Die diesjährigen Gehaltsverhandlungen haben gezeigt, dass arbeitsrechtliche Verbesserungen in den Kollektivverträgen immer wichtiger werden. Die Lage und Länge der Arbeitszeiten gewinnt für die Beschäftigten weiter an Bedeutung.
Karl Dürtscher, Bundesgeschäftsführer der GPA-djp, blickt zufrieden auf die Erfolge der diesjährigen Lohn- und Gehaltsrunden: „Wir haben viele Verbesserungen für die Beschäftigten erreicht. Die Gehälter und Lehrlingsentschädigungen wurden in vielen Branchen spürbar angehoben. Das ungerechte Arbeitszeitverlängerungs-Paket der türkis-blauen Regierung wird durch die Verteuerung der Überstunden abgefedert.“
Heuer ist zusätzlich vonseiten der Beschäftigten ein kräftiger Druck für Verbesserungen erzeugt worden. Die Warnstreiks und Arbeitsniederlegungen bei den Metallern, im Handel und in der Sozialwirtschaft hätten stark dazu beigetragen, wichtige Verbesserungen zu erreichen. „Die Auseinandersetzungen sind eine Spur härter geworden, die Bereitschaft der Menschen, sich zu artikulieren und an Aktionen der Gewerkschaften teilzunehmen ist spürbar größer geworden“, so Dürtscher.
Einen erfolgreichen Kollektivvertragsabschluss machen aber längst nicht mehr allein angemessene Lohnerhöhungen aus. „Die Arbeitsbedingungen und vor allem die Länge und die Gestaltung der Arbeitszeiten sind für viele Beschäftigte zentrale Faktoren der Arbeitszufriedenheit geworden“, erklärt Dürtscher. Deswegen ist das Rahmenrecht der Kollektivverträge zum zentralen Gestaltungsinstrument für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Beruf, Familie und Freizeit geworden.
„Sozialpolitische Fortschritte sind mit der derzeitigen Bundesregierung über die Gesetzgebung kaum erreichbar. Wir wollen daher über das Rahmenrecht in den Kollektivverträgen
Karl Dürtscher, Chefverhandler Metallindustrie
branchenspezifische Verbesserungen für die Beschäftigten erreichen.“
Dürtscher will diese Rahmenregelungen möglichst so anpassen, dass sie zielgenau die Bedürfnisse der Beschäftigten der jeweiligen Branche berücksichtigen: „Hier können wir flexibel auf unterschiedliche Arbeitsbedingungen und Besonderheiten eingehen.“ Kollektivverträge könnten darüber hinaus Elemente absichern, die in gesetzlichen Regelungen fehlen. „Sozialpolitische Fortschritte sind mit der derzeitigen Bundesregierung über die Gesetzgebung kaum erreichbar. Die GPA-djp bemüht sich daher, im arbeitsrechtlichen Teil der Kollektivverträge spürbare Erleichterungen für die Beschäftigten zu erreichen“, erklärt Dürtscher. Der Fortschritt verlagert sich also in die Kollektivverträge.
Wertewandel ist ablesbar
Der Wertewandel ist anhand zahlreicher Befragungen ablesbar: „Die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit hat für viele Menschen einen höheren Stellenwert als zusätzliches Einkommen durch Überstunden.“ Auf diese Bedürfnisse hat die GPA-djp reagiert. Die Lage und Länge der Arbeitszeiten wird für die Beschäftigten immer wichtiger. Daher forciert die GPA-djp Maßnahmen wie die bessere Anrechnung von Karenzzeiten, den Papamonat oder die Vier-Tage-Woche.
