Der AK-Chefökonom Markus Marterbauer spricht sich im KOMPETENZ-Interview für die Einführung von Erbschafts- und Vermögensbestandssteuern aus. Selbst, wenn man erst Vermögen ab einer Höhe von einer Million Euro besteuert, brächte das bei einem Prozentpunkt an Abgaben bereits rund vier Milliarden Euro pro Jahr.
Das würde nicht reichen, die Vermögenskonzentration zu verringern, aber Investitionen, die der ganzen Gesellschaft zu Gute kommen, oder Umverteilung zu Gunsten der unteren Einkommensgruppen könnten finanziert werden.
KOMPETENZ: Der französische Ökonom Thomas Piketty hat die Folgen des Kapitalismus in eine Formel gegossen: r > g, die Renditen aus Vermögen sind also größer als das Wirtschaftswachstum. Was bedeutet das für eine Gesellschaft?
MARKUS MARTERBAUER: Im Wesentlichen zwei Dinge: Zum einen wird der Vermögensbestand in den westlichen Volkswirtschaften in Relation zur laufenden Produktion und zum laufenden Volkseinkommen immer größer. Piketty prognostiziert in seinem Buch „Kapital im 21. Jahrhundert“, dass wir um 2100 wieder eine Relation der gesamten Vermögen zum laufenden Einkommen haben werden von sieben zu eins, so wie es um 1900 war. Das ist der entscheidende Punkt. Welche Gesellschaft hatten wir im 19. Jahrhundert? Eine Klassengesellschaft, in der die obersten zehn Prozent die großen Vermögen besessen haben. Die gesamte Gesellschaft wurde von diesen Vermögensbesitzern, vom alten Adel und den neuen Industriellen, dominiert.
Ein zweiter Punkt, den Piketty anführt, ist die Frage, wie sich der Anteil dieser obersten zehn Prozent seit 1900 entwickelt hat. Damals waren 90 Prozent des Vermögens bei den zehn obersten Prozent. Durch die Weltkriege wurde sehr viel Vermögen zerstört. Und durch den Sozialstaat und progressive Steuern hat die Vermögenskonzentration enorm abgenommen. In den 1970er Jahren besaßen die obersten zehn Prozent „nur“ noch 60 Prozent des Vermögens. Das hat sich mit dem Neoliberalismus seit den 1980er Jahren wieder gedreht und bis 2100 kommen wir vielleicht wieder auf eine Konzentration in einer Größenordnung wie um 1900.
„Die Gesellschaft richtet ihre Interessen an den großen Vermögen aus, Kapitaleinkommen wird gesellschaftlich wichtiger als Arbeit mit den eigenen Händen und dem eigenen Kopf. Die Gesellschaft versteinert und eine kleine Elite hat das Sagen.“
Markus Marterbauer
Was heißt das für die Gesellschaft? Sie versteinert, weil das laufende Einkommen der breiten Masse, das aus Arbeitstätigkeit, egal ob selbständig oder unselbständig, erzielt wird, immer weniger bedeutend wird in Relation zu den Kapitaleinkommen der wenigen. Die Gesellschaft richtet ihre Interessen an den großen Vermögen aus, Kapitaleinkommen wird gesellschaftlich wichtiger als Arbeit mit den eigenen Händen und dem eigenen Kopf. Den Jungen wird wichtiger, eine gute Partie zu machen, reich zu heiraten, als zu lernen und zu arbeiten. Die Gesellschaft versteinert und eine kleine Elite hat das Sagen.
KOMPETENZ: Man könnte diesem Prozess mit Vermögenssteuern entgegenwirken. Welche verschiedenen Möglichkeiten gibt es, Vermögen zu besteuern?
MARTERBAUER: Erstens, Erbschaften müssen besteuert werden, damit sich verfestigte Vermögenskonzentration nicht auf die nächste Generation übertragen wird. Leistung muss wichtiger sein als die Abstammung von reichen Eltern.
