„In Corona-Krise zeigen sich die Schwächen des 24-Stunden-Betreuungssystems“

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Durch die Coronakrise sind Arbeitsbereiche in den Blick der Öffentlichkeit geraten, die sonst weitgehend unsichtbar waren, so etwa die 24-Stunden-Betreuung. Sie zeichnet sich durch besonders problematische Arbeitsbedingungen aus, die sich durch die Corona-Pandemie zusätzlichen verschärft haben.

Flavia Matei unterstützt ehrenamtlich „DREPT pentru îngrijire“ („Gerechtigkeit für Pflegearbeit“), eine selbstorganisierte Gruppe von rumänischen 24-Stunden-PersonenbetreuerInnen und AktivistInnen in Österreich.

KOMPETENZ: Kannst du eingangs erklären was die 24-Stunden-Betreuung ist und was sie so wichtig macht?

FLAVIA MATEI: Die 24-Stunden-Personenbetreuung ist eine für die österreichische Gesellschaft sehr wichtige, aber auch sehr anstrengende Arbeit. In Österreich wird sie hauptsächlich von MigrantInnen aus osteuropäischen Ländern erledigt. Kaum jemand will sie machen, und trotzdem ist sie sehr schlecht bezahlt. Erst jetzt durch die Coronakrise ist sie zumindest sichtbarer geworden.

Die BetreuerInnen kümmern sich um die KundInnen, normalerweise österreichische SeniorInnen, die nicht mehr in der Lage sind alleine zu leben. Sie helfen ihnen, wenn notwendig, bei Alltäglichkeiten wie dem Toilettengang, beim Waschen oder Windelwechseln. Sie bereiten den PatientInnen Essen zu, machen Einkäufe, begleiten sie zu ÄrztInnen oder zu anderen wichtigen Terminen. Auch kümmern sie sich um den Haushalt, sie kochen, putzen, räumen auf.

Was die medizinische Behandlung angeht dürfen die 24-Stunden-BetreuerInnen keine Entscheidungen selbst treffen, sie führen nur das aus was ÄrztInnen empfohlen haben.

„In Österreich arbeiten aktuell ca. 80.000 24-Stunden-BetreuerInnen aus Osteuropa. Die Hälfte davon kommt aus Rumänien.“

Flavia Matei

KOMPETENZ: Du hast gesagt die Arbeit wird in Österreich überwiegend von osteuropäischen Frauen verrichtet. Wie funktioniert das?

FLAVIA MATEI: In Österreich arbeiten aktuell ca. 80.000 24-Stunden-BetreuerInnen aus Osteuropa. Die Hälfte davon kommt aus Rumänien.

Da sie für die KundInnen tatsächlich 24 Stunden am Tag da sein müssen – oft müssen sie auch mehrmals in der Nacht aufstehen, wenn ihre Hilfe gebraucht wird – kommen die BetreuerInnen für ihre Arbeit für zwei, drei oder auch vier Wochen am Stück aus Rumänien nach Österreich und werden danach abgelöst.

KOMPETENZ: Wie sind die Arbeitsbedingungen der BetreuerInnen und welcher Arbeitsvertrag erlaubt wochenlange 24-Stundenschichten ohne Pausen?

FLAVIA MATEI: Die Arbeitsbedingungen sind schlecht und bürokratisch kompliziert. Die 24-Stunden-BetreuerInnen arbeiten alle als selbstständige Ein-Personen-Unternehmen. Viele von ihnen verstehen das System überhaupt nicht. Sie denken, dass sie in einem Angestelltenverhältnis sind und glauben die Vermittlungsfirmen seien ihre Chefs.

Tatsächlich ist die Selbstständigkeit eine Scheinselbstständigkeit, eine völlige Abhängigkeit von der Vermittlungsfirma. Die BetreuerInnen haben keine Entscheidungskraft, außer jene, die seit zehn, fünfzehn Jahren in der Branche sind. Sie haben Erfahrung, können besser Deutsch und deswegen auch verhandeln. Aber die meisten haben diesen „Luxus“ nicht.

„Das heißt, dass viele BetreuerInnen kaum mehr als 2 Euro pro Stunde verdienen, dafür sind sie aber wirklich 24 Stunden am Tag für ihre KundInnen da.“

Flavia Matei

Zur Bezahlung: Durchschnittlich verdienen sie zwischen 40 und 80 Euro netto pro Tag, Transport und Sozialabgaben werden von der Vermittlungsfirma extra bezahlt, normalerweise. Das heißt, dass viele BetreuerInnen kaum mehr als 2 Euro pro Stunde verdienen, dafür sind sie aber wirklich 24 Stunden am Tag für ihre KundInnen da.

KOMPETENZ: Welche besonderen Herausforderungen bedeutet die Corona-Pandemie für die BetreuerInnen jetzt im Arbeitsalltag?

FLAVIA MATEI: Die KundInnen gehören praktisch alle zur Risiko-Gruppe was den Covid19-Virus angeht. Sie müssen besonders geschützt werden. Die PersonenbetreuerInnen müssen daher sehr vorsichtig sein, den Virus nicht einzuschleppen. Gleichzeitig gehören manche de PersonenbetreuerInnen selbst bereits zu dieser Risiko-Gruppe.

Oft kommen auch die Familien der KundInnen gar nicht mehr zu Besuch, weil sie sich Sorgen machen den Virus einzuschleppen. Viele PersonenbetreuerInnen sind deswegen jetzt noch mehr allein mit den SeniorInnen um die sie sich kümmern. Jetzt fällt oft mehr Arbeit für die PersonenbetreuerInnen an, weil sie jetzt alles alleine machen müssen. Viele Vermittlungsfirmen bieten ebenfalls keine zusätzliche Hilfe, sondern kommen nur vorbei, wenn sie die Provision kassieren.

