Faktencheck: Pflege und Betreuung

Laut Hochrechnungen des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO) wächst der Bedarf an Pflegekräften bis zum Jahr 2030 um 39 Prozent und bis 2050 sogar um 127 Prozent. Im Jahr 2016 gab es in Österreich 63.000 Pflegekräfte. 2030 werden, um den Status quo zu halten, schon 87.000 Pflegerinnen und Pfleger notwendig sein, 2050 schon 150.000.
Grafik: GPA-djp

In den kommenden 30 Jahren wird die Anzahl pflegebedürftiger Menschen fast auf das Doppelte ansteigen. Unser Pflegesystem ist diesen Anforderungen nicht gewachsen. Wir liefern Daten und Fakten rund um das Thema Pflege und Betreuung und zeigen auf, wo Handlungsbedarf besteht.

Wer pflegt in Österreich?

Der überwiegende Anteil der Pflege und Betreuung, nämlich 80 Prozent wird derzeit zu Hause geleistet, und das hauptsächlich von Angehörigen, die wiederum fast ausschließlich Frauen sind. Bei 25 Prozent davon unterstützen mobile Dienste zusätzlich. 6 Prozent der Pflege- und Betreuungsbedürftigen werden durch eine 24-Stunden-Betreuung versorgt.

Wer erhält Pflegegeld und wie hoch ist es?

Pflegebedürftige Personen, erhalten in Österreich ein am Pflegebedarf bemessenes Pflegegeld. Dieses ist unabhängig von Einkommen und Vermögen und beträgt zwischen 157,30 Euro für die Stufe 1 und 1.688,90 Euro für die Stufe 7. 2018 haben 461.000 Personen Pflegegeld bezogen. Seit der Einführung des Pflegegeldes im Juli 1993 gab es nur fünf Erhöhungen. Allein um den Wertverlust durch die Inflation auszugleichen, müsste das Pflegegeld um 35 Prozent angehoben werden. Im Regierungsprogramm ist nur eine Erhöhung ab Pflegestufe 4 vorgesehen, wer in einer niedrigeren Pflegestufe ist, geht dabei leer aus. Weit mehr als die Hälfte der Pflegegeld-BezieherInnen etwa sind in den Stufen 1 und 2. Der Aufwand für das Pflegegeld beläuft sich derzeit pro Jahr auf rund 2,6 Milliarden Euro. Laut Schätzungen des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO) werden diese Ausgaben bis zum Jahr 2050 auf 4,2 Milliarden steigen.

Welche Auswirkungen hat die Abschaffung des Pflegeregresses?

Anfang 2018 wurde der Pflegeregress für Pflegeheime abgeschafft. Dadurch kam es zu einer erhöhten Nachfrage nach Pflegeheimplätzen und einem Rückgang der Pflege zu Hause. Gleichzeitig hat sich die Finanzierungsfrage verschärft. 2016 erfolgte eine Verlängerung des aus Steuermitteln finanzierten Pflegefonds bis 2021, mit welchem die stark steigenden Kosten der Länder und Gemeinden kompensiert werden sollen. Für die Zeit nach dieser Übergangslösung hat die Bundesregierung bislang noch keine konkreten Konzepte oder Finanzierungsvorschläge präsentiert. Bei der Regierungsklausur im Jänner wurde angekündigt, ein nachhaltiges Pflegekonzept bis Ende 2019 vorlegen zu wollen. Das Konzept soll auf dem bereits präsentierten Masterplan aufbauen, der jedoch völlig allgemein und unverbindlich formuliert ist.

Warum ist eine Pflegeversicherung problematisch?

Eine Pflegeversicherung setzt bei der Erwerbstätigkeit an und belastet so die ArbeitnehmerInnen zusätzlich. Würde man alle Pflegekosten so finanzieren, müsste man sehr hohe Beträge einheben. Die Leistungen der deutschen Pflegeversicherung etwa entsprechen nur unserem Pflegegeld. Ein solches Modell brächte daher eine zusätzliche Belastung ohne volle Absicherung. Eine Finanzierung über Steuern hat den Vorteil, dass sie eine breitere Finanzierungsgrundlage hat, weil man Kapitalerträge, Vermögen und Erbschaften in die Besteuerung einbeziehen könnte.

Wie viele Menschen arbeiten derzeit in der Pflege und Betreuung?

Derzeit arbeiten rund 63.000 Menschen in der Pflege und Betreuung von älteren und behinderten Menschen. In den letzten zehn Jahren gab es in der Branche einen Zuwachs von 39 Prozent. Besonders stark wuchs die Zahl der Beschäftigten in Pflegeheimen, und zwar um 136 Prozent. Fast ausschließlich Frauen arbeiten in der Pflege und Betreuung: In der stationären Pflege beträgt der Frauenanteil 81 Prozent, in der mobilen Pflege sogar 93 Prozent. In der stationären Pflege sind 51 Prozent der Beschäftigten teilzeitbeschäftigt, in der mobilen Pflege und Betreuung sogar 88 Prozent!

