden, der an der Lebensrealität eines Sechszehn- oder Zwanzigjährigen nah dran ist.“ Noch dazu, wenn in Pandemiezeiten die Jugendlichen zusätzlich mit Homeoffice, Distance Learning und fehlenden Freizeitmöglichkeiten zurecht kommen müssen oder unter psychischen Problemen leiden.
„Es braucht einfach jemanden, der an der Lebensrealität eines Sechszehn- oder Zwanzigjährigen nah dran ist.“
Leon Hartl
Seit November 2020 vertritt Hartl nun knapp vierzig Lehrlinge. Die Aufgaben des Jugendvertrauensrates managt er außerdem in seinem oberösterreichischen Bereich zurzeit im Alleingang. Nachdem er mit seiner Initiative einen JVR zu gründen so erfolgreich war, plant er aber, bei den nächsten Wahlen im Herbst Lehrlinge, die sich ebenfalls engagieren wollen, ins Boot zu holen und gemeinsam ein Team aufzubauen. „Drei oder vier Mitglieder sollte der Jugendvertrauensrat in unserem Betrieb schon haben“, findet Hartl.
Seit seiner Kandidatur zum JVR fühlt er sich vom Betriebsrat seines Unternehmens bestens unterstützt. Der Betriebsrat war es auch, der ihn in Kontakt mit der GPA brachte. „Die Zusammenarbeit hat von Anfang an ausgezeichnet funktioniert, das brachte dann vieles ins Rollen, und nun kandidiere ich zum Landesvorsitzenden der GPA Jugend in Oberösterreich“, freut sich Hartl.
Ausbildung im Betrieb
Hartls Lehre als Versicherungskaufmann dauert drei Jahre und er steht knapp vor dem Abschluss: Den ersten Teil der Lehrabschlussprüfung hat er schon abgelegt, der zweite, mündliche Teil steht Ende März bevor. Seinen Arbeitsalltag findet er sehr facettenreich: Er ist im Bereich Außendienst tätig, in einer Geschäftsstelle mit viel Kundenkontakt, und erledigt, obwohl noch Lehrling, längst einen guten Teil der organisatorischen Arbeit eigenständig.
Hartl fühlt sich im Ausbildungssystem bei der Wiener Städtischen bestens betreut: Lehrlinge verbringen dort ein bis zweimal im Jahr Zeit in der Landesdirektion, um alle Abteilungen und vor allem auch alle KollegInnen persönlich kennenzulernen. Aufgrund der Pandemie konnten diese Aufenthalte in den letzten beiden Jahren nicht immer stattfinden, als Jugendvertrauensrat ist es ihm daher ein Anliegen, dieses System wieder auf Schiene zu bringen.
Gutes Betriebsklima
Im Zuge der Pandemie ist einiges in den Hintergrund getreten, was Hartl jetzt wieder stärker forcieren möchte. Das betrifft z.B. auch die Vorbereitungskurse für die Lehrabschlussprüfung, die das Unternehmen vor Corona regelmäßig angeboten hatte. „Die Geschäftsführung ist da auf meiner Seite und unterstützt mich bei diesem Anliegen“, berichtet Hartl.
Seitens der Geschäftsführung bemerkt er viel positives Entgegenkommen, was sein Engagement für die Lehrlinge betrifft. „Die Geschäftsführung war von Anfang an sehr aufgeschlossen, hat meine Initiative gefördert und meine Kandidatur begrüßt.“ Hartl streicht hervor, dass sein Arbeitgeber generell den Lehrlingen einen wichtigen Platz im Betrieb einräumt.
