Seit Wochen arbeiten Eltern im home office und betreuen parallel kleinere und größere Kinder. Die Psychologinnen des PSD Burgenland erklären, wo die Fallen liegen und wie man dennoch gut durch diese Zeit kommt.
KOMPETENZ: Viele Menschen verbringen inzwischen bereits die siebente Woche im home office und betreuen parallel ihre Kinder. Wann haben sich hier die ersten Problemlagen gezeigt?
Psychologinnen des PSD Burgenland*: Die ersten Probleme haben sich relativ rasch gezeigt. Einerseits, inwieweit Homeoffice in der jeweiligen Firma bereits etabliert ist und auf Zuspruch trifft. Andererseits war es für alle eine neue Alltagsroutine, die zuerst gefunden und an die sich sehr viele erst gewöhnen mussten, sowohl Erwachsene als auch Kinder. Die Kinder zu Hause zu beschäftigen beziehungsweise unterrichten zu müssen, nebenbei den Haushalt zu führen, eine Partnerschaft zu pflegen und Homeoffice in den Alltag zu integrieren, stellt für Familien eine große Herausforderung dar. Dies erlebten viele bereits am Anfang der Coronakrise als großen Einschnitt. Die Individualität der Familien zeigte sich auch in der Individualität der Belastungen. Vor allem körperlich beeinträchtigte beziehungsweise psychiatrisch belastete Eltern sowie Kinder- und Jugendliche beziehungsweise Angehörige sind unter diesen Bedingungen noch stärker gefordert.
KOMPETENZ: Es ist ein Unterschied, ob man neben Kindergarten- oder Schulkind Homeoffice macht. Worin liegen jeweils die Vorteile, aber auch die größten Belastungen?
Psychologinnen des PSD Burgenland: Es stellt einen großen Unterschied dar, wie alt das zu betreuende Kind ist. Während Kindergartenkinder ganz viel Beschäftigung mit einem Erwachsenen benötigen und auch Volksschulkinder beziehungsweise Kinder in höheren Schulstufen noch sehr viel Unterstützung beim Lernen brauchen, arbeiten ältere Jugendliche größtenteils selbstständig. Bei jüngeren Kindern ist eine permanente Präsenz eines Erwachsenen sehr oft von Nöten. Bei Kindern im Kindergartenalter fehlt natürlich der Leistungsdruck, dem Schulkinder ausgesetzt sind, und der Alltag kann ungezwungener und freier gelebt werden. Die Beschäftigung mit den Kindern ist dennoch nicht zu unterschätzen. Je jünger ein Kind, desto schwieriger fällt es ihm in der Regel seine Bedürfnisse zurückzustellen. Dies zeigt sich vor allem in der Situation, wenn das Geschwisterkind seine Aufgaben zu erledigen hat. Weiters kommt es in diesem Alter sehr häufig zu Geschwisterrivalitäten und erfordert zusätzlich Präsenz und Energie eines Elternteils. Einen wesentlichen Bereich darf man nicht vergessen: zusätzlich zu den aktuellen Homeoffice- und Homeschooling-Aufgaben kommen die emotionalen Aufgaben, die Kinder und Eltern zum aktuellen Zeitpunkt zu bewältigen haben. Gerade auf die Bewältigung von Ängsten und Sorgen sollte der Fokus gelegt werden.
KOMPETENZ: Vor allem Frauen klagen inzwischen, dass sie das Gefühl haben, es kommt alles zu kurz: die Arbeit, die Zeit fürs Kind und die Zeit für sich selbst. Ist es überhaupt möglich, hier eine Balance herzustellen?
Psychologinnen des PSD Burgenland: Es kann davon ausgegangen werden, dass Abstriche in jedem Bereich gemacht werden müssen. Dem einen fällt es leichter, dem anderen schwerer. Gerade in einer schwierigen Zeit, wie wir sie derzeit erleben, ist es wichtig seine eigenen Bedürfnisse und die der Kinder in den Vordergrund zu stellen, die Zeit miteinander auch als qualitativ wertvoll zu nutzen. Überforderung kann sich immer wieder einstellen und auch wieder auflösen. Eine belastende Situation ist vielleicht nicht jeden Tag gleich belastend und wird durchaus unterschiedlich erlebt.
