Faktencheck: Pflichtmitgliedschaft

Die Pflichtmitgliedschaft in Arbeiterkammern (AK) aber auch Wirtschaftskammern (WKO) wird in der politischen Debatte immer wieder infrage gestellt. Wir klären in einem Faktencheck Nutzen und Bedeutung der Pflichtmitgliedschaft in AK und WKO.

Seit wann gibt es die Kammern in Österreich?

Die Arbeiterkammern entstanden in den 1920er-Jahren im Rahmen einer Sozialoffensive als Gegenüber der bereits seit 70 Jahren bestehenden Handelskammern (später Wirtschaftskammern). Die ArbeitnehmerInnen sollten der Wirtschaft auf Augenhöhe gegenübertreten können. Es entstand damit eine frühe Form der heutigen Sozialpartnerschaft. Das Recht auf Handelskammern in Selbstverwaltung war übrigens eine Errungenschaft der ersten demokratischen Revolution Österreichs von 1848. Mit der Machtübernahme der Austrofaschisten wurden die Arbeiterkammern entmachtet und erst 1945 wieder neu gegründet.

Was bedeutet Pflichtmitgliedschaft?

Die Mitgliedschaft von ArbeitnehmerInnen und Arbeitgebern in den Arbeiterkammern und Wirtschaftskammern ist gesetzlich geregelt. Die Kammern sind Körperschaften öffentlichen Rechts, die einen gesetzlichen Auftrag zur Vertretung ihrer Mitglieder haben. Wer Mitglied ist, ist ebenfalls gesetzlich geregelt. Es gibt also weder die Möglichkeit beizutreten noch auszutreten. Der Beitritt erfolgt automatisch, die Mitglieder zahlen eine Kammerumlage.

Wie hoch ist der AK-Mitgliedsbeitrag (die AK-Umlage) und wer ist Mitglied?

Die AK-Umlage beträgt 0,5 Prozent des Bruttoeinkommens bis zur Höchstbemessungsgrundlage in der Sozialversicherung, also maximal knapp 15 Euro pro Monat. Mit einem Durchschnittseinkommen (2.200 Euro pro Monat) bezahlt man beispielsweise weniger als 7 Euro AK-Umlage.

AK-Mitglieder sind alle unselbstständig Beschäftigten mit Ausnahme der Beamten, der Beschäftigten in der Land- und Forstwirtschaft, der meisten FreiberuflerInnen sowie der leitenden Angestellten.

Der Mitgliedsbeitrag wird gemeinsam mit den Sozialversicherungsbeiträgen vom Gehalt abgezogen und vermindert die Bemessungsgrundlage bei der Steuer. Nicht alle AK-Mitglieder müssen allerdings Umlage zahlen. Wer Karenzgeld bezieht, arbeitslos ist, Lehrling ist, seinen Präsenz- oder Zivildienst leistet oder Krankenpflege-SchülerIn ist, muss nichts bezahlen. In Summe betrifft das 803.000 Menschen, also fast ein Viertel aller Mitglieder.

Wie viele Mitglieder hat die AK und wie hoch ist ihr Budget?

Insgesamt hat die AK 3,7 Millionen Mitglieder und verfügt über Mitgliedsbeiträge in der Höhe von rund 450,8 Millionen Euro. Im Vergleich mit der Wirtschaftskammer ist das übrigens ein deutlich niedrigerer Betrag. Obwohl die AK etwa siebenmal mehr Mitglieder als die WKO hat, ist das Budget der AK nur halb so hoch.

Was macht die AK mit diesen Mitgliedsbeiträgen?

2017 haben die AK-ExpertInnen österreichweit rund zwei Millionen Beratungen durchgeführt, darunter mehr als 1,3 Millionen Beratungen in arbeits-, sozial- und insolvenzrechtlichen Fragen und 390.000 Beratungen zum Thema Konsumentenschutz. Die SteuerexpertInnen der AK gaben 2016 rund 211.000 ArbeitnehmerInnen Tipps, wie sie ihr Geld vom Finanzamt zurückholen konnten. Zusätzlich bietet die AK auch noch in anderen Bereichen Beratung an, etwa im Bildungsbereich. 2017 haben die Arbeiterkammern rund 231,9 Millionen Euro für die Mitglieder in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten, in Insolvenzrechtsangelegenheiten und im KonsumentInnenschutz herausgeholt – außergerichtlich rund 40,2 Millionen Euro, vor Gericht und Behörden 191,7 Millionen Euro. In sozialrechtlichen Angelegenheiten waren es 2017 rund 229 Millionen Euro, ein Plus von knapp 5 Prozent gegenüber 2016.