Während der Pandemie im Alleingang einen Jugendvertrauensrat zu gründen war trotzdem nicht durchwegs einfach. Alle persönlichen Kontakte litten stark unter den Einschränkungen, bei Konflikten war es schwierig, nur per Telefon oder Zoom-Meeting vermitteln zu können. Jetzt, wo endlich wieder Möglichkeiten zum realen Miteinander offenstehen, plant Hartl etliche Initiativen: „Ein Lehrlingsessen zum Beispiel und ein gemeinsamer Lehrlingstag wären super fürs Teambuilding.“
Berufsschule
Während der letzten beiden Jahre fühlten sich die Lehrlinge im Unternehmen gut betreut. „Wir wurden rasch fürs Homeoffice ausgestattet und mussten nicht oft ins Büro, wenn die Ansteckungsgefahr hoch war. Dazu kamen auch nur positive Rückmeldungen von den anderen Lehrlingen“, berichtet Hartl von den Monaten der Pandemie. „Die Wiener Städtische war immer gut vorbereitet und sehr vorsichtig. Der Betrieb in den Geschäftsstellen wurde eingeschränkt, entsprechend gab es auch selten Corona-Fälle.“
„Wir wurden rasch fürs Homeoffice ausgestattet und mussten nicht oft ins Büro, wenn die Ansteckungsgefahr hoch war. Dazu kamen auch nur positive Rückmeldungen von den anderen Lehrlingen.“
Leon Hartl
Nicht so gut funktionierte es in der Berufsschule: „Die Regeln dort wurden oft kurzfristig geändert, man wusste von einer Woche zur nächsten oft nicht, ob man Schule hatte oder Distance Learning.“
Generell nimmt er bei den Lehrlingen der Wiener Städtischen in Oberösterreich die Probleme nicht so sehr im Betrieb wahr, als vielmehr in der Berufsschule. Entsprechend sieht er es als seine Aufgabe an, ein Bindeglied zwischen Betrieb und Schule zu sein.
Einen massiven Konflikt gab es in der Berufsschule vor allem mit einem Lehrer, mit dem es ohnehin schon länger Probleme gab. Viele Lehrlinge litten wegen ihm unter Schulangst. Der Lehrer äußerte sich noch dazu rassistisch gegenüber MitschülerInnen. Hartl organisierte daraufhin gemeinsam mit anderen Lehrlingen Unterschriftenlisten, und erreichte in Zusammenarbeit mit dem Landesschulvertreter der oberösterreichischen Berufsschulen und der Bildungsdirektion ein Disziplinarverfahren gegen diesen rassistisch eingestellten Lehrer. „Wir haben unser Ziel erreicht, der Lehrer musste sein Verhalten ändern,“ berichtet Hartl von seinem Erfolg. Allerdings versuchte dieser Lehrer daraufhin, sich an Hartl persönlich zu rächen und benotete ihn im Jahreszeugnis mit Nicht Genügend. Erst ein Noteneinspruch bei der Bildungsdirektion bewirkte, dass die Note revidiert wurde und er bestand.
Gewerkschaftliche Themen
Da es im Betrieb selbst überwiegend gut läuft, bleibt Hartl mehr Zeit und Energie um auch gewerkschaftliche Themen unter die Lehrlinge zu bringen. Seine KollegInnen sind dafür durchaus aufgeschlossen. „Die meisten Lehrlinge interessieren sich für das Angebot der Gewerkschaft, und wenn man da als Jugendvertrauensrat auf sie zugeht, kann man viel erreichen. Motivation, Ideen, neue Ziele – wir brauchen junge Leute im Betrieb, die etwas bewegen wollen!“
Leon Hartl wird demnächst 22, die Altersgrenze für den Jugendvertrauensrat liegt bei 23. Und danach? Hartl könnte sich gut vorstellen, als Betriebsrat weiterzumachen. Im Unternehmen bleiben will er, wenn alles weiterhin so gut läuft wie jetzt, ohnehin. Aber bis dahin hat er noch viele Ideen, die er für die Lehrlinge umsetzen will. Auch bei der Gewerkschaft GPA will er sich verstärkt einbringen. „Ich betrachte unsere Leitanträge bei den Landeskonferenzen wirklich als einen Leitfaden für meine Arbeit im Betrieb“, betont Hartl. Ganz wichtige Anliegen sind ihm Themen wie die psychische Gesundheit der Jugendlichen, die unter der Pandemie stark gelitten haben, oder aber auch die technische Ausstattung in den Berufsschulen, die, ebenfalls durch Corona, verstärkt in die Kritik geraten ist.
