Martin Risak vom Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Wien, im Interview
KOMPETENZ: Welche wesentlichen Unterschiede bestehen zwischen der sozialen Absicherung in Österreich durch Notstandshilfe und Mindestsicherung zum Modell Hartz IV in Deutschland?
Martin Risak: In Österreich steht nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes die Notstandshilfe zu wenn sich der/die Versicherte in einer Notlage befindet. Eine solche liegt vor, wenn die Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse unmöglich ist wobei die wirtschaftliche und familiäre Situation der Arbeitsuchenden berücksichtigt wird. Das Einkommen der Eltern, Kinder oder sonstiger Verwandter wird aber seit Juli 2018 nicht mehr angerechnet und es wird auch nicht verlangt, dass bestehendes Vermögen (zB ein Auto) verwertet wird. Beim Bezug des deutschen Arbeitslosengeldes II, dem sogenannten Harz IV, kommt es hingegen jedenfalls zu einer Anrechnung des Einkommens und des Vermögens aller Personen, die im selben Haushalt leben.
KOMPETENZ: Es ist in der Debatte oft von Versicherungsleistungen und Transferleistungen die Rede. Was ist der Unterschied?
Martin Risak: Eine Versicherungsleistung steht auf Basis von geleisteten Beiträgen zu, eine Transferleistung ist davon unabhängig und wird aus allgemeinen Steuermitteln finanziert. Während erstere grundsätzlich in einem gewissen Verhältnis zur Höhe der geleisteten Beiträge und der Dauer der Versicherung stehen muss, ist eine Transferleistung davon losgelöst. Daher besteht ein größerer Spielraum der Gesetzgebung und somit weniger Sicherheit für die LeistungsbezieherInnen.
„Vom ‚Abrutschen‘ in die Mindestsicherung sind somit einerseits vor allem Frauen betroffen, die wieder vom Unterhalt ihrer Männer abhängig sind.“
Martin Risak, Universität Wien
KOMPETENZ: Was passiert momentanen Notstandshilfe-BezieherInnen, wenn sie künftig in die Mindestsicherung rutschen?
Martin Risak: Der große Unterschied liegt einerseits darin, dass bei der Mindestsicherung auf das Vermögen zugegriffen wird: Bis auf einen Freibetrag von 4200 € müssen die Betroffenen für den Lebensunterhalt das eigene Vermögen (Auto, Sparbücher oder auch eine Briefmarkensammlung) verwerten und aufbrauchen. Andererseits wird das PartnerInneneinkommen ebenfalls angerechnet. Vom „Abrutschen“ in die Mindestsicherung sind somit einerseits vor allem Frauen betroffen, die wieder vom Unterhalt ihrer Männer abhängig sind, und andererseits Personen, die sich ein kleines Vermögen durch unter Umständen gar jahrzehntelange Erwerbstätigkeit aufgebaut haben und die in den letzten Jahren vor der Pension arbeitslos wurden.
KOMPETENZ: Welche Auswirkungen hat es auf die Pension, wenn Menschen künftig Mindestsicherung statt Notstandshilfe beziehen?
Martin Risak: Für Zeiten des Notstandshilfebezuges erfolgen Gutschriften auf dem Pensionskonto, das heißt diese Zeiten werden pensionswirksam. Wenn hingegen Mindestsicherung bezogen wird, erfolgt keine derartige Gutschrift – bei einer Umstellung des Systems hat dies somit nicht nur unmittelbare Auswirkungen, sondern auch langfristige betreffend die Pensionshöhe.
ZUR PERSON:
Martin Risak ist außerordentlicher Universitätsprofessor am Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Wien.