Alles spricht für Arbeitszeitverkürzung

Der Soziologe Jörg Flecker wird auf der GPA-djp-Betriebsrätekonferenz am 15. Juni zum Thema „Die Bedeutung der Arbeitszeitpolitik in der Beschäftigungskrise“ referieren. © Robert Wittek
Der Soziologe Jörg Flecker wird auf der GPA-djp-Betriebsrätekonferenz am 15. Juni zum Thema „Die Bedeutung der Arbeitszeitpolitik in der Beschäftigungskrise“ referieren. © Robert Wittek

Universitätsprofessor Jörg Flecker sieht in einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit eine große Chance für den Arbeitsmarkt und plädiert für eine neue Arbeitszeitpolitik.

  

KOMPETENZ: Sie gehören zu den Verfechtern einer massiven Arbeitszeitverkürzung. Warum gerade jetzt diese Dringlichkeit?
Jörg Flecker: Mehrere gesellschaftliche Herausforderungen sind in der letzten Zeit dringlicher geworden. Das sieht man ganz deutlich an der Arbeitslosigkeit, die auch in Österreich kontinuierlich ansteigt und eine Rekordhöhe erreicht hat. Meist wird als Lösung nur Wirtschaftswachstum angeboten. Aber es ist völlig unrealistisch und unter ökologischen Gesichtspunkten wohl auch nicht wünschenswert, dass es in nächster Zeit ausreichende Wachstumsraten gibt, um die Arbeitslosigkeit zu vermindern. Andere Herausforderungen sind die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Aber es brauchtauch Zeit für die Weiterbildung, für politisches Engagement und vieles mehr, das alles spricht gerade heute für Arbeitszeitverkürzung. Schließlich wird – zu Recht oder zu Unrecht – immer wieder behauptet, wir müssen in Zukunft länger erwerbstätig bleiben. Das ist aber nur möglich, wenn wir lange genug gesund sind. Und da spielen Arbeitszeiten eine große Rolle, denn lange Arbeitszeiten und fehlende Erholungszeiten machen krank.

KOMPETENZ: Die Ablehnungsfront vonseiten der Arbeitgeber ist groß. Gibt es inhaltliche Argumente, die diese Front aufbrechen könnten?
Jörg Flecker: Es gibt Beispiele von Unternehmen und Organisationen, die auf eine 4-Tage- Woche oder den 6-Stunden- Tag umstellen, um die Zahl und Dauer der Krankenstände zu senken. Eine generelle Arbeitszeitverkürzung wäre auch für Arbeitgeber vorteilhaft, weil sie die Konkurrenz zwischen den Betrieben regelt, sodass diejenigen keine Nachteile haben, die besser auf die Gesundheit der Beschäftigten schauen und deshalb kürzer arbeiten lassen. Arbeitgeber haben in einer alternden Gesellschaft auch ein Interesse daran, qualifizierte Leute gesund in Arbeit zu halten. Es wäre ein Vorteil, wenn Einzelne von der Konkurrenz nicht davon abgehalten werden können, hier über die Arbeitszeit etwas erreichen zu wollen.

KOMPETENZ: Von den Gegnern der Arbeitszeitverkürzung wird immer wieder Frankreich ins Spiel gebracht, wo die gesetzliche Verkürzung angeblich nichts gebracht hätte.
Jörg Flecker: Die 35-Stunden- Woche hat in Frankreich einen deutlichen Beschäftigungseffekt gehabt, es wurden mehr als eine halbe Million Arbeitsplätze geschaffen. Das war aber weniger als erwartet. Durch die gleichzeitige Flexibilisierung wurde der Beschäftigungseffekt gedämpft. Zudem hat die nächste Regierung die Grenzen bei den erlaubten Überstunden deutlich erhöht. Das hat dann die tatsächliche Arbeitszeit wieder ansteigen lassen. Die konservative Regierung hat es aber nicht gewagt, das Gesetz über die 35-Stunden- Woche wieder abzuschaffen, weil es sehr populär ist. Dazu muss man wissen, dass in Frankreich Frauen mit Kindern viel häufiger in Vollzeit arbeiten als bei uns (ohne dass die Männer zu Hause mehr tun). Und da ist eine kürzere Vollzeit eine große Hilfe.

KOMPETENZ: Vor allem Männer machen viele Überstunden, während immer mehr Frauen Teilzeit arbeiten – ist die Arbeitszeitgestaltung nicht auch unter dem Aspekt der Gleichstellung ein zentraler Faktor?
Jörg Flecker: Schon fast die Hälfte der erwerbstätigen Frauen in Österreich arbeitet in Teilzeit. Diese bringt aber Nachteile mit sich. Insofern verlangt das Ziel der Gleichstellung eine Annäherung. Dafür wäre eine kurze Vollzeit für Männer und Frauen ein großer Fortschritt gegenüber der jetzigen Situation. Ein Punkt dabei ist die Veränderung der Arbeitszeit selbst. Zum anderen ist es für Einkommen, Aufstiegsmöglichkeiten und soziale Absicherung ein großer Unterschied, ob z. B. 32 Stunden eine individuelle Teilzeitlösung oder eine generelle Vollzeitnorm für alle sind.

KOMPETENZ: Wir beobachten den Trend, dass auch junge Beschäftigte mehr Freizeit zu haben als großen Wert betrachten. Liegt darin nicht auch eine Chance?
Jörg Flecker: Ja, es liegt eine große Chance für die Ziele der Gewerkschaften darin, dass junge Leute heute vielfach viel Wert auf eine Balance von Erwerbsarbeit und anderen Lebensbereichen legen. Nur stellt sich die Frage, ob sie es sich aussuchen können. Sie wollen sich ja auch im Beruf verwirklichen und ihre Qualifikationen anwenden. Und in manchen Branchen bekommen sie nur eine Chance dazu, wenn sie lange oder gar sehr lange Arbeitszeiten in Kauf nehmen.

Jörg Flecker
Geb. 1959 in Graz, Studium der Handelswissenschaft und der Soziologie, postgraduate Ausbildung am Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien, von 1986 bis 1990 wissenschaftlicher Angestellter am IHS mit dem Schwerpunkt Arbeits- und Industriesoziologie. Von 1991 bis 2013 wissenschaftlicher Leiter der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA). Seit März 2013 Professor für Soziologie am Institut für Soziologie der Universität Wien. Jörg Flecker wird im Rahmen der GPA-djp- Betriebsrätekonferenz am 15. Juni 2015 ein Referat zum Thema „Die Bedeutung der Arbeitszeitpolitik in der Beschäftigungskrise“ halten.

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