Reichlich Maßarbeit, schlechte Bezahlung. Die ArbeitnehmerInnen in der Sozialwirtschaft haben zwar ein gutes Image, doch niemand will sie adäquat entlohnen.
Ende November starteten die Kollektivvertragsverhandlungen in der Sozialwirtschaft. Verhandelt wird für rund 100.000 Beschäftigte in ganz Österreich, die u. a. in der mobilen Kranken-, Behinderten- oder Flüchtlingsbetreuung tätig sind. Die Arbeitsbedingungen sind ernst: „Unsere MitarbeiterInnen haben sich faire Löhne und einen planbaren und familienfreundlicheren Dienstplan verdient“, macht Beatrix Eiletz deutlich. Die Betriebsratsvorsitzende der Volkshilfe Steiermark kennt die teils sehr harten beruflichen Herausforderungen. Eiletz stammt aus Radochen nahe Bad Radkersburg, fing 1991 im mobilen Dienst der Volkshilfe an und wirkt bereits seit 20 Jahren als Betriebsrätin – derzeit für etwa 3.000 Beschäftigte. Besonders besorgniserregend ist die Situation im Bereich der mobilen Krankenpflege: Zwar gibt es reichlich zu tun, aber kaum Vollzeitstellen mit einem halbwegs ansprechenden Gehalt.
Der weitaus überwiegende Teil arbeitet in Teilzeit. In den Pflegeheimen war es früher unmöglich, einen Teilzeitjob zu bekommen, jetzt ist es fast unmöglich, einen Vollzeitjob zu bekommen. Betriebsratsvorsitzende Eiletz: „Wir sind zwar flexibel, doch zumeist nützt das nur den Arbeitgebern.“
Nicht die Arbeitgeber, sondern die ArbeitnehmerInnen müssen das Risiko tragen. Denn ist die Auftragslage schlecht, werden auch den Teilzeit-Beschäftigten Stunden gekürzt – ist sie positiv, werden Mehr- oder Überstunden vorausgesetzt. Trotz 30-Stunden-Vertrags wird nicht selten 38 Stunden oder mehr gearbeitet. Neben der Steiermark ist auch die Lage in Oberösterreich prekär: „Burn-out ist wieder im Kommen“, weiß Günther Hagenauer. Er ist Volkshilfe-Sozialbetreuer und stellvertretender Betriebsratsvorsitzender. In den vergangenen Jahren gab es viele Aufklärungs- und Vorsorgemaßnahmen wie etwa Supervisionen, doch die öffentliche Hand kürzt das Budget und erwartet gleichzeitig höhere Leistung.
An den Schwächsten sparen
Massive Einsparungen gibt es in der Flüchtlingsbetreuung, der Personalabbau ist schon im Gange. Hagenauer: „Im Vorjahr hatten wir 400 Beschäftigte, heuer sind es nur noch 300 und es geht munter so weiter.“ Gleiches gilt im Behindertenbereich, wo bereits seit 2015 eingespart wird. Bis 2021 läuft ein finanzieller Abbau bei zeitgleicher Erhöhung des Angebots: „Das sind eigentlich doppelte Einsparungen“, ärgert sich der Volkshilfe-Betriebsrat.
Auch die Kürzungen beim Arbeitsmarktservice schlagen sich nun im Arbeitslosenbereich nieder – Kurse und Betreuungsmaßnahmen auf Sparflamme. Wiederum verkauft als Effizienzsteigerung, die ein Mehr an Leistung schafft. Dabei steigen bloß Druck und Arbeitsverdichtung. „Die derzeitige Regierung hat ein neoliberales Programm, das den Sozialstaat, in der Form wie wir ihn kennen, nicht mehr vorsieht. Und die Dienstgeber lassen sich die Kürzungen auch noch gefallen“, erklärt Hagenauer.
