Lehrlinge trifft die Krise doppelt

Foto: Daniel Novotny

Derzeit absolvieren 109.000 junge Menschen eine Lehre in Österreich, viele davon in systemrelevanten Betrieben. Wie geht es für sie weiter?

Lehrlinge aus allen Branchen trifft die Corona-Krise gleich doppelt: Die Berufsschulen sind vorübergehend geschlossen, am Arbeitsplatz ist nichts mehr wie vorher. In Lebensmittelhandel werden alle Hände dringend benötigt, während andere Betriebe ihre Beschäftigten in Kurzarbeit schicken oder gar kündigen.

Nach der aktuellen Regelung müssen jene Lehrlinge, die eine Lehrstelle in der kritischen Infrastruktur haben, durchgehend im Betrieb arbeiten. Nina, 18, im dritten Lehrjahr ihrer Ausbildung als Feinkostfachverkäuferin, arbeitet derzeit Vollzeit in ihrer Supermarkt-Filiale in Wien. Die Berufsschule besucht sie seit Mitte März nicht mehr. „Der Arbeitsdruck ist seit Beginn der Krise enorm und es ist wirklich eine Herausforderung wegen des Gesundheitsrisikos! Klar, dass wir alle mit anpacken. Aber wir Lehrlinge arbeiten nun wie alle anderen Fachkräfte, Vollzeit und ohne Berufsschultage. Ich finde, uns steht daher auch mehr als nur die Lehrlingsentschädigung zu, das würden wir uns wirklich verdienen!“

„Alle Lehrlinge, die in versorgungskritischen Bereichen arbeiten und jetzt nicht ausgebildet werden, sollen während der Coronavirus-Krise wie Fachkräfte entlohnt werden!“

Susanne Hofer, GPA-djp-Jugendvorsitzende

Genau das ist eine der gewerkschaftlichen Kernforderungen: „Alle Lehrlinge, die in versorgungskritischen Bereichen arbeiten und jetzt nicht ausgebildet werden, sollen während der Coronavirus-Krise wie Fachkräfte entlohnt werden!“, sagt GPA-djp Bundesjugendvorsitzende Susanne Hofer. „Denn man kann hier nicht mehr von einer regulären Ausbildung sprechen, da die Schultage entfallen und die Lehrlinge die gleiche Arbeitsleistung wie alle anderen Beschäftigten in der Firma erbringen müssen.“

Davon betroffen sind Lehrlinge im Lebensmittelhandel, in der Lebensmittelproduktion (z.B. Bäckereien oder Fleischer) und in Drogerien, sowie auch Lehrstellen im Bereich medizinische Produkte, Futtermittel, Telekommunikation, e-Commerce und auch in Banken.

Berufsschule und Abschlussprüfung

Besorgt ist Nina auch wegen ihrer Lehrabschlussprüfung, die sie eigentlich im Frühsommer ablegen sollte. „Ich habe keine Zeit, mich darauf vorzubereiten, die Schule fällt komplett aus für mich, und noch dazu weiß niemand genau, wie es nun mit den Abschlussprüfungen weitergeht“, sagt Nina.

Entsprechend wäre es notwendig, dass Lehrlinge wie Nina vor ihren Prüfungen drei Wochen lernfrei bekommen. „Das wäre ein Minimum, damit man sich vorbereiten kann. Ganz besonders für jene, die momentan durchgehend arbeiten müssen“, fordert Susanne Hofer. Doch zunächst heißt es warten, dass die neuen Prüfungstermine kommuniziert werden. „Wir verlangen, dass diese Termine früher als sonst bekannt gegeben werden. Und die fehlenden Berufsschultage dürfen keinesfalls zu Lasten der Lehrlinge gehen und in zusätzliche theoretische Prüfungen münden!“ Für die Prüfungen gibt es bereits erste Zusagen aus dem Bildungsministerium, man würde spezielle Angebote schaffen, damit niemand ein Lehrjahr verliere.

