bfi-Betriebsrat: Wenn 21 Steckdosen an dir saugen

Birgit Strasser, Christoph Lintner und Daniela Stoimaier (v.l.r.) sind Betriebsrät:innen beim bfi und außerdem Mitglieder im kleinen Verhandlungsteam für den Kollektivvertrag der privaten Bildungseinrichtungen.
Foto: Nurith Wagner-Strauss

Bildung steht an erster Stelle, doch die Sorgen der Kursteilnehmer:innen brauchen genauso Raum. Was die Beschäftigten in der Erwachsenenbildung wirklich leisten, das wissen die Betriebsratsvorsitzenden des Berufsförderungsintituts (bfi).

Kaffee, Tee, Kuchen, ein paar Brötchen und Mineralwasserflaschen. Es wird wieder ein langer Tag. Daniela Stoimaier, Christoph Lintner und Birgit Strasser sind Mitglieder des kleinen Kollektivvertrag-Verhandlungsteams in der Erwachsenenbildung. Sie treffen  einander um neun Uhr um in der GPA -Zentrale die Verhandlungsrunde vorzubereiten. Alle drei sind Betriebsräte beim Berufsförderungsinstitut (bfi): Strasser ist Betriebsratsvorsitzende in Kärnten, Stoimaier ist stellvertretende BR-Vorsitzende in der Steiermark und Lintner BR-Vorsitzender in Oberösterreich.

Voneinander lernen

Obwohl Politiker:innen von Integration und lebenslangem Lernen schwärmen, wird auf einen entscheidenden Faktor kaum Rücksicht genommen: den Beschäftigten in der Erwachsenenbildung. Ein Warnstreik bei den letzten KV-Verhandlungen im vergangenen Mai brachte zumindest eine Annäherung der Standpunkte. Eine Lohnerhöhung um durchschnittlich 10,03 Prozent wurde damals vereinbart. Dem Auftakt der KV-Verhandlungen Mitte Februar 2024 folgten 4 Verhandlungsrunden – die Stimmung war während der Beratungen durchaus freundlich. Schließlich hatte die Berufsvereinigung der Arbeitgeber:innen privater Bildungseinrichtungen (BABE) am Beginn angekündigt, dass sie die rollierende Inflation nicht infrage stellt. „Sie sehen sich als soziale Arbeitgeber:innen und wollten heuer wohl, dass nicht gestreikt wird“, mutmaßt Christoph Lintner. Mitglieder der BABE sind gemeinnützige Bildungseinrichtungen wie das Berufsförderungsinstitut (bfi) und die Wiener Volkshochschulen GmbH (WVHS) ebenso wie gewinnorientierte Bildungsanbieter. Knapp 10.000 Beschäftigte arbeiten österreichweit in diesem Bereich.

„Sie sehen sich als soziale Arbeitgeber:innen und wollten heuer wohl, dass nicht gestreikt wird.“

Christoph Lintner

Um im Betrieb aufsteigen zu können oder als junger Mensch überhaupt eine Chance in der Arbeitswelt zu bekommen – das lebenslange Lernen wird immer wichtiger. Zu den wesentlichsten Aufgaben der Erwachsenenbildner:innen zählt aber auch die Hilfe bei der Integration.

Christoph Lintner: „Wir gehören oft zu den ersten Ansprechpartner:innen für Geflüchtete, wenn sie nach Österreich kommen und etwa einen Deutschkurs oder eine Berufsorientierung besuchen“. Häufig werden während der Kurse Fragen zur österreichischen Lebensweise und Bräuchen gestellt und beantwortet. Ein Klassiker: das Laternenfest im Kindergarten (Anm. Martini, katholischer Brauch zu Ehren des Hl. Martin am 11. November). Die Kleinen erzählen zuhause aufgeregt von ihrem Laternen-Basteln und dem Umzug, viele Eltern können sich darauf keinen Reim machen und fragen in ihrem Kurs nach. „Als Trainer ist es auch hilfreich, Interesse an der Kultur anderer Menschen zu haben“, erklärt Lintner. „Bei uns ist es üblich, dass sich die Teilnehmer:innen aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen vorstellen und erzählen, worauf sie stolz sind.“ Unter die freudigen Berichte über die verlorene Heimat mischen sich bisweilen auch die traumatischen Erlebnisse der Geflüchteten. Ein 13-Jähriger musste sich während der lebensgefährlichen Flucht über den Seeweg außerhalb im Meer schwimmend an einem Tragegriff des lecken Schlauchbootes festhalten, um nicht zu ertrinken. Ein Mann in seiner Nähe ging unter und ertrank. Lintner holt tief Luft: „Da fühle ich mich als Westeuropäer sehr privilegiert“.