Karl Dürtscher ist zutiefst davon überzeugt, dass nur jene Unternehmen langfristig am Markt erfolgreich sein werden, denen es gelingt, die Arbeitszeitbedürfnisse des Betriebes mit den Bedürfnissen ihrer Beschäftigten in Einklang zu bringen: „Wer glaubt, Arbeitszeiten nur diktieren und anordnen zu können, wird auf Dauer nicht erfolgreich sein.“
Als langfristige strategische Ziele für die Kollektivvertragsverhandlungen der nächsten Jahre nennt Dürtscher neben einem Mindestgehalt von 1.700 Euro brutto in allen Branchen und einer durchgängigen Anhebung der Lehrlingsentschädigungen auch zahlreiche rahmenrechtliche Verbesserungen. „Die Anrechnung der Karenzzeiten soll mit 22 Monaten pro Kind überall kollektivvertraglich verankert werden“, gibt der Bundesgeschäftsführer ein wichtiges Beispiel. Auch der Papamonat wird seitens der GPA-djp forciert. „Er soll in den Kollektivverträgen zum Rechtsanspruch werden, auch ein Kündigungsschutz während dieser Zeit muss verankert werden“, erklärt Dürtscher und spricht von „längst fälligen Maßnahmen zur Verringerung der Einkommensschere zwischen Männern und Frauen.“
Darüber hinaus stehen für die GPA-djp die Themen Arbeitszeitverkürzung und die leichtere Erreichbarkeit der sechsten Urlaubswoche weiter auf der Agenda. „Auch die sozial verträgliche Gestaltung der Digitalisierung wird für kommende Kollektivvertragsverhandlungen eine herausfordernde Aufgabe werden“, so Dürtscher.
Anrechnung von Karenzzeiten im Handel
Im Handel stiegen die kollektivvertraglichen Gehälter der etwa 430.000 Angestellten in 80.000 Betrieben mit 1. Jänner um bis zu 3,2 Prozent, die Lehrlingsentschädigungen um durchschnittlich 8 Prozent. Darüber hinaus wurden umfangreiche Verbesserungen im Rahmenrecht des Kollektivvertrages erreicht.
So werden Zeiten der Mütter- oder Väterkarenz sowie Abschnitte, in denen jemand Sterbebegleitung für nahe Angehörige oder Begleitung von schwerstkranken Kindern leistet, bei dienstzeitabhängigen Ansprüchen im Höchstausmaß von 24 Monaten angerechnet. „Das bedeutet, dass die Dienstzeit für die Bemessung der Kündigungsfrist, für die Dauer der Entgeltfortzahlung im Krankheits- oder Unglücksfall und bei der Berechnung des Urlaubsausmaßes sowie des Jubiläumsgeldes weiterläuft“, erklärt die zuständige Verhandlerin Anita Palkovich und beurteilt dies als großen sozialen Erfolg: „Jene Zeit, die man mit einem Baby zu Hause ist, wird in Zukunft auf die genannten Ansprüche angerechnet. Durch diese Maßnahme und die bereits im Vorjahr durchgesetzte volle Anrechnung von Karenzzeiten bei den Vorrückungen steigt das Gehalt trotz Babypause, das Lebenseinkommen für eine Frau mit zwei Kindern wird beispielsweise um drei Prozent erhöht.“
„Durch die volle Anrechnung von Karenzzeiten bei Vorrückungen und anderen dienstrechtlichen Ansprüchen, steigt das Gehalt trotz Babypause. Das Lebenseinkommen einer Frau mit zwei Kindern wird um drei Prozent erhöht.“
Anita Palkovich, KV-Verhandlerin Handel
Rechtsanspruch auf die Vier-Tage-Woche
Ein weiterer großer Erfolg ist der Rechtsanspruch auf die Vier-Tage-Woche. „Die vereinbarte wöchentliche Normalarbeitszeit ist auf Antrag von ArbeitnehmerInnen regelmäßig auf vier oder weniger Tage zu verteilen“, erklärt Palkovich. Die tägliche Normalarbeitszeit kann dabei auf bis zu zehn Stunden ausgedehnt werden. Ein/e ArbeitgeberIn kann diesen Antrag nur ablehnen, wenn dadurch betriebliche Abläufe gefährdet sind oder der Geschäftsbetrieb nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Auch Teilzeitbeschäftigte profitieren von diesem Modell.
Für Zeitguthaben oder Zeitschulden gilt eine neue Übertragungsregelung: Diese können höchstens im Ausmaß der halben vertraglich vereinbarten wöchentlichen Normalarbeitszeit in den nächsten Durchrechnungszeitraum übertragen werden.
Durchgesetzt wurde außerdem der Anspruch auf Altersteilzeit. Werden alle gesetzlichen und kollektivvertraglichen Voraussetzungen erfüllt, muss ein/e ArbeitgeberIn mit einem/einer ArbeitnehmerIn innerhalb von vier Wochen eine Vereinbarung über das Ausmaß der gewünschten Reduktion der Normalarbeitszeit und über die Dauer der Altersteilzeit treffen.