Denn auch hier trifft es die Lehrlinge in der kritischen Infrastruktur härter als andere: Wenngleich auch alle Berufsschulen geschlossen sind, so haben die übrigen Lehrlinge immerhin Unterricht via Distance Learning. Dabei wird der ausgefallene Unterricht in der Schule durch Lernen zu Hause ersetzt. Lehrlinge bearbeiten Arbeitsaufträge Ihrer LehrerInnen und festigen und vertiefen bereits erworbene Lerninhalte zu Hause. Das heißt zugleich: „In nicht systemrelevanten Betrieben wurde vom Bildungsministerium ausdrücklich betont, dass Lehrlinge die ausgefallene Berufsschulzeit nicht im Lehrbetrieb einarbeiten müssen“, so Hofer.

Wegen der großen Bandbreite an Lehrberufen funktioniert das Distance Learning jedoch unterschiedlich gut. In kaufmännischen Berufen z.B. ist es gut machbar. Bei Handwerksausbildungen, wo Fächer wie Materialkunde auf dem Lehrplan stehen, sieht die Sache schon anders aus.

Schutz für Risikogruppen

Eines ist sicher: Ohne die Beschäftigten in den systemrelevanten Betrieben des österreichischen Handels könnte derzeit die Versorgungssicherheit nicht aufrecht erhalten werden. Als Teil dieser kritischen Infrastruktur übernehmen die Lehrlinge ebenso wie alle anderen ArbeitnehmerInnen eine enorme Verantwortung. „Unsere Haltung war von Anfang an klar: Der Schutz der Handelsangestellten, und damit natürlich auch der Lehrlinge, hat Vorrang“, sagt die KV-Verhandlerin für die Beschäftigten im Handel, Anita Palkovich.  Befristet für die Zeit der Krise konnte bereits eine Anpassung der Öffnungszeiten erreicht werden. Palkovich geht die derzeitige Regelung bis 19 Uhr aber nicht weit genug, 18 Uhr sei ausreichend. Denn der Arbeitsdruck ist hat stark zugenommen, da sich das Einkaufsverhalten verändert hat. Übervollen Einkaufswagen an den Kassen, leergeräumte Regale, die rasch befüllt werden müssen. Die Beschäftigten benötigen ausreichend Ruhezeiten und fürchten zudem um ihre Gesundheit,

„Unsere Haltung war von Anfang an klar: Der Schutz der Handelsangestellten, und damit natürlich auch der Lehrlinge, hat Vorrang“

Anita Palkovich, Kollektivvertragsverhandlerin für den Handel

Selin, 20, die ihre Lehre als Drogistin in einer großen Drogeriekette absolviert, ist schwanger. Wegen der Krise plagten sie große Sorgen um ihre Gesundheit und die ihres Babys. Doch ihr Dienstgeber hat schnell reagiert: „Ich wurde gleich zu Anfang frei gestellt. Es ist gut zu wissen, dass die Gesundheit wichtiger für meinen Chef ist als der Umsatz! Das motiviert auch meine Kolleginnen in der Filiale.“

Auch wenn hier viele Betriebe sofort reagierten, ist die Problematik sowohl für Schwangere, als auch für gefährdete Beschäftigte (Risikogruppen) noch äußerst unbefriedigend geregelt. Deren Freistellung, so wie sie derzeit gesetzlich vorgesehen ist, schließt nämlich gerade die systemerhaltenden Betriebe aus:

„Hier hat der Gesetzgeber ausgerechnet die systemrelevanten Betriebe ausgenommen, ein Skandal sondergleichen“, ist Palkovich empört. „Lehrlinge betrifft das genauso sehr wie Fachkräfte, sie dürfen keinem Gesundheitsrisiko ausgesetzt werden.“

So sorgt sich auch Dominik, der letzten Herbst eine Lehre im Fleischverkauf begonnen hat, um seine Gesundheit. „Ich leide an Asthma, normalerweise habe ich das gut im Griff. Aber nun habe ich große Angst vor einer Ansteckung. Ich weiß, ich bin jung, aber niemand kann mir garantieren, dass meine Bronchien das Virus abwehren können. Trotzdem habe ich täglich Kontakt mit Kunden.“