Sozialer Auftrag für Leidenschaftliche

Bisweilen können die Anforderungen, junge Leute auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten, die Lehrenden auch an den Rand der Verzweiflung bringen. „Eine Gruppe von 21 Jugendlichen, das sind quasi 21 Steckdosen, die Energie von dir ziehen“, erklärt der Betriebsratsvorsitzende des bfi-Oberösterreich. „Wenn Du dann nach Hause gehst, ist der Akku völlig leer“, weiß Christoph Lintner. Der größte Lehrlingsausbilder in Kärnten ist übrigens das bfi. Betriebsratsvorsitzende Birgit Strasser: „Vielen Mitarbeiter:innen in der Erwachsenenbildung macht es Freude, wenn sie Menschen im Leben weiterbringen können“. Strasser erzählt auch, wie der soziale Auftrag von vielen Trainer:innen gelebt wird: „Beschäftigte, die ihre Arbeit nicht mit enormer Leidenschaft machen, geben schnell wieder auf, weil es sie auffrisst“.

„Vielen Mitarbeiter:innen in der Erwachsenenbildung macht es Freude, wenn sie Menschen im Leben weiterbringen können“

Birgit Strasser

Die Tätigkeit als Erwachsenenbildner:in geht unter die Haut. Kursteilnehmer:innen sind mit Problemen auf unterschiedlichsten Ebenen konfrontiert: Traumata der Flucht, Hürden der Integration und Langzeitarbeitslosigkeit zermürben viele von ihnen. Andere haben panische Angst davor, ins Berufsleben zurückzukehren. Und ein Teil der Jugendlichen leidet unter geringem Selbstwertgefühl und Perspektivlosigkeit. Arbeitsuchende – ob jung oder alt – die schon länger nach einem Job suchen, sind wegen der vielen Bewerbungsablehnungen meist erschöpft. Häufig bekommen sie überhaupt keine Rückmeldungen oder nur Absagen. Dazu treten vermehrt psychische Probleme auf. Stabilisationsarbeit kann dabei sehr hilfreich sein. Damit ist die Überarbeitung der Bewerbungsunterlagen sowie die Berufsorientierung verbunden. „So schaffen wir immer noch sehr gute Vermittlungsergebnisse“ sagt Birgit Strasser. Das Zusammenspiel aus den oben genannten Punkten, der Empathie und dem breiten Fachwissen und Erfahrungswerten der Trainer:innen und Berater:innen führt zu den gewünschten Ergebnissen und sind somit das A&O in unserer Arbeit.“

Daniela Stoimaier, die stellvertretende bfi-Betriebsratsvorsitzende in der Steiermark ruft daher zum gemeinsamen Handeln auf. „Wir müssen den Menschen einen Blick für die Zukunft geben und Maßnahmen ergreifen, um sie zu stabilisieren und bestmöglich zu unterstützen.“ Viele ihrer Kursteilnehmer:innen sind österreichische Staatsbürger:innen, die meisten haben Migrationshintergrund. „Sie erzählen uns von rassistischen Erfahrungen, die ihnen das Gefühl geben, in Österreich nichts wert zu sein und meinen: ‚Ich bleibe hier sowieso immer der Ausländer oder die Ausländerin!’“, berichtet Stoimaier.

