Arbeit und Corona: KollegInnen erzählen

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Corona bringt unsere Arbeitswelt ziemlich durcheinander. In Gesundheits-, Pflege- und Sozialberufen werden ohnehin bestehende Missstände sichtbarer. Die Beschäftigten tun ihr bestes damit umzugehen, doch Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen und höheren Löhnen werden lauter. Eine unvollständige Bestandsaufnahme.

Die Pandemie hat zahlreiche Berufe ins Rampenlicht befördert bei denen die Ansteckungsgefahr alltägliche Arbeitsbegleitung ist. Und dies bei oft geringen Löhnen, langen Arbeitszeiten und stressigem Umfeld. „Bei mir haben sich viele Beschäftigte aus dem Gesundheitsbereich gemeldet“, erzählt der freie Journalist Michael Bonvalot. „Sie berichten von Überarbeitung und Überlastung. Und von großer Sorge um die eigene Gesundheit, auch aufgrund fehlender Schutzausrüstung.“

Nach akribischer Recherche hat Bonvalot inzwischen eine lange Liste von Erfahrungsberichten und Klagen auf seiner Homepage veröffentlicht. Die Rede ist von wachsendem Chaos, 80 Stundenwochen und teilweise absurden Arbeitsanweisungen wie jener, dass manche Wiener ÄrztInnen aufgefordert worden sein sollen aufgrund des Mangels an Schutzmasken eigene Ski- und Taucherbrillen von Zuhause mitzubringen. Im Krankenhaus Nord sollen unter Corona-Verdacht stehende Ärzte weiter Operationen durchgeführt haben, was erst durch Proteste des Pflegepersonals unterbunden worden sein soll. Derweil wurde in einem Krankenhaus in Spital an der Drau ein Betriebsratsvorsitzender gekündigt weil dieser sich für besseren Corona-Schutz für die MitarbeiterInnen eingesetzt hat.

Wie schnell sich die Lage durch das Virus in vielen Betrieben zum schlechteren gewendet hat kann der Gewerkschaftsaktivist und Betriebsrat bei der Behindertenhilfe Korneuburg Walter Waiss erzählen. Sein Schicksal schaffte es sogar ins ORF-Fernsehen. In einer Wohngemeinschaft wurden Anfangs zwei, später ein dritter Bewohner positiv getestet, für die Beschäftigten einer ganzen Abteilung bedeutete dies Heimquarantäne. Und wer sollte sich um die nun ebenfalls unter Quarantänebedingungen lebenden BewohnerInnen kümmern? „Ich habe einen Anruf von der Leitung der Wohngemeinschaft erhalten und mich als Betriebsrat bereiterklärt reinzugehen und dort Krisenintervention zu machen“, erzählt Waiss.

14 Tage verbrachte er dann in einer völlig fremden Umgebung: „Die ersten Tage waren brutal. Ich habe die Räumlichkeiten nicht gekannt. Die KlientInnen haben mich nicht gekannt. Das war schwierig. Man muss Beziehungen aufbauen, es dauert, bis Vertrauen aufgebaut ist. Viel hängt an Körpersprache. Da hilft es nicht, wenn das eigene Gesicht durch eine Maske verhüllt ist.“ Immer wieder sei er in fragwürdige Situationen gekommen. „Ich habe Tätigkeiten ausgeführt, für die es eigentlich medizinisch ausgebildetes Fachpersonal gebraucht hätte. Doch aufgrund der Quarantäne ist kein Arzt hineingekommen. Ich habe zum Beispiel einen Spaltgips von einem Bein abgenommen. Das machen normalerweise Fachkräfte. Ich war auf sehr dünnem Eis. Das belastet mich.“

Mehr Personal nötig

Dünn ist auch die Personalsituation. „Es braucht viel mehr Personal. Es muss nach der Corona-Krise viel mehr Geld in die Hand genommen werden“, so Waiss. „Deshalb ist auch die Forderung nach der 35-Stundenwoche bei vollem Lohn- und Personalausgleich im Sozialbereich so wichtig. Es braucht auch eine Ausbildungsoffensive. Derzeit sehen wir, dass der Sozial- und Pflegebereich nicht die Ressourcen hat um auf eine Krisensituation wie jetzt mit Corona dauerhaft zu reagieren.“

