Die Gerechtigkeitsfanatikerin

Nadja Igler ist seit mehr als 15 Jahren Betriebsrätin bei ORF online. Außerdem ist sie stellvertretende Vorsitzende des Wirtschaftsbereichs ORF in der GPA-djp.
Foto: Nurith Wagner-Strauss

Nadja Igler ist Betriebsratschefin für den ORF Online und Teletext und kämpft an mehreren Fronten.

Der Österreichische Rundfunk (ORF) ist ein Riesenkonzern. Er liefert Nachrichten auf verschiedenen Kanälen in unterschiedlichsten Sendungen. Viele Menschen informieren sich heute ausschließlich im Internet, in Österreich steht dabei für viele das Nachrichtenportal ORF.at an erster Stelle. Dass die Online-JournalistInnen dort bis vor wenigen Jahren nach dem Kollektivvertrag (KV) der Werbebranche entlohnt wurden, erscheint 2019 unglaublich. Dass die „Onliner“ inzwischen einen hart erstrittenen eigenen KV haben, ist zum Großteil auch Nadja Igler zu verdanken.

Seit über 15 Jahren ist die 43-Jährige Betriebsrätin. Seit neun Jahren leitet sie den fünfköpfigen Betriebsrat für den ORF Online und Teletext, in dem mehr als hundert MitarbeiterInnen beschäftigt sind. Jetzt wurde sie in dieser Funktion bestätigt. Zusätzlich ist sie in der Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier (GPA-djp) stellvertretende Vorsitzende des zuständigen Wirtschaftsbereichs 26 für ORF-JournalistInnen. Warum tut sie sich das überhaupt an?

Es ist nicht so, dass Nadja Igler als Kämpferin für ArbeitnehmerInnen familiär vorbelastet wäre, wie sie erzählt. Der Großvater mütterlicherseits war unternehmerisch tätig, die Großmutter Telefonistin in einer Bank; väterlicherseits stammt die Großmutter aus einer großbürgerlichen Familie von Anwälten, ihr Vater hat zwar die 25-Jahre-Gewerkschaftsnadel überreicht bekommen, ihre Mutter war nicht bei der Gewerkschaft. „Ich habe mir gedacht: Man kann sich nicht nur beschweren. Das reicht nicht. Was mich motiviert ist, was mir in der großen Politik abgeht, eine Verantwortung für andere und fürs Ganze.“ Aktiv „for the course“ und nicht für sich selbst – das ist das Credo der Wienerin. „Ich habe mir das genau überlegt. Man gibt ja auch persönliche berufliche Chancen auf. Nicht dass ich jetzt deswegen schlechter gestellt bin als solches, sondern du hast nur ein gewisses Potenzial an Kraft zu investieren; von hundert Prozent gibst du 70 oder 50 Prozent, und den Rest musst du auch noch mal verteilen. Mir geht es darum, tatsächlich etwas so zu verändern, dass es allen gut geht.“

Kollektivvertrag für ORF.at

Dass es gelungen ist, einen neuen Kollektivvertrag aus dem Boden zu stampfen, ist Nadja Iglers größter Erfolg in ihrer bisherigen Laufbahn als Betriebsratschefin. Eine schwierige, intensive Phase für sie. „Wir Online-JournalistInnen haben uns innerhalb der Branche, also vom ORF und den Zeitungen, zusammengeschlossen und gesagt, wir hätten gerne einen neuen Kollektivvertrag und haben parallel dafür lobbyiert. Nach drei Jahren Verhandlungen haben wir für ORF.at 2013 endlich abgeschlossen.“

Es gab noch eine zweite schwierige Phase aus Iglers berufspolitischer Sicht: Das neue ORF-Gesetz, mit dem der Online-Bereich 2010 sehr stark eingeschränkt worden ist. „Indem unsere Aufgaben beschnitten wurden, zum Beispiel Futurezone wurde bei uns eingestellt, die Debatte auf ORF.at reduziert, die Bundesländerkanäle auf 80 Geschichten pro Woche limitiert usw. Dass man den Umfang des Online-Auftritts des ORF teilweise stark beschränkte, hat weh getan, weil es ein politischer Deal war und ein Abtausch für mehr Möglichkeiten in der Werbung.“