Für eine Handvoll Euro

„Wir müssen sie aufbauen und ihnen Energie geben“, weiß bfi-Kärnten-Betriebsratsvorsitzende Birgit Strasser. „Einen klassischen Acht-Stunden-Arbeitstag schaffen viele der jugendlichen Klient:innen nicht.“ Waren es früher vielleicht zwei Teilnehmer:innen pro Gruppe, so gilt das heute für die überwiegende Mehrheit. Diesen jungen Menschen Hoffnung zu geben und sie auf ihrem Weg zu unterstützen, das ist eine extrem herausfordernde Situation für die Erwachsenenbildner:innen. „Das nach Dienstschluss verarbeiten zu können, darin besteht die Kunst“, gibt Daniela Stoimaier vom bfi-Steiermark zu bedenken. Die Mitarbeiter:innen der Branche sind nach der Arbeit ausgelaugt, ihnen fehlt dann oft die Kraft für ihr eigenes Privatleben. Daran wollen die Beschäftigten die Gesellschaft erinnern.

Hast du schon einmal überlegt selbst einen Betriebsrat zu gründen?

Wenn es bei dir im Betrieb mindestens 5 Beschäftigte gibt, kann eine Betriebsratswahl stattfinden. Dein Chef/deine Chefin, darf die Wahl nicht behindern. Als Betriebsrätin/Betriebsrat hast du einen besonderen Kündigungsschutz und du kannst einen Teil deiner Arbeitszeit für die Betriebsratstätigkeit verwenden. Wir unterstützen und begleiten dich und deine KollegInnen bei der Durchführung der Betriebsratswahl.
Du möchtest mit uns darüber reden? Dann wende dich an unsere Beratung in deinem Bundesland. Alle Kontakte findest du hier: https://www.gpa.at/kontakt

Trotz einiger Fortschritte werden etwa viele der Kursangebote zu kurzfristig ausgeschrieben. „Bei einigen Kursen müssen die Trainer:innen sogar zittern, ob sie noch weiter stattfinden“, erzählt Christoph Lintner. Zwar sind die meisten Erwachsenenbildner:innen äußerst anpassungsfähig und einiges gewohnt – heute hier, morgen dort, irgendwo einspringen -, doch wenn sich die Chance bietet, verlassen viele Trainer:innen die Branche. Weil Schulen und FHs vergangenes Jahr dringend Personal gesucht haben, sind etwa einige Trainer:innen in Kärnten aus der Erwachsenenbildung ausgestiegen. Zudem sind die Gehälter generell niedriger als in einer Männer-dominierten Branche und obendrein hat das AMS auch noch sein Kurs-Budget gekürzt.

7-Tage-Woche für die Einigung

Bei den KV-Verhandlungen, die am 13.3.2024 abgeschlossen wurden, ging es nicht allein um mehr Geld, sondern auch um bessere Arbeitsbedingungen – wie etwa um die bessere Anrechnung von Vordienstzeiten. GPA-Verhandler Christoph Zeiselberger unterstützte die Mitglieder des so genannten kleinen KV-Verhandlungsteams. „Ohne ihn wären die Verhandlungen deutlich schwieriger“, lobt Lintner, der heuer das erste Mal im kleinen Verhandlungsteam mit dabei war. „Im Verhandlungsteam fühlen wir uns sicher, weil mit Christoph Zeiselberger jemand dabei ist, der sich rechtlich gut auskennt, und wir damit auch die Kompetenz der Gewerkschaft an unserer Seite haben.“ Fehlt etwa in der Hektik der KV-Verhandlungen ein gutes Argument, hilft Christoph Zeiselberger schnell auf die Sprünge.