Zweitens, große Vermögen müssen besteuert werden. Die Diskussion, die Piketty 2014 begonnen hat, hat zwei Effekte gehabt: Weltweit forschen die besten jungen ÖkonomInnen, die „Piketty-Schule der Ökonomie“, zu Fragen der Vermögensverteilung und zur Vermögensbesteuerung. Diese Forschung ist mittlerweile auch auf der politischen Ebene angekommen und es gibt dabei durchaus radikale Vorschläge. Im beginnenden Präsidentschaftswahlkampf in den USA haben die demokratischen BewerberInnen Elizabeth Warren und Bernie Sanders griffige Vermögenssteuervorschläge vorgelegt. Bei beiden geht es dabei um die ganz großen Vermögen, die die Demokratie zerstören. Es geht um „Überreichtum“, wie das der wichtigste österreichische Vermögensforscher Martin Schürz in seinem neuen Buch nennt. Bei 50 Millionen Dollar verlangen sie zwei Prozent Vermögenssteuer, Warren ab einer Milliarde Dollar drei Prozent und Sanders fünf Prozent.
„Leistung muss wichtiger sein als die Abstammung von reichen Eltern.“
Markus Marterbauer
Das sind Vorschläge in der Tradition der Piketty’schen Forderung nach progressiven Vermögenssteuern. Für kleine Vermögen zahlt man nichts, aber für große Vermögen wirklich viel und zwar so, dass das Vermögen auf Dauer abnimmt. Der Konzentrationsprozess des Vermögens muss verhindert werden, weil er Demokratie, Gesellschaft und Wirtschaft schwächt. Das ist der zentrale Punkt. Es geht nicht nur darum, dass Vermögenssteuern Steueraufkommen bedeuten, mit denen man Vernünftiges finanzieren kann.
KOMPETENZ: Welche Summen könnte der Staat mit Vermögenssteuern lukrieren?
MARTERBAUER: Bei einer Vermögensbestandsteuer, bei der die erste Million an Vermögen steuerfrei ist, sind 95 Prozent der Haushalte ausgenommen, weil sie netto, nach Abzug der Schulden, weniger als eine Million Euro besitzen. Für jeden Prozentpunkt Steuern, den man auf Vermögen ab einer Million Euro legt, ergibt sich ein Aufkommen zwischen 3,5 und 5,5 Milliarden Euro, je nachdem, welche Ausweichbewegungen man annimmt. Räumt man auch bei der Erbschaftssteuer einen Freibetrag von einer Million ein, so werden kaum noch Erbschaften betroffen. Dennoch ergeben Berechnungen ein Aufkommen zwischen 500 Millionen und einer Milliarde Euro pro Jahr.
KOMPETENZ: Würde bei den Vermögensbestandsteuern nur das Geldvermögen herangezogen oder zum Beispiel auch Immobilienbesitz?
MARTERBAUER: Das gesamte Vermögen setzt sich aus Immobilienvermögen, Finanzvermögen und Unternehmensvermögen zusammen. In Österreich ist die Datenlage schlecht. Schätzungen gehen von 1.200 Milliarden Euro an Gesamtvermögen aus, wobei davon auf das oberste Prozent der reichsten 39.000 Haushalte etwa 500 Milliarden Euro entfallen, primär Unternehmenseigentum.
KOMPETENZ: Was könnte der Staat mit den Einnahmen aus Vermögenssteuern finanzieren?
MARTERBAUER: Bleiben wir bei dem Beispiel ein Prozentpunkt Vermögenssteuern mit einem Aufkommen von vier Milliarden Euro. Damit kann man unglaublich viel Positives machen. Etwa in Elementarbildung investieren. Mit vier Milliarden Euro können jedes Jahr 100.000 neue Kindergartenplätze geschaffen, die Öffnungszeiten ausgeweitet, das zweite Gratis-Kindergartenjahr eingeführt, die Löhne der BetreuerInnen erhöht werden. Ein großes Kindergartenpaket mit tollen Wirkungen auf Chancengleichheit.
„Mit vier Milliarden Euro können jedes Jahr 100.000 neue Kindergartenplätze geschaffen, die Öffnungszeiten ausgeweitet, das zweite Gratis-Kindergartenjahr eingeführt, die Löhne der BetreuerInnen erhöht werden.“
Markus Marterbauer
Es könnten aber auch jedes Jahr 40.000 neue Sozialwohnungen gebaut werden. Man könnte mit vier Milliarden Euro den Eingangssteuersatz in der Lohnsteuer nicht, wie von der Regierung geplant, von 25 auf 20, sondern auf zehn Prozent senken und die Negativsteuer erhöhen. Das wären massive Steuersenkungen für mittlere und untere Einkommensgruppen. Man könnte jedes Jahr fünf Kilometer U-Bahn bauen, 80 Kilometer Straßenbahn, 2.000 Kilometer Radwege. Vier Milliarden Euro sind unglaublich viel Geld für eine produktive Verwendung und all diese Maßnahmen würden den 99 Prozent zu Gute kommen. Das wäre also eine gewaltige Umverteilung des gesellschaftlichen Wohlstands.