„In dieser Zeit bedarf es einer flexiblen Gestaltung des Alltags ohne Anspruch perfekt sein zu müssen.“
Psychologinnen des PSD Burgenland:
Egal wie man durch die Krise geht, wichtig dabei ist die persönliche Resilienz. Dies ist die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen gut überstehen zu können. Weiters ist eine gute Struktur wie ein durchgeplanter Tagesablauf hilfreich beim Durchhalten. Es ist wichtig zu versuchen, sich kleine Auszeiten zu gönnen. Eine Balance zu finden, entspricht eher einem kaum realisierbaren Idealbild – in dieser Zeit bedarf es einer flexiblen Gestaltung des Alltags ohne Anspruch perfekt sein zu müssen.
KOMPETENZ: Die Regierung hat inzwischen mehrmals betont, Kinder könnten auch in die Betreuungsangebote an Kindergärten und Schulen gebracht werden, auch wenn die Eltern derzeit nicht außer Haus arbeiten. Einerseits nehmen Eltern das aber teils dennoch nicht in Anspruch, andererseits gibt es Bericht, wonach vor allem Kindergärten die Eltern abwimmeln würden. Wie ist dieses Dilemma zu lösen?
Psychologinnen des PSD Burgenland: Natürlich sind Eltern dazu angehalten die Kinder weiter zu Hause zu betreuen, soweit es möglich ist. Jedoch gibt es auch Familien in denen die Belastungen weit über dem Durchschnitt liegen. Um Krisen vorzubeugen beziehungsweise der Gewaltspirale entgegen zu wirken, wurde dieses Angebot gesetzt und wird zunehmend auch von den Eltern angenommen. Hierbei ist es sinnvoll das Gespräch mit den Pädagoginnen bzw. den Verantwortlichen in den Gemeinden zu suchen, um Missverständnissen vorzubeugen.
KOMPETENZ: Was sind die Alarmzeichen für Überforderung im home office mit Kind?
„Im Flugzeug wird darauf hingewiesen, dass Sie sich zuerst die Maske selber aufsetzen und erst danach ihren Kindern und anderen Personen! Erst wenn es Ihnen gut geht und Sie gut verankert sind, haben Ihre Kinder einen Anker, einen Leuchtturm und einen Felsen zum Anlehnen!“
Psychologinnen des PSD Burgenland:
Psychologinnen des PSD Burgenland: Erste Alarmzeichen sind Anzeichen von Schlafstörungen, vermehrter Alkoholkonsum, häufigere Affektausbrüche und eine geringere Frustrationstoleranz.
KOMPETENZ: Wie sollten Betroffene dann reagieren?
Psychologinnen des PSD Burgenland: Im Flugzeug wird darauf hingewiesen, dass Sie sich zuerst die Maske selber aufsetzen und erst danach ihren Kindern und anderen Personen! Erst wenn es Ihnen gut geht und Sie gut verankert sind, haben Ihre Kinder einen Anker, einen Leuchtturm und einen Felsen zum Anlehnen!
Bezüglich der Mehrfachbelastung sollte überdacht werden, ob man seine eigenen Anforderungen und Erwartungen betreffend Haushalt und Kinder ein wenig herunterschrauben kann. Falls der Lernstoff unüberwindbar erscheint, sollte dies mit den jeweiligen Lehrern besprochen werden. Es ist wichtig sich vor Augen zu halten, dass es vielen anderen Müttern und Vätern genauso ergeht. Vielleicht wäre es auch eine willkommene Gelegenheit die Aufgaben innerhalb der Familie neu zu verteilen und auch Kinder altersentsprechend einzubeziehen.