„Ich musste von Wien aus die Betriebsversammlung organisieren und die Leute motivieren, am Streik teilzunehmen“

Birgit Strasser

Außerhalb der fixen Treffen standen die Mitglieder des Verhandlungsteams per Whatsapp & Co. in sehr engem Kontakt, die virtuellen Diskussionen reichten dann schon weit in die Nacht hinein. Die Zeit während der KV-Verhandlungen ist immer fordernd. „Wenn Du als Verhandler:in tätig bist, lässt Du dich freilich auf diesen Prozess ein und weißt im Vorfeld, dass es stressig wird“, erklärt bfi-OÖ-Betriebsratsvorsitzender Lintner. „Dafür schaufelst Du dir Zeit frei.“ Um im Vorfeld Energie zu tanken, nutzte der Oberösterreicher die Ferien zwischen Weihnachten und Neujahr.

Birgit Strasser hingegen hatte heuer während der Verhandlungsrunden auch noch Aufgaben bei der AK-Wahl und den Betriebsratswahlen im bfi-Kärnten zu meistern. Bei den Verhandlungsrunden stieg die Betriebsratsvorsitzende am Vorabend in Klagenfurt in den Zug, traf sich spätestens um 9 Uhr in der Früh mit ihrem Team zur Vorbesprechung und war meist erst um 22:30 zu Hause. „Am nächsten Tag ging es dann um 7.30h in Klagenfurt weiter – häufig fühlte ich mich wie ausgepresst und muss dann am Wochenende nacharbeiten“, erzählt Strasser. An einem freien Tag erledigt sie Hausarbeiten, viel Freizeit bleibt während der KV-Verhandlungen nicht. Der Streik im letzten Jahr hat schon schwer an den Kräften gezehrt: „Ich musste von Wien aus die Betriebsversammlung organisieren und die Leute motivieren, am Streik teilzunehmen“.

Wer als Betriebsrat agiert, sollte eine robuste Persönlichkeit besitzen, denn es gibt immer wieder negative oder belastende Erlebnisse. Schließlich werden Arbeitenehmer:innen-vertreter eher dann konsultiert, wenn es Mitarbeiter:innen schlecht geht. „Deshalb haben sich in der letzten Periode zwei Kolleg:innen aus dem Betriebsrat zurückgezogen, sie fühlten sich den Aufgaben nicht mehr gewachsen“, berichtet Birgit Strasser. Allerdings hat sie eine tolle Stellvertreterin und es wechselte eine Betriebsrats-erfahrene Kollegin aus dem Burgenland nach Kärnten: „Sie ist eine tolle BR-Kollegin, aber wir haben 11 Standorte und bräuchten mehr Menschen, die sich engagieren“. Wer durchhält, kann sich aber oft über ein herzliches Feedback freuen: „Ich habe schon sehr rührende Mails bekommen“, erinnert sich Christoph Lintner. Birgit Strasser hat auf ihrem Computer sogar einen eigenen Ordner mit positiven Nachrichten von Kolleg:innen zusammengestellt. „Wenn ich ganz unten bin, dann lese ich diese Mails“, zeigt sich Strasser voll von Energie. Daniela Stoimaier vom bfi Steiermark bringt die BR-Arbeit auf den Punkt: „Viele Kolleg:innen wollen sich auch einfach nur aussprechen, das ist schön, denn die Menschen vertrauen uns!“

Abschluss erreicht

Die Energie und die Arbeit, die die Betriebsrät:innen in die Kolletivvertragsverhandlungen stecken, hat sich ausgezahlt. In der Verhandlungsrunde am 13. März 2023 konnte eine Einigung mit den Arbeitgebern erzielt werden.

Die Gehälter, Zulagen und Lehrlingseinkommen werden um +7,7 Prozent erhöht, für die Monate Mai, Juni und Juli 2024 gibt es eine monatliche Mitarbeiter:innen-Prämie in der Höhe von steuerfrei 250,00 Euro netto. Außerdem gibt es Verbesserungen bei der Anrechnung der Vordienstzeiten. Alle Details zum Abschluss findest du hier.

Das Ergebnis ist lange nicht perfekt, aber das Verhandlungsteam wird auch im kommenden Jahr weiterkämpfen. Weil es noch vieles gibt, was für die Beschäftigten erreicht werden muss.

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