Eine Verbesserung gab es auch bei den Arbeitszeiten am Heiligen Abend: Am 24. Dezember schließen die Geschäfte ab 2019 bereits um 13 Uhr, anstatt wie bisher um 14 Uhr. „Das bringt den Handelsangestellten eine Stunde mehr Familienfreizeit“, freut sich Palkovich und ergänzt: „Danach sind nur unbedingt notwendige Abschlussarbeiten zulässig, diese gelten als Überstunden.“ Auch für ArbeitnehmerInnen mit dem Modell der Blockfreizeit (Superwochenende) gibt es Verbesserungen. Ein Verzicht auf den Urlaubstag, der eine nicht konsumierte Blockzeit im Durchrechnungszeitraum ersetzen soll, ist nicht mehr möglich.
Aus- und Weiterbildung wird mit weiteren Rahmenbedingungen gefördert. Neben der Förderung berufsbegleitender Bildung gibt es jetzt auch einen Rechtsanspruch auf Bildungskarenz.
Neues Gehaltssystem im Handel
Bereits im Dezember 2017 hat sich die GPA-djp mit den ArbeitgeberInnen auf ein neues Gehaltssystem im Handel geeinigt – Unternehmen können ab sofort bis spätestens Ende 2021 in das neue Gehaltssystem umsteigen. Das neue System bringt VerkäuferInnen ein garantiertes Einstiegsgehalt von mindestens 1.677 Euro brutto monatlich und eine bessere Bewertung der geleisteten Arbeit durch detaillierte Tätigkeitsbeschreibungen. „Das verbessert die Karrierechancen“, erklärt Palkovich. Für All-in-Verträge gilt künftig eine Transparenzvereinbarung, wodurch alle Angestellten nachvollziehen können, wie viele der geleisteten Überstunden und Mehrleistungen tatsächlich bezahlt wurden.
Metaller: hohe Zuschläge in Zeit oder Geld
Für die rund 185.000 Beschäftigten der Metallindustrie, des Bergbaus und im Bereich Gas Wärme brachte der Abschluss ein durchschnittliches Plus von 3,46 Prozent – rückwirkend ab 1. November 2018. Die Entschädigungen für rund 7.700 Lehrlinge wurden kräftig angehoben und stiegen um bis zu 14 Prozent. Mit dem neuen Kollektivvertrag kommen auch im Rahmenrecht einige wichtige Verbesserungen.
Eine davon gilt ab 1. Juli 2019 bei den Überstundenzuschlägen: Die elfte und zwölfte Arbeitsstunde werden künftig, sofern es sich um die dritte und folgende Überstunde handelt – zum Beispiel auf Dienstreisen – mit 100 Prozent Zuschlag bezahlt. Die Zuschläge können wahlweise in mehr Freizeit umgewandelt werden. In diesem Fall ist es möglich, den Zeitausgleich selbstbestimmt nach vier Wochen anzutreten.
Die Nachtzulagen im Schichtbetrieb werden – über vier Jahre verteilt – deutlich, um rund sieben Prozent pro Jahr erhöht.
„Der Kollektivvertrag stellt klar, dass angeordnete Arbeitszeiten außerhalb der Normalarbeitszeit Überstunden sind. Das ist in vielen Betrieben keine Selbstverständlichkeit.“
Georg Grundei, KV-Verhandler Metallindustrie
Bezahlte Pause
Bei Tagesarbeitszeiten von mehr als zehn Stunden wurde bei Überstundenleistung eine bezahlte Pause von mindestens zehn Minuten im Kollektivvertrag vereinbart. Diese ist als Ausgleich für die Verschärfungen des neuen Arbeitszeitgesetzes zu sehen. Der bisher befristete 150-Prozent-Zuschlag für die viermal im Jahr mögliche Sonn- und Feiertagsarbeit wurde unbefristet verlängert und ist damit nun Dauerrecht im Kollektivvertrag der Metallindustrie, des Bergbaus und Gas Wärme. Die Wahlfreiheit der ArbeitnehmerInnen, sich zwischen Zeit und Geld zu entscheiden, bleibt bestehen. „Das ist für KollegInnen mit Überstundenpauschalen und All-in-Verträgen von besonderer Bedeutung, denn dadurch können auch sie sich die Kompensation sichern“, erklärt Verhandler Georg Grundei.