Den individuellen Familienkonstellationen entsprechend ist der Austausch mit anderen Familienangehörigen oder einem guten Freund über Erlebnisse, Grenzerfahrungen und Ängste sinnvoll. Weiters könnte ein Austausch mit Arbeitskollegen entlasten. Wie ergeht es ihnen mit der besonderen Situation? Wenn man das Gefühl hat, dass man sich durch Gespräche mit Menschen im Umfeld nicht besser fühlt, sollte man psychologische oder psychotherapeutische Notfalldienste in Anspruch nehmen oder aufsuchen. Des Weiteren kann man diverse psychologische Notrufnummern kontaktieren. Familien aus dem Burgenland können sich an den Psychosozialen Dienst Burgenland wenden.
KOMPETENZ: Wie kann man vorbeugen, dass es erst gar nicht zu so einer Überbelastung kommt?
Psychologinnen des PSD Burgenland: Neben einem strukturierten Tagesplan hilft möglicherweise regelmäßige sportliche Betätigung. Diese kann alleine oder gemeinsam mit einem oder mehreren Kindern durchgeführt werden. Eventuell können fixe Arbeitszeiten für das Homeoffice eingeführt werden. Dies bringt etwas Klarheit in das gesamte Familiensystem. Ein möglichst entspannter Umgang mit der Situation und eine möglichst positive Sicht auf den weiteren Verlauf der Krise kann zu einer Erleichterung führen. Vielleicht können wir auch das ein oder andere Positive aus der Zeit für uns und unsere Familie herausnehmen und etablieren. Besonders wichtig ist auch, dass man über eigene Ängste und Sorgen reflektiert und mit anderen darüber redet. Auch sollte man vermehrt darauf achten, was einem selbst gut tut. Ist das eigene Stresslevel niedriger, bringen einen alltägliche Ärgernisse weniger aus der Ruhe.
KOMPETENZ: Was können die derzeit besonders herausgeforderten Alleinerziehenden hier vorbeugend tun?
Psychologinnen des PSD Burgenland: Besonders für Alleinerziehende ist diese Situation äußerst schwierig, da sie keinen Partner haben mit dem sie sich bei der Betreuung der Kinder abwechseln und mit dem sie sich austauschen können. Weitere im Alltag wichtige Ressourcen wie Großeltern, Freunde aber auch Institutionen wie Kindergarten und Schule fallen weg oder stehen nur eingeschränkt zur Verfügung.
Hier ist es umso wichtiger so achtsam wie möglich mit sich selbst umzugehen. Sich zum Beispiel abends etwas Gutes tun, sich tagsüber zehn Minuten in die Sonne zu setzen und durchzuatmen. Wichtig ist es hierbei besonders, seine eigenen Ansprüche für die Zeit der Krise hinunterzuschrauben und auch mit der Hälfte zufrieden zu sein. Gerade für Alleinerziehende ist es wichtig sich Hilfe bei Freunden und Verwandten zu suchen oder sich auch bei psychologischen oder psychotherapeutischen Diensten zu melden. Hier sollte man auch Mut beweisen, die Betreuungsangebote der Bildungseinrichtungen in Anspruch zu nehmen.
*Das Team der Psychologinnen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie (KJPP) Eisenstadt des Psychosozialen Dienstes (PSD) Burgenland wollte dieses Interview gemeinsam führen – auf Grund der aktuellen Covid-19-bedingten Rahmenbedingungen war dies nur schriftlich möglich. Dem Team gehören die klinischen und Gesundheitspsychologinnen Andrea Ley, Denise Tarnai, Rita Gratz, Caroline Lehner-Steindl und Pamela Fuchs an. Sie alle sind auch Mütter, die derzeit im home office arbeiten – auch diese Perspektive floss in die Antworten mit ein.
Weitere Infos:
Viele Tipps wurden in einem Folder „Helden und Heldinnen des Alltags“ vom Team der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie des PSD Burgenland zusammengetragen und erarbeitet.