Auch bei den Wiener Pensionistenhäusern stoßen die KollegInnen zunehmend an ihre Grenzen. „In unserem Haus hat es Corona-Fälle gegeben“, berichtet eine Kollegin. „Jetzt sollen die BewohnerInnen in ihren Zimmern bleiben. Das ist aber gar nicht so einfach. Die alten Menschen verstehen nicht, warum dies jetzt plötzlich nötig ist. Das ist eine echte Herausforderung.“ Eine Herausforderung bestehe auch für das Servicepersonal: „Die bringen den BewohnerInnen das Essen auf die Zimmer, es ist ihnen unmöglich, einen Meter Sicherheitsabstand einzuhalten.“

In einem Brief beschreibt eine Pflegekraft ihre Erfahrungen: „Die Umstände im Pflegeheim sind eine Katastrophe. Es gibt zu wenig Personal, da immer wieder Corona positiv getestete BewohnerInnen vom Spital zurückkommen, dadurch KollegInnen in häusliche Quarantäne müssen und nicht mal alle getestet werden. Nach 14 Tagen müssen sie wieder den Dienst antreten.“

Auch einen über ihren Beruf hinausweisenden Kritikpunkt hat die Pflegerin: „Es gibt keine angeordneten Tests für die, die besonders großen Gefahren ausgesetzt sind, zum Beispiel Pflegekräfte, SupermarktmitarbeiterInnen, PolizistInnen. Wie soll man das Virus eindämmen, wenn diese Berufsgruppen nicht mal wissen, ob sie Träger vom Coronavirus sind? In einigen Monaten könnte ich in Pension gehen, habe aber Angst diese nicht mehr zu erleben. Das tägliche danke, danke und durchhalten hilft absolut nicht, es kann keiner mehr hören.“ Und sie stellt sich die Frage: „Der finanzielle Aspekt ist für viele eine unglaublich belastende Situation. Kann man Arbeitslose, die ein, zwei Jahre vor der Pensionierung stehen nicht in Pension schicken um dieser Gruppe eine sichere Zukunft zu ermöglichen?“

Mehr Lohn und Arbeitszeitverkürzung gefordert

KollegInnen aus der Wiener Wohnungslosenhilfe teilen die Auffassungen der Pflegerin aus dem Pensionistenheim. Sie wollen überwiegend anonym bleiben. Eine erzählt: „Wir werden einerseits beklatscht, andererseits nimmt man uns nun den Urlaub weg. Die gewerkschaftliche Forderung für eine 35-Stundenwoche im privaten Pflege- und Sozialbereich ist weiter wichtig. Der Widerstand muss weitergehen.“

Ein anderer berichtet davon, dass die Entscheidung, Notschlafstellen in Wien nun 24-Stunden für die Obdachlosen zu öffnen bei diesen gut angekommen sei: „Sie freuen sich, nun den ganzen Tag hierbleiben zu können und nicht mehr nach draußen zu müssen.“ Für das Team habe dies aber Herausforderungen bedeutet: „Wir mussten alles umstellen. Zum Beispiel geben wir das Essen nicht mehr in einem Gemeinschaftsraum aus. Wir richten es auf Tellern her und bringen es auf die Zimmer.“ Ein anderer Mitarbeiter einer Obdachloseneinrichtung sagt: „Man müsste die Leute viel dezentraler unterbringen. Es stehen doch viele Hotels jetzt leer. Da könnte man viel machen. Das würde den Obdachlosen bei der sozialen Distanzierung helfen.“

Michael Gehmacher ist Betriebsratsvorsitzender beim Arbeitersamariterbund – Wohnen und soziale Dienste (ASB-WSD) in Wien. Er ist derzeit freigestellt und arbeitete vorher in der Flüchtlingsbetreuung. „Wir merken, dass ZivildienerInnen aus unserem Bereich abgezogen und nun anderswo eingesetzt werden. Das führt bei uns zu Problemen und zu höheren Belastungen für die KollegInnen. Auch deshalb brauchen wir eigentlich viel mehr Personal.“ Auch die Situation von zu Risikogruppen gehörenden Beschäftigten macht ihm Sorgen: „Viele von ihnen sind nun Dienstfrei gestellt oder im Krankenstand. Sie machen sich Sorgen darüber was mit ihrem Einkommen passiert. Andererseits plagt sie das schlechte Gewissen, weil sie nicht selbst mit anpacken können, während die KollegInnen zunehmend erschöpft sind.“ Sein Fazit: „Wir brauchen mehr Geld, vielleicht in Form einer Corona-Zulage. Und die Streiks im Sozialbereich müssen nach der Krise auf jeden Fall weitergehen.“

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