Die unterschiedlichen Lohnniveaus in den europäischen Ländern führen zu sozialen Problemen bei grenzüberschreitender Beschäftigung. Sanktionen und Verwaltungsstrafen sind im Ausland schwer durchsetzbar. Die geplante Verlagerung der Beitragsprüfung zur Finanz verhindert, dass falsche Einstufungen nach oben korrigiert werden können.
Das Lohnniveau innerhalb der Europäischen Union ist höchst unterschiedlich. Die Statistikbehörde Eurostat veröffentlichte kürzlich einen Vergleich der Bruttogehälter in der EU. Demnach verdienten ArbeitnehmerInnen in Dänemark 2014 mit durchschnittlich 22,52 Euro brutto pro Stunde am besten. Knapp dahinter rangieren die Löhne in Irland, Schweden, Luxemburg, Belgien und Finnland. Österreich liegt im Mittelfeld, mit einem Bruttolohn von 14,02 Euro pro Stunde. Am niedrigsten waren die Gehälter mit 1,67 Euro in Bulgarien.
Diese deutlichen Unterschiede bestehen aufgrund unterschiedlicher Preisniveaus, nationaler Arbeits- und Sozialrechtsgesetze, Gewerkschaftsrechte sowie der Lohn- und Gehaltspolitik im jeweiligen Land. Sophia Reisecker aus der Abteilung Europa, Konzerne und internationale Beziehungen in der GPA-djp ist besorgt über diese Entwicklung: „Europa ist in zwei Klassen von Beschäftigten gespalten. Das bringt nicht nur den ArbeitnehmerInnen viele Nachteile, sondern führt auch zu einer Entsolidarisierung. Hier wäre eine mutige Politik auf europäischer Ebene gefordert, die sozialen Standards und die Löhne in Europa sukzessive nach oben zu bewegen.“
Gleicher Lohn am gleichen Ort
Um zu verhindern, dass Unternehmen sich durch die Gründung einer Briefkastenfirma oder durch die Beauftragung ausländischer Unternehmen, die mit Arbeitskräften vor Ort Aufträge übernehmen, Geld auf Kosten der ArbeitnehmerInnen ersparen, wurde 1996 die EU-Entsenderichtlinie geschaffen. Darin wurde das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ festgeschrieben. „Bei grenzüberschreitender Beschäftigung sollen die Arbeitsbedingungen sowie die kollektivvertraglichen Mindestlöhne des Landes gelten, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird“, erklärt Reisecker.
Wenn also bei einer Renovierung in Wien eine ungarische Firma beauftragt wird und diese ihre ArbeitnehmerInnen nach Österreich entsendet, müssen sie nach dem gültigen Kollektivvertrag bezahlt werden. Trotzdem sind viele ausländische ArbeitnehmerInnen zu niedrigeren Löhnen beschäftigt als ihre österreichischen KollegInnen. Denn nicht alle Entgeltbestandteile müssen bei entsendeten Arbeitskräften bezahlt werden – etwa Sonderzahlungen und Zulagen. Entsendungen bringen auch sozialversicherungsrechtliche Probleme mit sich: „Erst wenn ArbeitnehmerInnen länger als 24 Monate in einen anderen Staat entsandt werden, müssen sie von Beginn an bei der Sozialversicherung des Zielstaates angemeldet werden. Bei einer kürzeren Entsendung bleibt die Versicherungspflicht im Herkunftsland bestehen und eine doppelte Pflichtversicherung darf es EU-rechtlich nicht geben“, erklärt Reisecker. Da praktisch alle ArbeitnehmerInnen für einen kürzeren Zeitraum als 24 Monate entsandt werden, kann es tatsächlich zu einer Wettbewerbsverzerrung kommen. „Die Sozialversicherungsbeiträge sind in anderen Ländern oftmals geringer als in Österreich. Damit kostet einem Unternehmen ein entsandter Arbeitnehmer weniger als eine österreichische Beschäftigte“, so die Gewerkschafterin.
Sozialer Fortschritt gefragt
Notwendig sei daher auch eine inhaltliche Nachbesserung der EU-Entsenderichtlinie: „Dabei müssen – über das kollektivvertragliche Mindestgehalt hinaus – alle entgeltrelevanten Bestandteile miteinbezogen werden“, fordert Reisecker. Die Erfahrung zeige, dass unterbezahlte ArbeitnehmerInnen nur selten das ihnen zustehende Entgelt via Rechtsweg einklagen: „Daher muss bei der Behördenzusammenarbeit und der grenzüberschreitenden Durchsetzung von Verwaltungsstrafen angesetzt werden“, fordert Reisecker. In der Bauwirtschaft oder dem Transportgewerbe betreiben teilweise mehr als die Hälfte aller Entsendeunternehmen Lohndumping. Doch ausländische ArbeitgeberInnen können für Scheinentsendungen, Sozialbetrug oder undokumentierte Arbeit nur schwer finanziell zur Verantwortung gezogen werden.
Die Europäische Kommission hat auf die Problematik reagiert und kürzlich die Einrichtung einer Arbeitsbehörde angekündigt. Deren Zuständigkeiten und Aufgabenbereiche wurden jedoch noch nicht klar definiert. Deswegen sind die europäischen Gewerkschaften initiativ geworden und haben mit einer Online- Kampagne Vorschläge zur Ausgestaltung der Behörde an die Kommission übermittelt. Über 8.000 Menschen haben sich daran beteiligt. Gleichzeitig läuft die sogenannte „Pay-Rise-Kampagne“ des Europäischen Gewerkschaftsbundes unter dem Motto „Europa braucht Lohnerhöhungen!“. Der Hintergrund: Obwohl das Wachstum wieder anzieht und die Produktivität in Europa zunimmt, gehen die Gewinne meist an die AktionärInnen und EigentümerInnen, während bei den europäischen ArbeitnehmerInnen wenig ankommt, sie vielmehr nach jahrelanger Sparpolitik zunehmend in Bedrängnis geraten. 2015 lebten fast zehn Prozent der Beschäftigten in den 28 Mitgliedsstaaten an der Armutsgrenze.
Beitragsprüfung erhöht Ansprüche
Auch die aktuelle politische Situation in Österreich bereitet der GPA-djp Sorgen. Die türkis-blaue Regierung plant, die Beitragsprüfung von den Gebietskrankenkassen abzuziehen und den Finanzämtern zu übertragen. Der Leiter der Grundlagenabteilung in der GPA-djp, David Mum, sieht das skeptisch: „Die BeitragsprüferInnen prüfen nicht nur, ob bei jeder Bruttozahlung auch Sozialversicherungsabgaben geleistet wurden, sondern gleichzeitig auch, ob der/die ArbeitnehmerIn im richtigen Kollektivvertrag eingestuft ist.“ Oft würden durch die Beitragsprüfung Umstufungen veranlasst, die den ArbeitnehmerInnen mehr Gehalt und höhere Ansprüche in der Pensions- und der Arbeitslosenversicherung brächten. „Die Lohnsteuer und damit der Fokus der FinanzprüferInnen liegt auf dem Zuflussprinzip – also was ein Versicherter tatsächlich erhalten hat – unabhängig von seinem Anspruch. Werden die Ansprüche der Versicherten nicht überprüft führt dies zu Lohndumping“, ist Mum überzeugt.