Während die Intensität der Arbeit steigt, verringert sich allerdings jene Betreuung, die „nicht direkt am Kunden“ erfolgt. Heißt, was den MitarbeiterInnen nutzt und hilft, wird gekürzt: etwa geführte Team-Besprechungen oder Supervisionen. Krankenstands-Ausfälle werden eingearbeitet: „Drei müssen dann die Arbeit von vier MitarbeiterInnen übernehmen.“ Extrem verdichtet hat sich auch die Arbeitszeit –auch hier sind die mobilen Dienste ein Beispiel für die schwierige Lage der Beschäftigten.
Pflegen am Fließband
„Früher bekamen die Leute morgens einen Zettel mit dem Auftrag ausgehändigt“, erinnert sich Günther Hagenauer. Pro PatientIn wurde eine halbe Stunde plus An- und Abreisezeit eingeplant. Damals mussten zehn PatientInnen in fünf Stunden gepflegt werden, heute sind es oftmals 15 betagte und kranke Menschen. „Jetzt müssen die MitarbeiterInnen alle 15 Minuten aufs Handy schauen, ob sich etwas am Einsatzplan geändert hat.“ Somit ist auf die Minute genau vorgeschrieben, wo der/die Beschäftigte sich gerade aufzuhalten hat – das gilt für die Hausbesuche bei KlientInnen wie die Wegzeiten.
Vormittags- und Abenddienste am gleichen Tag – die gesamte Arbeit ist „durchgetaktet“. Wer das Zeitpensum nicht bewältigt, muss sich dafür rechtfertigen: egal ob für den Stau oder den einige Minuten längeren Plausch mit Kranken und Alten. Das erzeugt Stress bei den MitarbeiterInnen der oberösterreichischen wie steirischen Volkshilfe. „Die Beschäftigten müssen ständig schauen, dass sie die Betreuungszeit nicht überschreiten“, weiß Betriebsratsvorsitzende Beatrix Eiletz.
Glück und Leid hoher Lebenserwartung
Zunehmend intensiver gestaltet sich mittlerweile die Betreuung der Älteren. Mit der steigenden Lebenserwartung wächst auch die Gruppe der pflegebedürftigen SeniorInnen, die körperlich gut bei Kräften sind, aber an Demenz leiden. Teils aggressives Verhalten erschwert den Einsatz der Pflegekräfte erheblich. Doch die dünne Personaldecke und der ständige Zeitdruck bedingen, dass sich MitarbeiterInnen nicht einfach auf den Dienstplan verlassen können. Freizeit ist unter diesen Bedingungen kaum noch planbar – auch deshalb sind ältere MitarbeiterInnen zusehends überlastet. Beatrix Eiletz: „Ab einem Alter von 40 Jahren sagen viele, sie können die Arbeit nicht mehr schaffen, und es gibt genug 50-jährige MitarbeiterInnen, die bereits mit Gesundheitsproblemen kämpfen.“
Die steirische Betriebsratsvorsitzende schätzt die 35-Stunden-Woche als „unbedingt notwendig“ ein. Neben der Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich ist es allerdings enorm wichtig, den Personalstand auch dementsprechend anzupassen. „Bei Ausfällen darf es nicht länger zu Überstundenorgien kommen“, zeigt sich Eiletz empört. Der gesamte Sozialbereich muss sich mit einer widersprüchlichen Situation auseinandersetzen. Und Sozialbetreuer Hagenauer gibt zu bedenken: „Oft hören die Beschäftigten, dass andere diesen schwierigen Job in der Behinderten- oder Altenbetreuung nicht machen wollen.“ Die Arbeit ist hoch angesehen. Andererseits ist die Gesellschaft nicht bereit, diese Schwerarbeit adäquat zu bezahlen. „Wir sind hoch spezialisierte Kräfte – das muss sich im Gehaltsschema widerspiegeln und in den Arbeitszeitmodellen niederschlagen“, erklärt Hagenauer. „Denn es ist einfach notwendig, diese Dienste auch in der entsprechend hohen Qualität zu liefern.“