KOMPETENZ: Warum sind Vermögenssteuern auch aus ökonomischer Sicht sinnvoll?
MARTERBAUER: Die wichtigste Begründung von Vermögenssteuern ist nicht eine ökonomische, sondern die Frage, welche Gesellschaft wollen wir. Wollen wir eine Gesellschaft, in der die MilliardärInnen sich die Medien kaufen und damit die öffentliche Meinung beeinflussen, in der die MilliardärInnen sich die Parteien kaufen durch Parteispenden und damit die Richtung der Regierungspolitik vorgeben oder wollen wir eine Gesellschaft, in der nicht die MilliardärInnen das Sagen haben, sondern die breite Masse der Bevölkerung. Die ökonomischen Argumente treten für mich in den Hintergrund. Es geht um Fragen der Gesellschaft und die Rettung der Demokratie.
Aber es ist natürlich auch ökonomisch relevant, weil eine Umverteilung zur ganzen Gesellschaft, die die dringende Notwendigkeit hat, etwas gegen die Klimakrise zu tun oder Geld in die Bildung zu investieren, positive wirtschaftliche Effekte hat. Aber ob das Wirtschaftswachstum bringt oder nicht, ist nicht so wichtig.
KOMPETENZ: Könnte man allerdings nicht auch sagen: die sehr Vermögenden können gar nicht so viel konsumieren, wie sie Geld haben. Wenn man nun einen kleinen Teil der Vermögen über Steuern auf die unteren Einkommensgruppen (Stichwort Armutsgefährdung) aufteilt, würden diese Mittel dann auch für Dinge des täglichen Bedarfs ausgegeben und so würde auch der Konsum angekurbelt.
MARTERBAUER: Ja, das ist ein Nachfrageargument, das wir aber über die Lohnpolitik lösen können. Selbstverständlich wäre die nobelste Aufgabe von Vermögenssteuern, Armut zu beseitigen. In Österreich sind 330.000 Kinder armutsgefährdet. Die Volkshilfe hat das Projekt „Kindergrundsicherung“ gestartet, das mir sehr sympathisch ist: Jedes armutsgefährdete Kind soll mindestens 500 Euro in Form von monetären oder Sachleistungen bekommen. Mit einer Vermögenssteuer im Aufkommen von vier Milliarden Euro könnte für alle 330.000 armutsgefährdeten Kinder die „Kindergrundsicherung“ der Volkshilfe sogar verdoppelt werden. 330.000 Kinder könnten aus der Armutsgefährdung gebracht werden. Vielleicht ist das das stärkste Argument für eine Vermögenssteuer, weil es die Polarisierung unserer Gesellschaft so sichtbar macht. Rund 200.000 Haushalte besitzen mehr als eine Million Euro und auf der anderen Seite haben wir 330.000 Kinder, die armutsgefährdet sind.
Zur Person
Markus Marterbauer, geb. 1965 in Schweden, ist Ökonom. Er forschte zunächst am Institut für Volkswirtschaftstheorie und -politik der Wirtschaftsuniversität Wien und war dann als Konjunkturreferent am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) tätig. Seit 2011 leitet er die Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der Arbeiterkammer Wien. Marterbauer arbeitet vor allem zur Budgetentwicklung und Fiskalpolitik Österreichs sowie zu Fragen der Einkommenspolitik und Umverteilung.
Mehr Infos in der Verteilungsbroschüre der AK
„Verteilungsgerechtigkeit: Für die vielen, nicht die wenigen“:
Die Broschüre zeigt das besorgniserregende Ausmaß der Ungleichheit auf: Das reichste Prozent verfügt in Österreich über rund 40 Prozent des gesamten Vermögens, während die ärmeren 50 Prozent gemeinsam gerade einmal 2,5 Prozent besitzen. Dabei wird ein großer Teil der Vermögen nicht durch eigene Leistung erworben, sondern geerbt.