KOMPETENZ: Wie wirken sich die aktuellen Corona-Maßnahmen der österreichischen Regierung auf die Arbeit aus?

FLAVIA MATEI: Die erste Krise für die PersonenbetreuerInnen war die Sperrung der Grenzen Mitte März. Das hat dazu geführt, dass viele von ihnen in Österreich geblieben sind, obwohl sie schon am Ende ihres Turnus waren, also schon 4 Wochen Arbeit hinter sich hatten. Jetzt arbeiten sie insgesamt schon seit 7 Wochen, weil ihre Ablöse nicht einreisen kann. Viele Vermittlungsfirmen üben aktuell gerade großen Druck auf die BetreuerInnen aus, länger hier zu bleiben. Das ist natürlich extrem anstrengend. Die meisten sind körperlich und psychisch sehr, sehr erschöpft und sie wollen nach Hause. Das ist aber derzeit nicht möglich.

Gleichzeitig gibt es sehr viele BetreuerInnen, die in Rumänien festsitzen, weil sie nicht einreisen dürfen. Sie haben jetzt einfach kein Einkommen. Weil sie Ein-Personen-Unternehmen sind haben sie auch keinen Zugang zu Arbeitslosengeld oder Kurzarbeit.

KOMPETENZ: Letzte Woche hat die Wirtschaftskammer und das Land Niederösterreich 280 BetreuerInnen aus Rumänien einfliegen lassen. Die sitzen jetzt für zwei Wochen in Quarantäne bevor sie arbeiten können.

FLAVIA MATEI: Wir haben das sehr kritisiert. Wir verstehen, dass viele BetreuerInnen aus Rumänien kein Einkommen haben und für ihre Familien eine Lösung finden müssen. Gleichzeitig fragen wir uns aber unter welchen Bedingungen und auf wessen Kosten das passiert?

Es wird empfohlen zu Hause zu bleiben, die Mobilität einzuschränken, unnötige Reisen abzusagen – das gilt für alle außer die migrantischen ArbeiterInnen. Das finden wir sehr problematisch.

Auch wie unsere KollegInnen nach Österreich gekommen sind: Sie wurden in Rumänien in überfüllten Minibussen zum Flughafen gefahren. Dort gab es keinen 2-Meter Abstand zwischen den Personen. All die Schutzvorkehrungen vor einer Ansteckung waren einfach nicht existent. Genauso  läuft es auch in der Quarantäne. Bezahlt wird dafür auch nichts, obwohl das eigentlich Arbeitszeit ist.

Und niemand spricht über die BetreuerInnen, die nach Hause wollen. Die sind einfach am Ende ihrer Kräfte. Es wird nicht wertgeschätzt, was diese Frauen gerade jetzt für das Pflegesystem in Österreich tun. Sie setzen sich hoher gesundheitlicher Risiken aus und werden nicht mal besser bezahlt!

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KOMPETENZ: Ihre Organisation „DREPT pentru îngrijire“ ist ein informeller Zusammenschluss. Wie bewerkstelligen sie die Einbindung der BetreuerInnen?

FLAVIA MATEI: Für die BetreuerInnen in der 24-Stunden-Pflege ist es extrem schwierig zusammenkommen und sich zu organisieren, weil sie in ganz Österreich auf alle möglichen Dörfern verstreut sind. Wir machen alles über Videokonferenzen am Abend, wenn die KundInnenschlafen und die BetreuerInnen etwas Zeit haben.

Wir hatten auch schon Kontakt mit der Gewerkschaft. Wir finden aber, dass die Probleme in dieser Branche sehr spezifisch sind und einfach mehr Engagement und Aufmerksamkeit brauchen, als es eine Gewerkschaft mit so breiter Zuständigkeit leisten kann.

Das System als Ein-Personen-Unternehmen passt nicht für die 24-Stunden-Betreuung. Es führt zu unnötigen Abhängigkeiten zu den Vermittlungsfirmen. Wir wünschen uns eine Form von Anstellung, die Zugang zu Arbeitslosengeld und den anderen ArbeitnehmerInnenrechten bietet.

Flavia Matei

KOMPETENZ: Was wollt ihr bei „DREPT pentru îngrijire“ für die 24-Stunden-BetreuerInnen erreichen?

FLAVIA MATEI: In erster Linie fordern wir eine allgemeine Reform der 24-Stunden-Betreuung. In Zeiten der Corona-Krise zeigt sich ganz klar, wie viele Schwächen dieses System hat. Obwohl aktuell sehr viel darüber gesprochen wird, werden die Arbeitsbedingungen für die BetreuerInnen gerade noch schlechter. Sie verdienen nicht mehr obwohl ihre Risiken viel größer sind.

Das System als Ein-Personen-Unternehmen passt nicht für die 24-Stunden-Betreuung. Es führt zu unnötigen Abhängigkeiten zu den Vermittlungsfirmen. Wir wünschen uns eine Form von Anstellung, die Zugang zu Arbeitslosengeld und den anderen ArbeitnehmerInnenrechten bietet. Für die aktuellen, improvisierten Lösungen in Zeiten der Corona-Krise fordern wir, dass hier die gleichen Schutzmaßnahmen gelten, wie für alle anderen Menschen auch. Wir fordern auch eine Bezahlung während der Quarantäne-Zeit und zusätzliche finanzielle Unterstützung, sowohl für die in Rumänien festsitzenden, als auch für die in Österreich verbliebenen BetreuerInn

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