Nadja Igler, im Gespräch mit KOMPETENZ-Redakteurin Heike Hausensteiner

Die Versuche der politischen Einflussnahme im ORF sind wohl genauso alt wie die Bestimmung, dass der Rundfunk zur unabhängigen Berichterstattung verpflichtet ist. Bleibt die Frage, wie es den MitarbeiterInnen persönlich damit geht, dass ihr Arbeitgeber politisch mehr oder weniger – je nach Bundesregierung – unter Beschuss steht. Als Privatperson antwortet Nadja Igler – die mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg hält, aber Informationen abwiegt, bevor sie diese preisgibt: „Ich habe schon einige Nächte sehr schlecht geschlafen.“ Als Betriebsrätin sagt sie zur immer wieder aufpoppenden Kritik und zu den wiederholten Versuchen, den ORF an die politische Kandare zu nehmen: „Das schauen wir uns an, meist wird heißer gekocht als gegessen…“

„Wenn unfair gespielt wird und eine Seite versucht durchzudrücken, dass nur ihre Message gilt, und wenn nicht akzeptiert wird, dass auch ich einen Job habe und den versuche richtig zu machen, dann wird’s schwierig.“

Nadja Igler, Betriebsrätin bei ORF.at

Die politisch teilweise umstrittene Rundfunkgebühr (kurz: GIS, für „Gebühren-Informations-Service“) verteidigt Nadja Igler als solide und nachhaltige Finanzierung. „Wie wenn du ein Budget bekommst und selbst einteilen kannst, welche Bücher du kaufst. Es geht darum, Verantwortung zu haben und selbst steuern zu können, was man braucht.“ Und das setzt Vertrauen voraus. Nämlich Vertrauen, dass der ORF seiner gesetzlich verpflichtenden objektiven Berichterstattung nachkommt. Also dass die Nachrichten und Stellungnahmen ausgewogen sind – „und genau das ist unser Job.“

Message Control

Die versuchte Message Control der neuen ÖVP/FPÖ-Regierung war sehr stark ausgeprägt, berichteten ORF-JournalistInnen übereinstimmend. Die Interventionen seien insistierender geworden, findet Nadja Igler. „Wenn PressesprecherInnen von Parteien anrufen, ist das Teil ihrer Aufgabe. Und JournalistInnen haben eine andere Aufgabe, nämlich Dinge zu hinterfragen. Aber wenn unfair gespielt wird und eine Seite versucht durchzudrücken, dass nur ihre Message gilt, und wenn nicht akzeptiert wird, dass auch ich einen Job habe und den versuche richtig zu machen, dann wird’s schwierig.“

Als nächste Herausforderung sieht sie das neue Projekt Newsroom, der – nach derzeitigem Stand – ab Herbst errichtet werden soll. Den betroffenen KollegInnen soll der Übergang zur integrierten Zusammenarbeit von Online, Radio und Fernsehen so angenehm wie möglich gemacht werden. Aufgrund verschiedener Vertragsverhältnisse und bisher ungeklärter Kompetenzen rechnet Igler mit Reibereien. „Du musst immer vermitteln“, ist sie sich bewusst. Wiewohl sie weiß, dass anderen zu helfen nicht immer hilfreich für einen selbst ist. „Ich streite auch gerne mit Menschen am Supermarkt-Parkplatz. Weil man kann nicht als Einzelperson ohne Kinderwagen sein Auto auf einem Familienparkplatz abstellen – das geht nicht. Ich finde, man muss sich für andere Menschen einsetzen. Mir geht’s wirklich um Gerechtigkeit, und ich kann mich fürchterlich ärgern, wenn ich merke, jemand wird ungerecht behandelt.“

Zur Person:

Nadja Igler, 43, ist seit mehr als 15 Jahren Betriebsrätin bei ORF online. Seit 9 Jahren ist sie Betriebsratsvorsitzende. Außerdem ist sie stellvertretende Vorsitzende des Wirtschaftsbereichs ORF in der GPA-djp.
Ihr bisher größter Erfolg war die Umsetzung des Kollektivvertrags für ORF.at

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