Der hohe Teilzeitanteil führt zu niedrigen Einkommen. Oftmals fehlen Karriere- und Entwicklungsmöglichkeiten. Dadurch entstehen prekäre Verhältnisse und in der Folge Pensionen unter der Armutsgrenze.

Wie wirkt sich die demografische Entwicklung aus?

Aufgrund der demografischen Entwicklung in Kombination mit familiären Veränderungen – durch die Alterung fallen potenzielle Pflegepersonen in der Familie weg – werden professionelle Pflegedienste stärker nachgefragt werden. Es wird zu einem massiv erhöhten Bedarf an Pflegepersonal kommen. Während im Jahr 2017 nur knapp 5 Prozent der ÖsterreicherInnen 80 Jahre oder älter waren, werden es laut Statistik Austria bis 2030 7 Prozent sein. Im Jahr 2050 werden dann schon mehr als 10 Prozent der ÖsterreicherInnen über 80 Jahre alt sein. In absoluten Zahlen wird die Steigerung noch deutlicher: 2017 waren rund 436.000 Personen 80 Jahre oder älter. 2030 werden es 636.000 sein, 2050 schon über eine Million. Kein Wunder also, dass laut einem Bericht des WIFO bis ins Jahr 2030 24.000 zusätzliche Pflegekräfte benötigt werden: Das ist ein Plus von 39 Prozent. Bis zum Jahr 2050 schätzt das WIFO den Mehrbedarf sogar auf 80.000 Pflegekräfte. Das entspricht einem Zuwachs von 127 Prozent. Bei aller Dramatik dieser Zahlen sind Österreichs Ausgaben für Langzeitpflege im europäischen Vergleich mit 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) jedoch immer noch unterdurchschnittlich. In den skandinavischen Ländern sind es bis zu 3,5 Prozent. Auch in Deutschland, Großbritannien und Frankreich liegen die Ausgaben für Pflege bei über 2 Prozent des BIP.

Wie funktioniert die 24-Stunden-Betreuung?

Die 24-Stunden-Betreuung ist eine vom Bund geförderte Form der Betreuung zuhause. Sie wird zu 99 Prozent durch selbstständige (oder eigentlich scheinselbstständige) BetreuerInnen aus Osteuropa geleistet. Etwa 64.000 BetreuerInnen sind in Österreich tätig. Obwohl auch eine unselbstständige Form der 24-Stunden-Betreuung möglich wäre, existiert diese aufgrund der höheren Kosten in der Praxis de facto nicht. Als Selbstständige sind die BetreuerInnen den vermittelnden Agenturen schutzlos ausgeliefert. Die Folge sind Knebelverträge, ungeregelte Arbeitsbedingungen und Löhne weit unter dem in Österreich üblichen Niveau. Die von der Regierung umgesetzte Indexierung der Familienbeihilfe stellt eine zusätzliche Härte für diese Personengruppe dar. Nicht nur die BetreuerInnen leiden übrigens an der schlecht geregelten 24-Stunden-Betreuung, auch die betreuten Menschen und deren Angehörige werden häufig von unseriösen Agenturen getäuscht und zahlen überhöhte Vermittlungshonorare und Gebühren.

Wie kann man den „Pflegenotstand“ verhindern?

Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen steigt stark an, der Handlungsbedarf ist offensichtlich. Die Menschen wollen einen Sozialstaat, der eine gute Versorgung und Absicherung bei der Pflege leistet. Dafür sind sie auch bereit, einen Beitrag zu leisten. Damit Pflege- und Betreuungsbedürftige zu Hause bleiben können, braucht es vor allem Investitionen in den Bereich mobiler Dienste und insbesondere Verbesserungen der Arbeitsbedingungen: Arbeitszeit, Bezahlung, Ausbildung, Personalbemessung sowie Prävention sind hier Schlüsselbereiche. Zur finanziellen Absicherung ist ein permanenter bundeseinheitlicher Pflegefonds notwendig. Dessen Finanzierung soll zu einem maßgeblichen Teil über vermögens- und erbschaftsbezogene Steuern erfolgen. Weiters muss das Pflegegeld angehoben und jährlich angepasst werden. Sozial gestaffelte Preise für die mobile Pflege sind ebenso notwendig wie ein flächendeckender Ausbau der mobilen Dienste, Pflegeheime, und alternativen Wohnformen.

Es ist positiv, dass sich die Regierung des Themas Pflege annimmt und einer privaten Pflegeversicherung eine Absage erteilt hat, denn diese ist für viele Menschen nicht leistbar. Die Ankündigungen werden jedoch dem Problem nicht gerecht. Eine Studie zum Pflegepersonalmangel und Imagekampagnen für die Pflegeberufe sind keine Problemlösung. Die Pflegeberufe haben schon jetzt ein gutes Image: Was fehlt sind eine faire Bezahlung und attraktive Arbeitsbedingungen.

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