Alle Schutzmaßnahmen wie Masken, Handschuhe, Plexiglasscheiben, Desinfektion der Arbeitsplätze sowie Abstand zum Kunden sind für gefährdete Gruppen natürlich enorm hilfreich, reichen aber in diesen speziellen Fällen trotzdem nicht aus, findet Palkovich: „Die Beschäftigten müssen umgehend von der Arbeit freigestellt werden.“ 

Eine Gefahrenzulage, so Palkovich, gebe es für die Beschäftigten im Handel – im Gegensatz zu den Sozialberufen – nämlich auch nicht. Die aktuellen Prämienzahlungen von einzelnen Arbeitgebern im Handel sieht die GPA-djp grundsätzlich positiv, auch wenn sie sich in manchen Firmen als Einkaufsgutscheine für den eigenen Betrieb herausstellen. „Diese Zahlungen dürfen nicht vom Goodwill einzelner Arbeitgeber abhängig sein, es braucht eine verbindliche Regelung“, erklärt Palkovich.

Kurzarbeit, Homeoffice, Kündigung

Betriebe, die aufgrund der Krise Kurzarbeit eingeführt haben, können natürlich auch Lehrlinge in Kurzarbeit schicken, das wurde ausdrücklich so geregelt. „In dieser Zeit wird sogar das volle Lehrlingseinkommen weiterbezahlt, die Lehrzeit wird dadurch nicht verlängert. Diese wichtige Forderung haben wir bereits durchsetzen können“, freut sich Susanne Hofer. Entsprechend können Lehrlinge ihre Ausbildung zum geplanten Zeitpunkt abschließen.

„Wenn es in Ausnahmefällen jedoch mit dem Ausbildungscharakter der Lehre und dem Ausbildungsstand des Lehrlings vereinbar ist, so kann eine Firma trotzdem über eine Arbeit im Homeoffice eine Vereinbarung schließen“

Susanne Hofer, GPA-djp-Jugendvorsitzende

Nur in Ausnahmefällen arbeiten Lehrlinge im Homeoffice. Das ist in der Ausbildung grundsätzlich nicht vorgesehen, denn Lehrlinge oder Auszubildende sollen in der Firma ausgebildet werden. Darüber hinaus gibt es auch eine Aufsichtspflicht des Arbeitgebers. „Wenn es in Ausnahmefällen jedoch mit dem Ausbildungscharakter der Lehre und dem Ausbildungsstand des Lehrlings vereinbar ist, so kann eine Firma trotzdem über eine Arbeit im Homeoffice eine Vereinbarung schließen“, so Hofer.

Und wenn im schlimmsten Fall die Kündigung ausgesprochen wird? „Wenn ein Betrieb nun keine Arbeit hat, darf er nicht den Lehrvertrag auflösen“, erklärt Hofer. „Wir empfehlen in diesem Fall auf die bestehende Kurzarbeitsregelung zurückzugreifen, so wie sie eben auch für Lehrlinge gilt.“

Nur wenn ein Lehrling noch in der Probezeit ist, kann das Lehrverhältnis auch einseitig vom Lehrberechtigten gelöst werden. „Fälle, wie sie in den Medien zu finden waren, wo ein junger Mann sich freiwillig zum Zivildienst meldete und dessen Lehrverhältnis in der Probezeit darauf hin aufgelöst wurde, sind zum Glück die Ausnahme! Sie zeigen aber, wie wichtig es ist, alle gesetzlichen Schlupflöcher gut abzudecken. Genau dafür“, betont Hofer, „kämpfen wir als Gewerkschaft – und auch wir arbeiten momentan rund um die Uhr!“

Beratungsangebot für Lehrlinge
GPA-djp Jugend  www.jugend.gpa-djp.at 050301 – 21510
Österreichische Gewerkschaftsjugend ÖGJ  www.oegj.at
ÖGB und AK Hotline 0800 22 12 00 80
Internet: http://jobundcorona.at/lehrlinge-zivildiener

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