Durchbruch bei der Gleitzeit
Ein Durchbruch gelang den Gewerkschaften im Bereich der Gleitzeit, diese wird erstmals im Kollektivvertrag direkt geregelt. Angestellte (ausgenommen bei All-in-Verträgen) mit Gleitzeitvereinbarungen haben nun das Recht, sofern die Betriebsvereinbarung nach dem 1. 9. 2018 vereinbart oder geändert wurde, ihre Zeitguthaben in Form von ganzen Tagen gesichert zu verbrauchen. Sie haben kollektivvertraglich Anspruch auf sechs gänzlich freie Gleittage pro Jahr. „Außerdem wurde klargestellt, dass angeordnete Arbeitszeiten außerhalb der Normalarbeitszeit Überstunden sind – leider auch keine Selbstverständlichkeit in den Betrieben“, erklärt Grundei. Um das Recht der ArbeitnehmerInnen auf die Ablehnung von Überstunden zu stärken, beschlossen die KV-Partner ein Monitoring einzuführen. Sollte es zu Verstößen gegen das sogenannte Freiwilligkeitsprinzip betreffend die 11. und 12. Arbeitsstunde kommen, werden die Sozialpartner sich gemeinsam dieser Fälle annehmen. Sollten sich diese häufen, werden konkrete Regelungen im Kollektivvertrag festgeschrieben. Georg Grundei hofft, durch die neuen Bestimmungen ausufernde Mehrarbeiten einzudämmen: „Durch die Freiwilligkeit, die gesicherten Gestaltungsmöglichkeiten der Betriebsräte und die Verteuerung der Überstundenleistungen sollten gesundheitsschädliche Dauersituationen vermieden werden.“
Früher mehr Urlaub in der Sozialwirtschaft
Auch bei den Verhandlungen in der Sozialwirtschaft spielte die Frage der Arbeitszeit eine zentrale Rolle. In der fünften Verhandlungsrunde haben GPA-djp und die Gewerkschaft vida für die rund 100.000 Beschäftigten im privaten Gesundheits- und Sozialbereich 3,2 Prozent mehr Lohn und Gehalt verhandelt. Lehrlinge bekommen künftig monatlich zusätzlich 100 Euro extra. Darüber hinaus wurde im Kollektivvertrag ein zusätzlicher Urlaubstag ab einem Jahr Betriebszugehörigkeit festgeschrieben. Ab 1. Oktober gibt es klare kollektivvertragliche Regelungen für den Dienstplan: Für kurzfristiges, freiwilliges Einspringen an einem freien Tag erhalten Beschäftigte 20 Euro für einen ganzen Tag bzw. eine ganze Nacht, für einen halben Tag gibt es 10 Euro. Der Anspruch auf Altersteilzeit wird im Kollektivvertrag verankert.
„Heuer haben wir gezeigt, wie wichtig es ist, dass wir gemeinsam auftreten. Je mehr Mitglieder wir sind, desto besser ist die Absicherung unserer Rechte: regelmäßige Gehaltserhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen.“
Eva Scherz, KV-Verhandlerin Sozialwirtschaft
Geteilte Dienste
Verbesserungen gibt es auch bei den geteilten Diensten. Diese sind nun klarer im Kollektivvertrag geregelt. „Jetzt ist festgeschrieben, dass der Dienst grundsätzlich nur einmal geteilt werden kann, und dass die Arbeitszeit mindestens fünf Stunden am Tag betragen muss“, erklärt Verhandlerin Eva Scherz, „dadurch bekommen wir bessere Dienstpläne für unsere KollegInnen im mobilen Dienst.
Scherz freut sich über die verbesserten Arbeitsbedingungen für PflegerInnen, BetreuerInnen und für MitarbeiterInnen in der Kinderbetreuung: „Das Arbeitszeitpaket lässt die vielen verschiedenen Berufsgruppen in der Sozialwirtschaft – mit einem hohen Anteil an Teilzeitbeschäftigten und Frauen – dort profitieren, wo es mit der Arbeitszeit für sie die größten Probleme gibt. Der Verdienst ist für viele ein wichtiger Teil der Beschäftigung, noch wichtiger sind aber die Arbeitsbedingungen.