Zusätzlich haben die Arbeiterkammern im Rahmen der Steueraktion durch die Unterstützung bei der ArbeitnehmerInnenveranlagung für die Mitglieder geschätzt rund 41,2 Millionen Euro vom Finanzamt zurückgeholt. Dazu kommen noch Bildungsgutscheine im Wert von 5 Millionen Euro, die an die Mitglieder ausbezahlt wurden.

Welchen Vorteil hat eine Pflichtmitgliedschaft im Vergleich zu einer freiwilligen Mitgliedschaft?

Durch die gesetzlich begründete Pflichtmitgliedschaft repräsentieren Arbeiterkammern und Wirtschaftskammern – anders als Vereine mit freiwilliger Mitgliedschaft – die Gesamtheit der Unselbstständigen bzw. die Gesamtheit der Unternehmen. Um trotz dieser breiten Mitgliederbasis funktionsfähig zu sein und nach außen hin eine einheitliche Stellunungnahme abgeben zu können, müssen sie einen internen Interessenausgleich vornehmen, bei dem auch Minderheiteninteressen berücksichtigt werden. Sie wirken so der Dominanz von finanziell überlegenen Sonderinteressengruppen entgegen. Die gesetzliche Mitgliedschaft ermöglicht außerdem, dass Leistungen erbracht werden, die allen Mitgliedern der Gesellschaft nützen– im Fall der AK auch jenen, die keinen Beitrag zahlen.

Würde die gesetzliche Mitgliedschaft abgeschafft, würden sowohl auf der Arbeitgeber- als auch auf der ArbeitnehmerInnenseite partikuläre Sonderinteressengruppen viel größeres Gewicht bekommen. Bei den Wirtschaftskammern wären dies insbesondere Großunternehmen aus dem Bereich der Industriellenvereinigung, die aus diesem Grund auch mit einer Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft sympathisieren.

Grafik: Kerstin Knüpfer, GPA-djp

Welche Bedeutung hat die Pflichtmitgliedschaft in der WKO für die Arbeitnehmerinnen?

Die gesetzliche Mitgliedschaft der Unternehmer in den Wirtschaftskammern (und anderen Kammern) liegt nicht nur im Interesse der österreichischen Unternehmen. Die Pflichtmitgliedschaft der Arbeitgeber ist auch entscheidend für die hohe kollektivvertragliche Deckungsquote von 98 Prozent. Oder anders ausgedrückt, beinahe alle unselbstständig Beschäftigten in Österreich fallen unter einen Kollektivvertrag. Damit rangiert Österreich an der Spitze der EU. Und das liegt nicht am überdurchschnittlichen Goodwill der Arbeitgeber, sondern daran, dass die Arbeitgeber sich nicht aussuchen können, ob sie den KV ihrer Branche anwenden müssen. Wäre die Wirtschaftskammer dagegen eine Organisation mit freiwilliger Mitgliedschaft, würde auch das Kollektivvertragssystem nicht mehr so reibungslos funktionieren. Dann könnten sich die Unternehmen nicht nur aussuchen, ob sie Kammermitglied sein möchten, sondern damit verbunden auch gleich, ob der ausverhandelte Kollektivvertrag angewendet wird. Die gesetzliche Mitgliedschaft auf der ArbeitgeberInnenseite verhindert also Lohndumping und Flucht aus dem Kollektivvertrag. NutznießerInnen der Pflichtmitgliedschaft in den Wirtschaftskammern sind in Österreich (beinahe) alle unselbstständig Beschäftigten im privaten Sektor. Denn sie profitieren von überbetrieblichen Lohn- und Arbeitsregelungen, die von den Gewerkschaften ausverhandelt werden können.

Der Beitrag ist in der KOMPETENZ, Ausgabe 05/2017 erstmals erschienen und wurde im Jänner 2018 aktualisiert.  

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