„Die meisten Lehrlinge interessieren sich für das Angebot der Gewerkschaft, und wenn man da als Jugendvertrauensrat auf sie zugeht, kann man viel erreichen.“
Leon Hartl
Lehre mit Matura
Ein großes Ziel, für das er sich gemeinsam mit der Gewerkschaft GPA derzeit einsetzt, ist die Aufwertung der Lehre. „Wir fordern, dass sowohl die Kurszeiten, als auch die Prüfungsvorbereitungszeit als Arbeitszeit anrechenbar sein sollen.“ Die Lehre mit Matura sieht Hartl als eine enorme Chance für junge Menschen. „Viele Jugendliche stehen vor der Entscheidung, ob sie die Matura und danach ein Studium absolvieren sollen, oder lieber früh einen Beruf erlernen und dabei auch Geld verdienen wollen. Die Lehre mit Matura ist der ideale Weg, beides zu kombinieren“, erklärt Hartl, warum er das Modell so attraktiv findet. Er ist sich bewusst, dass die Vorbereitungskurse für die Matura natürlich viel Zeit in Anspruch nehmen. „Daher eben die Forderung, dass Betriebe die Maturakurse und die Vorbereitung auf die Prüfungen während der Arbeitszeit ermöglichen, und so die Lehrlinge aktiv unterstützen.“
Eine weitere Forderung betrifft die Zulassung zum Studium. In vielen Branchen würde sich nach dem Abschluss der Lehre eine akademische Weiterbildung anbieten, so auch im Versicherungsbereich: „Ein Versicherungskaufmann bzw. eine Versicherungskauffrau kann nach der Lehre an die Uni gehen und Versicherungskaufmann/-frau als Studienfach wählen. Und hier setzen wir uns sehr dafür ein, dass dies ohne zusätzliche Prüfung möglich sein soll. Die Lehrabschlussprüfung soll zugleich als Studienberechtigungsprüfung gelten!“
In diesem Zusammenhang betont Hartl auch, wie drängend die Forderung der Gewerkschaften ist, den Berufsschulen endlich höhere Priorität einzuräumen: „Gerade während Corona wurde deutlich, in welchem Ausmaß die Berufsschulen vernachlässigt werden“, kritisiert er den Umgang der Politik mit den berufsbildenden Schulen.
Um für die Umsetzung dieser Forderungen besser arbeiten zu können, hat er sich als sein nächstes politisches Projekt die Kandidatur für den Landesvorsitz der GPA Jugend Oberösterreich vorgenommen. „Gewerkschaftliche Arbeit ist immer Dienst an der Gemeinschaft“, erklärt Hartl seine Motivation. „In der Gewerkschaft handeln wir als Kollektiv. Wir sind viele, jeder kann etwas beitragen, jeder von uns kann etwas bewegen!“
Zur Person:
Wenn ihm neben seinem gewerkschaftlichen Engagement, das natürlich auch einen guten Teil seiner Freizeit beansprucht, noch Zeit bleibt, trainiert Leon Hartl Eishockey. Er hat früher mit den Black Wings Linz gespielt, jetzt ist er in der Landesliga für die Linzer Oldies. Er freut sich auf mehr Freizeit nach der Lehrabschlussprüfung, die er dann endlich wieder mit Freunden oder Reisen verbringen möchte. Seine gewerkschaftlichen Aktivitäten am Wochenende sieht er aber nicht als Arbeit im engeren Sinne: „Mir macht das einfach Spaß, ich treffe dort großartige Leute, das ist für mich nicht Arbeit!“